Documentation Brasilien - nationale Einführung eines Grundeinkommens als Weg aus Armut und sozialer Unsicherheit?

Sonderveranstaltung der Reihe »Kritischer Bewegungsdiskurs« gemeinsam mit dem Netzwerk Grundeinkommen

Information

Date

28.02.2007

With

Clovis Zimmermann

Themes

Soziale Bewegungen / Organisierung, Wirtschafts- / Sozialpolitik

Brasilien ist das erste Land, das die Einführung eines Grundeinkommens gesetzlich festlegte. In zwei Schritten wird es seit Jan. 2005 eingeführt. Bereits in den 60er Jahren war Erich Fromm der Auffassung, daß ein Grundeinkommen in Brasilien zum ersten Mal die Menschen vor der Drohung des Hungertodes befreien und sie auf diese Weise unabhängig von jeglicher Art unwürdiger Arbeit machen würde, ihnen eine Wahlfreiheit jenseits des ökonomischen Zwangs geben würde. Seit Jan. 2005 erhalten die Ärmsten der Gesellschaft, etwa 20% der Bevölkerung, ein ‚Familienstipendium’ ausbezahlt, das vor allem Nahrung sichern soll. Dieses ‚Familienstipendium’ wird von der neoliberalen Politik der Weltbank unterstützt und ist an Bedingungen gebunden. Der Übergang zur zweiten Phase, die Umwandlung des ‚Familienstipendiums’ in ein Grundeinkommen, ist jedoch an die Entscheidung der Lula-Regierung gebunden. Die Akteure des bürgerlichen Lagers agieren gegen die soziale Sicherung und das Instrument des Grundeinkommens mit der Ideologie der Ausgabenkürzungen, während die Linke über deren Wirkungsmechanismen noch uneinig ist. Wenn die brasilianische Zivilgesellschaft die möglichen Perspektiven dieses Anliegens verstände und Druck auf die Regierung von Lula ausübte, könnte das Grundeinkommen schneller implementiert werden. Damit stellt sich die Frage, ob dieser ganz andere Umgang mit lebensunwürdigen Verhältnissen exemplarisch für die Realisierung des ‚globalen sozialen Rechts’ auf Existenz ist? Wie wirkte sich die Möglichkeit sozialer Sicherheit für alle auf die politischen Konstellationen bei der Herausbildung eines ‚südamerikanischen Blocks’ aus, welche Auswirkungen hätte es sowohl auf die anderen Regierungen im linken Spektrum Südamerikas, als auch auf das Spannungsverhältnis unterschiedlicher Regionen in globaler Sicht? Wie viel Sicherheit gewährleistete so ein Grundeinkommen? Wie entscheidend notwendig ist eine soziale Infrastruktur, wie sie etwa die venezolanische und brasilianischen Verfassung festschrieb, mit einem grundlegenden Recht für jeden in Venezuela und Brasilien lebenden Menschen auf Partizipation am politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Leben, mit dem Recht kostenloser Bildung und Gesundheitsversorgung jedes in Venezuela und Brasilien anwesenden Menschen? Welche Auswirkungen ergäben sich für die Herrschaftsverhältnisse der Welt, würde das von Armut geprägte, ausgebeutete Südamerika der neoliberalen Struktur eine menschenwürdige soziale Sicherung entgegenstellen? Wie wirkte sich das Grundeinkommen gegen die neoliberale Politik von Weltbank und Internationalem Währungsfonds aus?


Clovis Zimmermann: geb. 1969 in Concórdia, Brasilien. Theologe und prom. Soziologe, von 94 bis zum Abschluß der Promotion 2004 über „Bürgerbeteiligung und Stadtplanung in brasilianischen Großstädten: Das partizipatorische Stadtplanungsmodell von Porto Alegre im Vergleich zum sozialtechnokratischen Modell von Curitiba an der Universität Heidelberg über", Studium in Heidelberg. Zurzeit Dozent für Sozialpolitik an der UNIMONTES (Universidade Estadual de Montes Claros) in Brasilien, Mitglied der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN (FoodFirst Information and Action Network) und Mitbegründer des Brasilianischen Netzwerks Grundeinkommen.

>> Weitere Informationen zur Veranstaltungsreihe