Documentation Der lange Schatten der Apartheid und neue Mobilisierung im ländlichen Raum

Dialogprogramm «Ernährungssouveränität» in Südafrika gestartet

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Date

25.04.2017 - 26.04.2017

Themes

Südliches Afrika, Arbeit / Gewerkschaften, Globalisierung, Afrika, Sozialökologischer Umbau, Ungleichheit / Soziale Kämpfe, International / Transnational, Ernährungssouveränität

Arbeiter*innen der Flaschenabfüllanlage von Robertson Winery äußern ihren Unmut über Rassismus im Arbeitsalltag. Foto: Carola Franz, Rosa-Luxemburg-Stiftung

Ende April 2017 wurde das Dialogprogramm Ernährungssouveränität der Rosa-Luxemburg -Stiftung in Südafrika gestartet. Die offizielle Auftaktveranstaltung vor Ort bildete am 25. April ein Strategieworkshop, auf dem Landarbeiter*innen und Kleinbäuer*innen Optionen gemeinsamer politischer Mobilisierung ausloteten.  
Am folgenden Tag machte sich das RLS-Projektteam ein eigenes Bild von Arbeits- und Lebensbedingungen der Landarbeiter*innen und Arbeiter*innen bei dem Weinkonzern Robertson Winery
 

Auch ein Vierteljahrhundert nach Ende der Apartheid ist von einem grundsätzlichen Wandel der Agrarstrukturen im ländlichen Raum wenig zu sehen. Die versprochene Landreform stockt, die staatliche Förderpolitik hat bislang keine Lösungen gefunden, der breiten Mehrheit der Schwarzen innerhalb der ländlichen Bevölkerung Optionen zur ländlichen Entwicklung aufzuzeigen. Nach wie vor dominieren teils unproduktive Großfarmen den Sektor, massive Arbeitsrechtsverletzungen bis hin zu Farmworker-Killings durch Weiße Farmer finden nach wie vor statt. Eine langanhaltende Dürre im vergangenen Jahr und sprunghaft steigende Grundnahrungsmittelpreise in den letzten Monaten verschärfen die Lage.

Seit Landarbeiter*innen, die sich von dem etablierten Gewerkschaften nicht mehr repräsentiert fühlen, in den Jahren 2012 und 2013 in Western Cape einen militanten Streik organisierten, entstehen neue Ansätze der gewerkschaftlichen Organisation von unten. Der gemeinsame Strategieworkshop von Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Kooperationspartner «Trust for Community Outreach and Education» (TCOE) mit 60 Teilnehmer*innen in Kapstadt zielte darauf ab, im Dialog von aktivistischen Gewerkschaften mit Vertretern von Kleinbauernorganisationen gemeinsame Interessen auszuloten. Dazu gehörten:

  • Die Frage nach Zugang und Kontrolle über Land. Seit Ende der Apartheid wurden ca. zwei Millionen Landarbeiter*innen von Farmen vertrieben, weil sie mit ihrem Job auch ihre Unterkunft verloren.
  • Ein existenzsicherndes Einkommen und stabile Lebensmittelpreise – viele Haushalte kombinieren prekäre Jobs mit eigenem landwirtschaftlichem Anbau.
  • Gesunde Arbeitsbedingungen – das Spritzen von Pestiziden ohne ausreichenden Schutz und Kenntnis von Risiken macht Kleinbauer*Innen und Arbeiter*innen gleichermaßen krank.
  • Eine Eingrenzung der Marktmacht von Supermarktkonzernen – die vier großen Retailkonzerne Shoprite, Pick&Pay, Spar, Woolworth kontrollieren 90% des Lebensmitteleinzelhandels, versperren Kleinproduzenten den Zugang zu Konsument*innen und greifen enorme Preismargen ab, die einkommensarmen Haushalten auch im ländlichen Raum eine gute Ernährung unmöglich macht.

Dies alles sind Felder, in denen Bäuer*innen und Arbeiter*innen auf unserem Workshop mit der Diskussion über gemeinsame Mobilisierungsansätze begonnen haben. Klar wurde: ein klassischer gewerkschaftlicher Ansatz, der ausschließlich auf die Lohnfrage zielt, und meint, urbane Strategien 1:1 in den ländlichen Raum übertragen zu können, reicht nicht mehr aus.

Vor allem die Gewerkschaft CSAAWU (Commercial, Stevedoring, Agricultural and Allied Workers Union)  macht dies deutlich. Sie hat 2016 einen erfolgreichen vierzehnwöchigen Streik auf den Weingütern und in der Flaschenabfüllungsanlage von Robertson Winery durchgeführt.

Vor Ort konnten wir mit Arbeiter*innen in Robertson sprechen und uns auch die Nöte der Landarbeiter*innen schildern lassen: Sie beginnen beim desolaten Zustand von Wohnhäusern auf dem Weingut, wo die Dächer und Fenster undicht und die sanitären Einrichtungen größtenteils nicht benutzbar sind. Es fehlt an sauberem Trinkwasser. Zugleich ziehen die Farmer Kosten für die Instandhaltung der Häuser vom Lohn ab. Die Arbeitsbedingungen sind hart, an Arbeitsschutz mangelt es.