Der Elberfelder Arzt Dr. Heinrich Singer wurde am 20. Juli 1933 vom Wuppertaler Landgericht wegen sexuellen Missbrauchs an einem 13jährigen Patienten zu 1 Jahr und 6 Monaten Zuchthaus verurteilt. Nach der Verwerfung der Revision beim Reichsgericht in Leipzig wurde er im November 1933 in das Zuchthaus Münster verlegt, wo der schwer herzkranke und haftunfähige Mann am 17. Dezember starb.
Seine Söhne Hans Wolfgang und Walter Singer kämpften bis 1965 vergeblich um die Rehabilitierung ihres Vaters. Juristisch war der Fall nicht mehr zu klären, weil der einzige Belastungszeuge 1945 in Gefangenschaft gestorben war und somit nicht die Möglichkeit bestand, in einem Wiederaufnahmeverfahren seine Aussagen zu entkräften. Aber es spricht vieles dafür, »dass das Klima des Prozesses« wie sein Sohn Hans Wolfgang schrieb, »einen normalen Prozess unmöglich und das Fehlurteil unvermeidlich« machte.
Heinrich Singer wurde erst während der Gerichtsverhandlung inhaftiert. Auf Anordnung des SA-Polizeipräsidenten Willi Veller erschienen zwei Beamte der politischen Polizei, der späteren Gestapo, bei der nichtöffentlichen Sitzung. Der von der Verteidigung bestellte und bekannte Sachverständige Prof. Dr. Marbe, Leiter des psychologischen Instituts der Universität Würzburg, der seine Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen vorgetragen hatte, wurde schon nach dem ersten Verhandlungstag entlassen. Stattdessen wurde die Glaubwürdigkeit des Zeugen von drei Personen behauptet, an deren Unvoreingenommenheit sehr starke Zweifel bestehen. Von dem Elberfelder Nervenarzt Heinrich Göring, dem ehemaligen Vorsitzenden des Elberfelder Ärztevereins, Sanitätsrat Schulten, und dem Gerichtsassessor Richard Heix.
Der langjährige Redakteur des Wuppertaler Generalanzeigers Wolfgang Müller schrieb 1954: »Die Anschuldigungen wurden von allen, die den verheirateten Mann kannten, (…) nicht geglaubt. (…) Die Veröffentlichung der Familienanzeige ließ natürlich den gesamten Komplex wieder aufleben. Sie wurde dem Generalanzeiger sehr verübelt«.
Bei der Gedenkveranstaltung, die vor dem ehemaligen Haus Singers stattfindet, gehen die Referenten auf dessen Biografie, die Hintergründe des Verfahrens und seinen tragischen Tod ein.
Referenten:
Dieter Nelles ist Vorsitzender des Vereins zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal e.V. Er studierte Sozialwissenschaften an der Bergischen Universität Wuppertal und promovierte an der Universität Kassel mit einer Arbeit über den Widerstand der Internationalen Transportarbeiter (ITF). Zahlreiche Veröffentlichungen über den Widerstand und das Exil der deutschen Arbeiter:innenbewegung und die NS-Geschichte in Wuppertal.
Peter-Paul Prietzel-Düwel ist Rechtsanwalt und lebt in Wuppertal.
Veranstaltungsreihe „1933 – Niemals vergessen!“ Programm 2. Halbjahr (pdf)
Veranstalter:innen: Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal in Kooperation mit Center for International Studies in Social Policy and Social Services der Bergischen Universität Wuppertal, Arbeit und Leben Berg-Mark, Rosa Luxemburg-Stiftung NRW, AStA der Bergischen Universität Wuppertal, GEW Stadtverband Wuppertal, Armin T. Wegner-Gesellschaft.
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