Documentation Brennpunkt Lateinamerika

Kuba: Zwischen Hinterhof Amerikas und Global Player. Dokumentation der Veranstaltung in der Reihe »Baustelle Europa«.

Information

Event location

Europahaus
Unter den Linden 78
10117 Berlin

Date

06.05.2008

With

S.E. Herr Gerardo Penalver Portal, Botschafter der Republik Kuba; Prof. Michael Zeuske, Universität Köln; Sahra Wagenknecht, MdEP, Delegation der Linken in der Konföderalen Fraktion GUE/NGL; Moderation: Bärbel Romanowski

Themes

Westeuropa

Welche Chancen und Probleme hat Kuba?

Zur Diskussion dieser Thematik hatte die Rosa-Luxemburg-Stiftung im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe »Baustelle Europa« ins Europäische Haus am Brandenburger Tor eingeladen. Zu Gast waren S.E. Gerardo Peñalver Portal, Botschafter der Republik Kuba, Prof. Dr. Michael Zeuske, Universität Köln und Sahra Wagenknecht, Mitglied des Europäischen Parlaments.

Moderatorin Bärbel Romanowski eröffnete die Debatte mit der Frage nach den Gründen für den Linksrutsch in Lateinamerika. Der kubanische Botschafter erklärte, dass der Neoliberalismus der 1990er Jahre zu großen sozialen Ungerechtigkeiten geführt habe. Um den negativen Entwicklungen entgegenzuwirken, kam es zu einer stärkeren Vernetzung von Gewerkschaften, außerparlamentarischen Bewegungen und linkspolitischen Parteien in verschiedenen Ländern Lateinamerikas. Damit war der Grundstein für die späteren Wahlerfolge linker Parteien und Präsidenten wie zum Beispiel in Venezuela oder Bolivien gelegt. Michael Zeuske, Professor für iberische und lateinamerikanische Geschichte an der Universität Köln, wies auf die Wechselwirkung zwischen Europa und Lateinamerika hin. In den Großstädten wirke sich die Globalisierung deutlich aus. Ein enormes Problem sieht er in der ungelösten Agrarfrage in Lateinamerika, bei der es vor allem um eine gerechte Verteilung des Grundbesitzes geht. Die Europa-Abgeordnete Sahra Wagenknecht (DIE LINKE.) sah sowohl Schnittmengen als auch Differenzen zwischen den links regierten Staaten in Lateinamerika. Durch wirtschaftliche Kooperationen einzelner Länder (Bsp. Bolivarianische Alternative für die Völker unseres Amerika - ALBA) soll eine größere Unabhängigkeit von den USA und der EU erreicht werden. Die Eigentumsfrage wird dagegen mit verschiedenen Ansätzen zu lösen versucht. Auf den „Mythos Kuba“ angesprochen, sagte sie, dass dieser nicht auf die heutige Zeit zu übertragen sei. Allerdings gingen den Wahlen in den nunmehr links regierten Ländern immer außerparlamentarische Bewegungen voraus. Die Errungenschaften Kubas im Ausbildungswesen und im Gesundheitssystem seien positive Bezugspunkte für die anderen Staaten Lateinamerikas.

Die Entwicklung Kubas war der Schwerpunkt der weiteren Diskussion. Gerardo Peñalver sprach von einer Vorbildfunktion Kubas für Lateinamerika. Innerhalb der letzten 10 Jahre sind in verschiedenen Staaten Lateinamerikas linksgerichtete Präsidenten gewählt wurden. Die sich dadurch bietenden Chancen zu gesellschaftlichen Veränderungen müssten durch die Regierungen genutzt werden. Michael Zeuske bemerkte hierzu, dass Kuba erst noch beweisen müsse, dass eigene Reformen im Sozialismus durchsetzbar wären. Sahra Wagenknecht verwies darauf, dass Kuba sich durch den Einfluss der USA in einer schwierigen Situation befände und eine Öffnung für das kleine Land problematisch sei. Es bestünde die Hoffnung auf eine dauerhafte Zusammenarbeit Kubas mit verschiedenen lateinamerikanischen Ländern. Der Wegfall der Sowjetunion als Wirtschaftspartner sei eine weitere schwere Hypothek. Kuba muss jährlich Lebensmittel für 1,6 Milliarden US-Dollar importieren.

