19 October 2017 Discussion/Lecture Der Aufstand gegen die Nazigeneration [1967 – 1968]

Information

Event location

SCALA Programmkino
Apothekenstraße 17
21335 Lüneburg

Date

19.10.2017, 19:00 - 21:30 Hr

Zwei Jahrzehnte nach dem Ende des „Dritten Reiches“ stellte ein Aufstand der Generation, die erst im Krieg oder kurz danach geboren worden war, das Verhalten der eigenen Eltern ab 1933 wie deren Umgang damit nach dem 8. Mai 1945 radikal in Frage.
Hatten die Eltern ihre Nachkriegsidentität durch Auslöschung der Nazizeit aus der Erinnerung gewonnen, so begründeten ihre Töchter und Söhne  eine neue Identität, indem sie die Verbrechen des NS-Regimes und deren Leugnung nach dem Krieg zum Angelpunkt der deutschen Geschichte erklärten und die Kritik daran zur Bedingung für das Entstehen einer demokratischen Kultur in der Bundesrepublik machten.
„Wer die Augen nicht im Affekt verschließt, wird zugeben müssen: diese Revolte war für die politische Kultur der Bundesrepublik ein Einschnitt, in den heilsamen Folgen nur übertroffen von der Befreiung vom NS-Regime durch die Alliierten im Jahre 1945.“ So hat der Frankfurter Philosoph und Sozialwissenschaftler Jürgen Habermas rückblickend das beurteilt, was die Bundesrepublik damals erschüttert hat.
Das klingt anders als das, was wir von Politik, Medien und Wissenschaft über den Epochenbruch von 1967/68 seit 50 Jahren erfahren: Entweder dominiert das alte Zerrbild von Chaos, Gewalt und dem Gespenst des Kommunismus oder es wird, ganz auf der Seite des Fortschritts, die Soft-Version von kreativer Subkultur, kultureller Öffnung und politischer Modernisierung offeriert. Habermas hat etwas Anderes erlebt und gelernt:
Für ihn war der 2. Juni 1967, an dem Benno Ohnesorg erschossen wurde, der Tag, der „die Gefahr nicht nur einer schleichenden Austrocknung, sondern einer manifesten Erschütterung der Demokratie in unserm Lande drastisch sichtbar“ gemacht hatte. Und die 68er Generation war für ihn „in Deutschland wirklich die erste, die sich nicht gescheut hat, face to face Erklärungen zu fordern – von den Eltern, den Älteren überhaupt, in der Familie, vor dem Fernsehschirm“.
Sie habe, so Habermas, öffentlich noch etwas viel Größeres gewagt – „die Inszenierung einer Abrechnung mit dem kollektiven Ausweichen vor der deutschen Verantwortung, der historischen Haftung für den Nationalsozialismus und dessen Greuel.“
Inhalt 

Der Film "Mein 68. Ein verspäteter Brief an meinen Vater" versucht 20 Jahre nach dem Ende der Revolte eine im Leben gescheiterte und nur filmisch mögliche argumentative Auseinandersetzung des Autors mit seinem Vater. Dieser, früher NSDAP-Mitglied und nach dem Krieg CDU-Wähler, reagierte auf den politischen Aufbruch der damaligen Studentengeneration und seines eigenen Sohnes, der in Bonn 1965 die Gruppe des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) gegründet hatte, mit hasserfülltem Unverständnis und brach 1968 alle Brücken zu ihm ab.
An diesem Nichthinsehen- und Nichthinhören-Wollen setzt der Film an. Er rekonstruiert auf nachdenkliche und selbstkritische Weise im fiktiven Dialog mit dem Vater die Gründe, die die Studentenbewegung auslösten – das Verschweigen und Verleugnen jeder Mitschuld an den Verbrechen des Dritten Reiches, die Präsenz der Alt-Nazis in Politik, Justiz, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft, die Aushöhlung der Demokratie durch die Notstandsgesetze und die aktuelle neo-faschistische Bedrohung durch den Putsch der Obristen in Griechenland und den möglichen Einzug der NPD in die deutschen Parlamente. Auch die offene Unterstützung der Bundesregierung für das Apartheid-Regime in Südafrika, die Schah-Diktatur in Persien und den Völkermord der USA in Vietnam erschwerte die Begeisterung 68er-Generation für die Bonner Nachkriegsdemokratie und deren Repräsentanten Globke, Kiesinger, Speidel usw. Der Film zeigt auch, warum der Autor selbst zu einem der Aktivisten dieses phantasievollen und sich dann radikalisierenden Protestes wurde, wie ihn die Universität und der Staat dafür mit zeitweiliger Exmatrikulation und Berufsverbot bestraften und was diese politischen Erfahrungen für sein weiteres Leben bedeuteten.

Im anschließenden Vortrag geht es um die Geschichte der Studentenbewegung in den 60er Jahren, insbesondere ihrer Anfänge im Jahr 1961 als sich der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) von der SPD getrennt hat. Es werden die verschieden Stadien beleuchtet bis zum Tod von Benno Ohnesorg am 2.6.1967 und dessen Auswirkungen auf die Studentenbewegung.

Mit Hannes Heer (deutscher Historiker, Regisseur und Publizist)

Eine Veranstaltung des AntiRa-Referat des AStA der Leuphana Universität Lüneburg in Kooperation mit dem DGB Lüneburg und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen.
                

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