Documentation Beyond Aid - Von Wohltätigkeit zu Solidarität

Welche Formen der Solidarität und Kooperation in einer globalisierten Welt können nachhaltige Veränderungen bewirken? Dokumentation der zweiten Frankfurter Hilfe-Konferenz.

Information

Event location

Goethe-Universität Frankfurt, Campus Westend, Casino-Gebäude
Grüneburgweg 1
60323 Frankfurt

Date

20.02.2014 - 22.02.2014

Organizer

Silke Veth,

Themes

International / Transnational, Globalisierung, Krieg / Frieden, Migration / Flucht

«Der Hilfe ist nicht mehr zu helfen» (der haitianische Filmemacher Raoul Peck in seinem Eröffnungsbeitrag zur Konferenz am 20.02.2014)
 

Dass die Forderung nach «Beyond Aid», die Idee einer internationalen Kooperation jenseits von Hilfe, kein Thema von SpezialistInnen mehr ist, sondern auf ein gewachsenes Bewusstsein und den «Leidensdruck» vieler trifft, die in ihrem beruflichen wie politischen Alltag die strukturellen Ursachen der Hilfsbedürftigkeit herausfordern, belegten die gut 600 TeilnehmerInnen der Konferenz «Beyond Aid», die vom 20.-22. Februar 2014 in Frankfurt/Main zusammen kamen.

Die Zweite Frankfurter Hilfe-Konferenz – vorbereitet in enger Kooperation zwischen medico international, der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Frankfurter Institut für Sozialforschung - widmete sich der Frage, welche Formen der Solidarität, der Kooperation und der Unterstützung in einer globalisierten Welt nachhaltige Veränderungen bewirken können. Wie lässt sich verhindern, dass die Idee globaler Verantwortung zur Legitimation machtpolitisch motivierter Interventionen verkommt? Was ist erforderlich, um die Universalität der Menschenrechte nicht einfach nur zu konstatieren, sondern für alle zu verwirklichen? Wie müssen die Praxis und die Institutionen der Hilfe verändert werden?

In drei Panels und elf Foren diskutierten VertreterInnen von Hilfswerken, grass-root-Bewegungen, NGOs und EntwicklungspolitikerInnen. Zahlreiche MitarbeiterInnen und ProjektpartnerInnen der Rosa-Luxemburg-Stiftung aus dem In- und Ausland wie z.B. aus Ägypten, Ecuador, Indien, Sri Lanka  und dem Senegal stellten ihre Erfahrungen und Analysen vor. Mit Fotos und einem Livestream wurde der Kongress von der Rosa-Luxemburg-Stiftung begleitet und dokumentiert.
Mitschnitte der Videostreams finden Sie in der Playlist Beyond Aid auf unserem Youtube-Kanal, ein Fotoalbum von der Konferenz bei Flickr.

Meinungssplitter

Hier auszugsweise einige Beobachtungen und Bewertungen aus Sicht der Rosa-Luxemburg-Stiftung:

«Die Beyond Aid Konferenz war sehr ermutigend, weil nach langer Pause sich wieder viele Menschen zusammen fanden, um sich über Nothilfe, Entwicklungshilfe und Solidarität zu verständigen. Der volle Saal über die drei Tage bis zum Schluss der Veranstaltung und die vielen jungen Menschen geben Hoffnung, dass sich eine neue Solidaritätsbewegung wieder Gehör verschaffen wird. Seit 30 Jahren hat die Nord-Süd-Bewegung analysiert und immer wieder öffentlich erklärt, dass Unterentwicklung produziert wird. Not- und Katastrophenhilfe sind situativ etwas anderes als Entwicklungshilfe, unterliegen aber auch den Tendenzen und Gefahren eines reinen Geschäfts. Die Notwendigkeit, gemeinsam die Ursachen von Armut, Unterentwicklung und Katastrophen im globalen Norden und Süden zu bekämpfen, wurde wiederum offensichtlich. Umso erfreulicher ist dieser Ansatz der Konferenz durch ein Bündnis von medico, Institut für Sozialforschung und den politischen Stiftungen Heinrich-Böll-Stiftung und Rosa-Luxemburg-Stiftung, mit starken analytischen, unterstützenden, auch politischen Beiträgen seitens der kirchlichen Träger misereor, und Brot für die Welt, von terre des hommes und anderen NGOs. Die Offenheit der Diskussionen, die Benennung von Themen oder Zeitpunkten weiterer Bündnisveranstaltungen wie beispielsweise die MDGs 2015, lassen eine Perspektive neuer internationaler Solidarität in und aus Deutschland erhoffen.»