Die Machtübernahme durch Raúl Castro und die damit einhergehenden Reformen in Kuba wurden nachfolgend diskutiert. Der kubanische Botschafter erläuterte, dass es seit den 1980er Jahren Reformversuche gegeben habe, aber bis 2005 seien viele Verbote notwendig gewesen. Seit 2005 habe eine neue Etappe begonnen, die zu strukturellen Veränderungen in der Gesellschaft und Wirtschaft führe. Innerhalb der letzten 18 Monate fanden verschiedene Veränderungsprozesse unter anderen in den Bereichen Administration, Landwirtschaft, Gleichstellung und Finanzpolitik (Währungsreform) statt. Dafür seien jeweils erst die notwendigen Bedingungen zu schaffen, um diese Prozesse erfolgreich zu gestalten. Er führte weiter aus, dass eine „Umstellung der Subventionierung von Waren auf eine Subventionierung der sozial Schwachen“ wichtig sei. Der Botschafter betonte, dass der Reformprozess in der Gesellschaft verankert sein muss und nicht von Oben diktiert werden kann. Michael Zeuske bemerkte, dass sich Kuba an seinen eigenen Zielen messen lassen muss. Es werde sich zeigen, zu welchem Ergebnis die Reformen führen werden. Sahra Wagenknecht verwies in diesem Zusammenhang nochmals auf die akuten wirtschaftlichen Probleme Kubas. Da das Land über keinen gewachsenen Industriesektor verfüge, sei eine Industrialisierung wie in anderen Staaten Lateinamerikas nicht möglich. Zur wirtschaftlichen Entwicklung Kubas ergänzte Gerardo Peñalver, dass es in den letzten Jahren ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 11% gab. Wichtige Leitlinien seien zum Einen die Erhöhung der Effizienz bzw. Produktivität und zum Anderen die Abkehr vom bisherigen Schwerpunkt Zuckerrohranbau und der damit verbundenen Zuckerindustrie. Das Land wolle in den nächsten Jahren vor allem in den Sektoren Erdöl, Erdgas, Nickel, Informatik und Gastronomie investieren. Auf Kuba erfolge ein eigenes Experiment, um die Nachhaltigkeit des sozialistischen Systems zu gewährleisten.

Die Moderatorin befragte nun die Podiumsteilnehmer zum Problem der Menschenrechte auf Kuba. Es dürfe keine Trennung von kollektiven und individuellen Rechten geben, betonte Zeuske. Wagenknecht führte aus, dass dieses Thema ihrer Meinung nach immer wieder zur Instrumentalisierung genutzt werde. Es sollten neben den politischen ebenso die sozialen Menschenrechte beachtet werden. Kuba müsse eigene Regelungen finden und dürfe nicht durch die EU oder die europäische Linke bevormundet werden. Der kubanische Botschafter unterstrich ebenfalls die Unteilbarkeit der Menschenrechte. Er wies darauf hin, dass im Februar 2008 von Kuba der Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte unterzeichnet wurde. Außerdem kooperiert das Land mit verschiedenen Initiativen zur Verbesserung der Menschenrechtslage. Es sei ihm bewusst, dass Kuba nicht perfekt sei, aber jedes Land habe seine eigenen Probleme. Dennoch seien Verbesserungen notwendig. Es gelte bei diesem Thema aber immer die kubanischen Verhältnisse zu berücksichtigen.

Die Gestaltung der Außenbeziehungen Kubas und die europäischen Interessen an Kuba waren die nächsten Diskussionspunkte. Michael Zeuske wies darauf hin, dass Kuba bis zu den 1990er Jahren ein atlantischer Schnittpunkt zwischen verschiedenen Imperien war. Die Europa-Abgeordnete Sahra Wagenknecht erklärte, dass Spanien ein wichtiger Kooperationspartner für Kuba sei. Gerardo Peñalver bestätige das gewachsene Interesse einzelner europäischer Staaten an Kuba. Mittlerweile werden 30 % der wirtschaftlichen Außenbeziehungen Kubas mit der EU abgewickelt. Seiner Meinung nach wird es außerdem zur Aufhebung der durch die USA verhängten Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade kommen, da diese gescheitert sei. Beim Stichwort Blockade befragte ihn die Moderatorin auch zum komplizierten Verhältnis zwischen Kuba und den USA. Ein pragmatischer, weniger ideologisierter Blick auf die Beziehung zwischen beiden Staaten sei notwendig. Der bevorstehende Präsidentschaftswechsel in den USA wird seiner Meinung nach zu einer positiven Veränderung im Umgang mit Kuba führen.

Die Podiumsdiskussion endete mit der Frage nach Kubas Bedeutung für die Weltpolitik. Michael Zeuske sagte, dass Kuba eine kleine Insel mit großer strategischer Bedeutung sei. Sahra Wagenknecht betonte Kubas Wichtigkeit für die europäische Linke, da es ein reales Bespiel sei, dass es auch anders ginge. Dementsprechend gäbe es ein großes Interesse daran, dass das sozialistische System auf Kuba nicht scheitern möge.

(Bericht: Jan Runkwitz)

Die Veranstaltung wurde vom Fernsehsender „Offener Kanal Berlin“ (OKB) aufgezeichnet. Die Ausstrahlungstermine sind: 8. Mai 2008, 10:00 Uhr; 13. Juni 2008 22:00 Uhr; 27. Juni 2008, 22:00 Uhr.