Documentation Solidarität über Grenzen hinweg

Bericht vom internationalen Podium mit Amazon-KollegInnen aus Deutschland und anderen europäischen Standorten

Information

Event location

ver.di Bundesverwaltung
Paula-Thiede-Ufer 10
10179 Berlin

Date

03.10.2015

Organizer

Florian Wilde,

With

Christian Krähling, Kacper Stachowski, Maria del Rosario García Sánchez, Bernd Riexinger, Sébastien Boissonnet, Johannes Schulten

Themes

Ungleichheit / Soziale Kämpfe, Arbeit / Gewerkschaften, International / Transnational, Globalisierung, Westeuropa

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Interna. Austausch Amazon-Beschaeftigte, 4.10. Berlin (Foto: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, Flickr, CC 2.0 BY)

[ Español: Crónica FRL sobre encuentros de Amazon]

«Ein Konzern, der international aufgestellt ist, muss international angegangen werden.»

So einfach brachte Bernd Riexinger die Sache auf den Punkt. Gemeinsam mit Maria del Rosario García Sánchez, einer frisch gewählten Delegierten der spanischen Gewerkschaft Comisiones Obreras bei Amazon Madrid, Kacper Stachowski von der Organizing-Abteilung der polnischen NSZZ Solidarnosc und Christian Krähling, ver.di-Vertrauensmann bei Amazon im hessischen Bad Hersfeld, diskutierte der Vorsitzender der Partei DIE LINKE am 3. Oktober vor einem vollen Saal in der ver.di-Zentrale am Kreuzberger Spreeufer. Moderiert wurde die Debatte durch Johannes Schulten vom Journalistenbüro work in progress.

«Solidarität über Grenzen hinweg» war das Motto der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierten Podiumsdiskussion. Welche Hindernisse die Beschäftigten des transnationalen Konzerns Amazon überwinden müssen, war dabei Thema, aber auch, wie sie überwunden werden können. Während in der Amazon-Konzernzentrale alle Informationsstränge aus den mittlerweile weltweit mehr als 160 Distributionszentren zusammenlaufen, haben die Beschäftigten unterschiedlicher Standorte allein aufgrund der großen geographischen Entfernungen im Alltag normalerweise kaum Berührungspunkte. Dazu kommen Sprachbarrieren, Unterschiede in der Struktur der nationalen Gewerkschaften oder schlicht die Ungleichzeitigkeit von Organisierungsprozessen und Arbeitskämpfen. All das sei «nichts Ungewöhnliches» –  bei Amazon wie in jedem anderen transnationalen Unternehmen, betonte Riexinger. Entscheidend sei jedoch: «Es braucht gemeinsam abgestimmte Aktionen der Arbeiterbewegung, um den Vorteil der Kapitalseite wenigsten teilweise ausgleichen zu können.»

Erfahrungen aus Deutschland ...

Was das in der Praxis bedeutet, machte Christian Krähling, Streikaktivist der ersten Stunde aus Bad Hersfeld, deutlich. «Wenn wir streiken, verschiebt Amazon soviel wie möglich von unserem Auftragsvolumen nach ORY1.» Das Kürzel steht für das französische Versandzentrum bei Orléans. Um dieser Strategie etwas entgegensetzen zu können, baute die ver.di-Betriebsgruppe Kontakte zu den französischen Kolleginnen und Kollegen auf. 2014 kam es dann, inspiriert vom Arbeitskampf in Deutschland, zu ersten, wenn auch noch kleinen, Streiks in Frankreich.

... Spanien ...

In Spanien, wo Amazon seit 2012 ein Versandzentrum in der Nähe von Madrid betreibt, ist man von Arbeitskampfmaßnahmen noch weit entfernt. Dort wurden Mitte September erstmals Gewerkschafter ins Fabrikkomitee gewählt, berichtete Maria del Rosario García Sánchez, eine von zwei gewählten Delegierten der Gewerkschaft Comisiones Obreras (CCOO). Einen Vertreter stellt die anarchosyndikalistische CGT, die restlichen zehn der 13 Sitze im Gremium werden von einer sogenannten «unabhängigen Liste» wahrgenommen. Die ist tatsächlich jedoch völlig vom Management abhängig. Dank der Zustimmung dieser «gelben» Mehrheit kann Amazon ganz legal den allgemeingültigen Branchentarifvertrag unterlaufen. Um diese Situation langsam zu verändern, müsse man zunächst die eigene Basis im Betrieb aufbauen, so die Gewerkschafterin. «Erfahrungen aus anderen Ländern und besonders aus Deutschland helfen uns dabei.»