«Solidarität in den Beziehungen, keine neuen Hegemonien erstellen, politisch arbeiten, Hilfe kritisieren-Hilfe verteidigen-Hilfe überwinden, Begriffe radikalisieren»

«Die Beiträge zur Konferenz ‹Beyond Aid› trugen in gemeinsamen Panels und parallelen Foren eine Unmenge an kritischen Ansätzen aus Wissenschaft und Praxis zusammen, sodass die Komplexität der aktuellen globalen Wirklichkeit und die Dringlichkeit von entschlossenem Handeln hier ihre Entsprechung fand. Ein wichtiger Kritikpunkt der Entwicklungszusammenarbeit der letzten Jahrzehnte, der von verschiedenen ReferentInnen  elaboriert wurde, ist die Gefahr der Abhängigkeit von finanziellen Mitteln (Ökonomisierung durch ‹professionelle› Managementmethoden und –terminologie, ‹Aktivist› als Berufsbezeichnung). Dem entsprach der ermutigende Beitrag von Jorge Espinosa, Repräsentant der ‹Yasunidos-Bewegung› in Ecuador, die ohne Finanzierung von außen eine Kampagne für ein Referendum über die Ölextraktion unter dem global wichtigen Yasuní-Nationalpark umsetzt. Der nächste Schritt steht nun allerdings noch aus: eine viel politischere Arbeit der NGOs, um in den Zentren der Macht die Strukturen zu verändern, die andernorts Hilfe nötig machen.»

«Beyond Aid lieferte eine erneute radikale Kritik an der gigantischen Hilfsindustrie und vielfach konnten wir die abwehrende Haltung derer hören, die in lokalen Kämpfen organisiert sind und eben nicht der Professionalisierung – sprich der finanziellen und ideellen Ausrichtung auf die ‹Geber› anheim fallen wollen. Wenn wir diese Stimmen tatsächlich ernst nehmen und wenn wir solidarisch sein wollen, dann muss unser Engagement über die gemeinsame Reflektion wie in Frankfurt geschehen hinausgehen. Es hieße nicht nur mit einer eigenen Sprache und mit eigenen Geschichten am Projekt der Gegenhegemonie zu arbeiten, sondern auch die imperiale Lebensweise in Deutschland und Europa zu Fall zu bringen.»

«Solidarität an die Stelle von Hilfe zu setzen sollte der Weg emanzipatorischer Praxis sein. Dass es dabei eine Vielzahl offener Fragen gibt, hat diese Konferenz deutlich gezeigt, aber durchaus auch interessante Vorschläge gehabt. Besonders wichtig dabei empfand ich, dass es dabei gar nicht um ‹unsere› Solidarität mit dem globalen Süden geht, sondern um das solidarisch sein, das eben hier vor Ort beginnt. Welche Rolle die finanziellen Zuwendungen spielen, die ja auch wir in die Welt bringen, ist allerdings wirklich eine offene Frage, bei der wir uns um Antworten bemühen sollten.»

«Ich war – wie wahrscheinlich die meisten von uns – wirklich positiv überrascht von der Anzahl junger Teilnehmer. Auch, dass eine solche Konferenz überhaupt möglich ist, sehe ich als positives Zeichen – wenn man es als Ausgangspunkt für weitere Schritte sieht und diese auch folgen.
Das breite Spektrum der Teilnehmer und der Organisatoren werte ich ebenfalls sehr positiv und stimmt mich optimistisch, in Zukunft mehr zusammen erreichen zu können - speziell auch in Bezug auf die (auf der Konferenz oft angesprochenen) Millennium Development Goals (MDGs), für die wir in meinen Augen versuchen sollten, nächstes Jahr gemeinsame Aktionen zu organisieren, bei denen Alternativen zu den MDGs aufgezeigt werden.»

Mediathek

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