Documentation Die Lücken der Aufklärung

Über die Arbeit von Forensic Architecture in den Fällen NSU und Golden Dawn.

Information

Event location

Aquarium
Skalitzer Str. 6
10999 Berlin

Date

03.12.2018

With

Stefanos Levidis, Forensic Architecture; Caro Keller, NSU-Watch; N.N., Golden Dawn Watch; Ayşe Güleç, The Society of Friends of Halit

Themes

Ungleichheit / Soziale Kämpfe, Rassismus / Neonazismus, Europa, Westeuropa, Südosteuropa, Europa links, NSU-Komplex, Griechenland

NSU-Tatort in Kassel - Modell von Forensic Architecture

Die Szenen sind bedrückend. Der kurze Film zeigt eine verschwommene Aufnahme, wie mehrere Mitglieder der neonazistischen Partei «Die Goldene Morgenröte» (Golden Dawn - engl., Chrysi Avgi - gr.) auf ihren Motorädern am Tatort ankommen, während die Polizei schon da ist. Kurze Zeit später ist der griechische antifaschistische Rapper Pavlos Fyssas tot – erstochen von Giorgos Roupakias, einem Mitglied von Chrysi Avgi.

Im Saal ist es mucksmäuschenstill und der Moderator Fritz Burschel muss erst einmal tief durchatmen. An die einhundert Menschen haben sich im Aquarium@Südblock am Kottbusser Tor versammelt und wollen mehr über die Möglichkeiten von Forensic Architecture (FA) wissen, bei der Aufklärung von Gewaltverbrechen der Wahrheit näher zu kommen.

Die Arbeit von FA versucht eine Lücke zu füllen: Das Fehlen von unbefangenen, aufklärenden, ehrlichen Recherchen des Staates in schwerwiegenden juristischen Fällen, vor allem da, wo die Behörden möglicherweise eine Rolle gespielt haben. Die unabhängige Institution, angebunden an die Goldsmith University in London betreibt Sisyphusarbeit. Im Fall Fyssas hieß das, aus unzähligen Polizeiberichten, Videos und Tonaufnahmen akribisch Zeiten, Bilder, Geräusche und Zeugenaussagen neben- und übereinanderzulegen, um so dem Tathergang möglich genau rekonstruieren zu können. Die Polizei hatte damals behauptet, sie wäre erst am Tatort angekommen als Fyssas schon tot war.

Mit der gleichen Akribie konnte FA zur Ermordung von Halit Yozgat im April 2016 in seinem Internetcafé in Kassel durch zwei gezielte Pistolenschüsse in den Kopf belastendes Beweismaterial erstellen. Damals war zur Tatzeit Andreas Temme, ein Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) anwesend. Er hatte vor Gericht immer wieder behauptet, er habe weder etwas gehört, noch beim Verlassen des Internetcafes die Leiche von Yozgat hinter dem Tresen gesehen. FA konnte durch den Nachbau des Internetcafes und mehrere Tests eindeutig nachweisen, dass Temme sehr wohl die Leiche gesehen, als auch die Schüsse gehört haben muss.