... und Polen

In einem Unternehmen wie Amazon Fuß zu fassen, kann nur mit einer gut geplanten Organizing-Kampagne gelingen, betonte Kacper Stachowski von der polnischen Solidarnosc. Amazon ist in Polen seit Herbst 2014 mit drei Versandzentren aktiv, die ausschließlich für den deutschen Markt tätig sind, ein viertes ist geplant. Immerhin drei Monate nach Eröffnung nahm die Gewerkschaft ihre Tätigkeit im Betrieb auf. Doch die Art wie Amazon reagierte, war auch für polnische Maßstäbe ungewöhnlich: «Öffentlich erklärten sie, dass sie uns als Gewerkschaft anerkennen», so Stachowski, «aber praktisch verweigern sie jedes Gespräch und antworten nicht auf unsere Korrespondenz.» Klar sei, dass die Gewerkschaft Druck aufs Unternehmen ausüben müsse, um hier eine Veränderung zu bewirken. Enge Kooperation mit ver.di und den anderen Partnerorganisationen in der UNI Global Union sei dabei essentiell: «Der Kampf mit einer globalen Firma, kann nur global geführt werden», unterstrich Stachwoski und fügte hinzu: «Wir sind froh, dass wir dabei von den Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern profitieren können.»

Raum für internationalen Austausch

Genau darum ging es beim Austauschtreffen am darauf folgenden Sonntagvormittag. Ohne Publikum, ganz unter sich, diskutieren mehr als 50 Amazon-Beschäftigte sämtlicher deutscher Amazon-Standorte sowie ver.di-Betreuungssekretäre mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus Wroclaw und Madrid. Unterschiede bei  Entlohnung und Arbeitszeiten wurden detailliert unter die Lupe genommen wie auch auffällige Ähnlichkeiten im Vorgehen des jeweiligen nationalen und lokalen Managements gegenüber gewerkschaftlich Organisierten. Möglichkeiten für ein gemeinsames Vorgehen wurden erörtert und Kontakte ausgetauscht.

Allerdings konnte und sollte das Treffen am Sonntag keineswegs die europäische Amazon-Vernetzung ersetzen, die unter dem Dach von UNI Global Union GewerkschafterInnen der französischen CGT, der britischen GMB und der tschechischen OSPO mit KollegInnen von ver.di und Solidarnosc zusammenbringt. Im Gegenteil: es sollte eine die bestehende Vernetzung ergänzende Möglichkeit zum vertiefenden Austausch bieten. Dies ist auch insofern gut gelungen, als die CC.OO bisher nicht Teil der Amazon-Vernetzung waren, durch das Austauschtreffen aber an diese herangeführt werden konnten. Ende September hatte das 4. UNI-Amazon-Vernetzungstreffen am Rande des ver.di-Bundeskongresses in Leipzig stattgefunden – ausgerichtet mit Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung (die den Vernetzungsprozess schon länger unterstützend begleitet) und erstmals auch der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Amazon-Ratschlag der LINKSFRAKTION

Die RLS-Veranstaltungen am 3./4. Oktober fanden in unmittelbarem Anschluss an den Ratschlag «Amazon – Strategien für gute Arbeit und Tarifbindung» der Fraktion DIE LINKE im Bundestag statt. Nach einer Eröffnung durch die gewerkschaftspolitische Sprecherin der Fraktion, Jutta Krellmann, hatten die Beschäftigen zunächst am Abend des 2.10. auf einer von Sabine Leidig (MdB) moderierten Veranstaltung ihre bisherigen Streikerfahrungen reflektiert. Am folgenden Tag diskutierten sie dann u.a. mit Bernd Riexinger, der sächsischen Landtagsabgeordneten Cornelia Falken, Peter Renneberg von Orka (Organisierung und Kampagnen), der ver.di-Pressesprecherin Eva Völpel und dem ver.di Bundesfachbereichssekretär Stefan Najda über Bedingungen und Möglichkeiten einer gesellschaftlich breit getragenen Kampagne gegen den Versand-Riesen.

Vernetzungstreffen CC.OO und GAS

Die angereisten KollegInnen der CC.OO aus Spanien nutzten den Sonntag dann noch für ein weiteres transnationales Vernetzungstreffen – diesmal mit spanischen Arbeitsmigranten, die sich in Berlin zur Aktionsgruppe «Grupo de Acción Sindical» (GAS) zusammengeschlossen haben und versuchen, migrantische Beschäftigte aus Südeuropa gewerkschaftlich zu organisieren. Im Fokus des Treffens standen Erfahrungen mit der Organisierung im Logistik- und Versandhandelbereich. Auch dieses Vernetzungstreffen wurde über die Rosa-Luxemburg-Stiftung organisiert.

Fazit

Das Wochenende machte deutlich: Konzerne wie Amazon mögen «Global Players» sein – doch die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften versuchen, der Macht transnationaler Konzerne die internationale Solidarität der Beschäftigten entgegenzusetzen und sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Ihre Bewegung ist noch jung, aber sie gewinnt europaweit an Kraft. Aus ihren konkreten Erfahrungen kann viel für die großen Fragen transnationaler gewerkschaftlicher Organisierung gelernt werden.

Autoren: Jörn Boewe und Florian Wilde


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Beide Artikel sind aus der junge Welt Beilage «Gewerkschaften» vom 23.9.2015