Die erste deutsche Einheit von 1871 wie die zweite von 1990 waren in europäische, ja planetarische Umbrüche eingebettet. Beide waren verbunden mit medialen Revolutionen: Der nach 1871 expandierende Zeitschriftenmarkt brachte die Welt wie nie zuvor in die Bürgerstuben, ein globales Korrespondentennetzwerk entstand, Schriftsteller publizierten ihre Romane häufig zuerst als Fortsetzungsserien – Netflix auf Papier. Telephone übertrugen das gesprochene Worte mit Hilfe elektrischen Stroms in die weite Ferne, sodass Menschen, die Tausende Kilometer voneinander entfernt waren, historisch erstmalig «in Echtzeit» miteinander kommunizieren konnten. Die erste aufgezeichnete Stimme weltweit, die man noch heute hören kann, gehört Feldmarschall Moltke, das erste Opfer von Paparazzi war Bismarck. Gleichzeitig entwickelten Künstlerinnen und Künstler neue Ausdrucksformen für diese Welt in Bewegung, in der die Eisenbahn zum Zeichen der Zeit sich entwickelte und die Bilder im Film das Laufen lernten.
Als Willy Brandt 1990 den ersten gesamtdeutschen Bundestag eröffnete, da gab es noch kein Internet. Seitdem wandelte und wandelt der digitale Umbruch eine neue Welt in Bewegung. Das Katastrophenzeitalter vor der deutschen Teilung und dem Kalten Krieg bleibt virulent, muss bei heutigem Handeln mitbedacht werden.
Wie soll die deutsche Geschichte erinnert werden? Brauchen wir neue Formen der Aufarbeitung der selbstverschuldeten Verbrechen ohne deren Zeitzeugen? Brauchen wir positive Erinnerungsorte wie etwa die Frankfurter Paulskirche, in der bereits 1848 Demokraten versuchten, eine Republik zu verwirklichen? Wie sollte die deutsche Geschichte verflochten werden mit Erinnerungen unserer Nachbarn und mit der von Menschen mit Migrationsgeschichte unter uns?