Documentation Die Wiederkehr der Konformität

Neoliberale Lebensstrategien am Beispiel der Mittelschicht. «Rosas Salon» Nr. 9.

Information

Date

20.05.2014

Organizer

Eva Schäfer,

With

Cornelia Koppetsch (Soziologin, Autorin des Buches «Die Wiederkehr der Konformität. Streifzüge durch die gefährdete Mitte») und Astrid Landero (Moderation).

Themes

Geschlechterverhältnisse, Gesellschaftliche Alternativen, Kapitalismusanalyse

«Man investiert in die Gesundheit, in Freundschaften, in den eigenen Körper – und hofft auf hohe Erfolgsrenditen.» Was bedeutet es, wenn das eigene Leben zur ökonomischen Transaktion wird? Welche Folgen hat es, wenn persönliche Bindungen nur noch dem Nutzkalkül unterliegen? Was die Soziologin Cornelia Koppetsch in ihrem Eingangsbeitrag zur nunmehr 9. Veranstaltung der Reihe «Rosas Salon» ansprach, spiegelt eine Dynamik heutiger Anpassungsleistungen an die effiziensgesteuerte neoliberale Gesellschaft, die in ihrem Ausmaß eine neue Dimension erreicht.

Ängste vor sozialem Abstieg prägen das Lebensgefühl mittlerweile auch der Mittelschicht. Je größer die Verunsicherung, desto mehr wird «die Mitte» zum Hort von Sicherheit und Normalität. Anpassung mutiert dabei zur zentralen Strategie im Wettbewerb um Lebenschancen. Selbstoptimierung wird zur Lebensaufgabe. Abgrenzungen nach unten sichern den eigenen Status. Einstige alternative Lebensentwürfe – auch in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse – werden eingepasst. Die Kleinfamilie wird zum Aushängeschild einer erfolgsfixierten Lebensführung. «Die Wiederkehr der Konformität»[1] scheint ein Tribut des enormen Anpassungsdrucks zu sein, unter dem sich Lebensstrategien, Werte und Orientierungen neu ausrichten – bis in das Alltagsleben hinein.

Die zeitdiagnostischen Befunde, die Cornelia Koppetsch hier exemplarisch für die Mittelschicht ausmacht, gingen für die 60 Teilnehmer_innen in «Rosas Salon» in ihrer Gewichtung weit über diese gesellschaftliche Schicht hinaus. In den interaktiven Gruppengesprächen wie auch in der Gesamtdiskussion fragten sie vor allem nach den Mechanismen, in denen verinnerlichte neoliberale Muster wirken – bis in die eigenen linken und feministischen Kontexte hinein. Aus dem für die Reihe «Rosas Salon» prägenden queer-feministischem Verständnis heraus fragten wir nach Ein- und Ausschlussmechanismen, Abgrenzungsdynamiken und neuen subtilen Formen von Herrschaftsausübung, die mit den neuen gesellschaftlichen Spielregeln einhergehen: Fühle ich selbst mich als Gewinner_in oder Verlierer_in angesichts des neoliberalen Konformitätsdrucks? Wer hat aufgrund sozialer oder ethnischer Herkunft, aufgrund der Geschlechtszuweisung, sexueller Identität oder körperlicher Einschränkung gar keine Chance, neoliberal konform zu sein. Oder auch: Ist queer par excellence «nicht-konform»? Was bedeuten aus dieser Sicht Strategien einer «Selbstabschließung durch Ausgrenzung» (der Anderen)? Wo passe ich mich selbst an – durch die unreflektierte Übernahme der «Sprachspiele der Leistungsgesellschaft» (Management-Sprache und Strukturen «Wir sind alle ein Team»).

«Alle müssen mitspielen. Und das Erstaunliche ist, alle spielen mit, obwohl nur wenige etwas davon haben», resümiert Cornelia Koppetsch am Ende ihres Beitrages. Ist Widerstand wirklich zwecklos? Was macht das Bindende, Gemeinsame derer aus, die nicht in den neoliberalen Zeitgeist passen und/oder dies auch bewusst nicht wollen? Der neoliberale Imperativ einer bedingungslosen Einpassung in ein Leben, getrieben durch neue Spielregeln einer diffusen Macht «des Marktes», ist nicht alternativlos. Die Diskussion um Gegenstrategien, um solidarische Alltagspraxen, um alternative Lebensformen ging bis in den späten Abend bei Imbiss und Wein in den Hofgesprächen weiter.

Eva Schäfer, Referentin für Geschlechterverhältnisse/Gender/Feminismen der Akademie für Politische Bildung der Rosa Luxemburg Stiftung


Zum Weiterlesen:

Cornelia Koppetsch: Die Wiederkehr der Konformität. Streifzüge durch die gefährdete Mitte, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2013

Cornelia Koppetsch: «Binde mich! Die Kernfamilie schlägt zurück: Wie die coolen Singles der 80er ins Abseits gedrängt wurden» , Artikel in der TAZ vom 15.06.2013



[1] Vgl. Cornelia Koppetsch: Die Wiederkehr der Konformität. Streifzüge durch die gefährdete Mitte, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2013.


«Rosas Salon» ist ein Raum, in dem Denkbewegungen quer zu eingeübten Diskursen verlaufen. Die Reihe diskutiert aktuelle Facetten queer_feministischer Kapitalismuskritik – praxis- und alltagsbezogen. «Rosas Salon»  überschreitet dabei die Grenzen zwischen Politik, Wissenschaft und Bewegung, Hochkultur und Pop-Aktion.