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«Wirtschaftsdemokratie neu denken» im Spannungsfeld von Arbeit, Mitbestimmung und Zukunftsutopien

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Jörg Staude,

Paul Mason, Barbara Fried und Bernd Riexinger auf dem Konferenzpodium
Paul Mason, Barbara Fried und Bernd Riexinger

Die dreitägige Konferenz «Wirtschaftsdemokratie neu denken», die die Rosa-Luxemburg-Stiftung vom 16. bis 18. Februar 2017 in Berlin veranstaltete, widmete sich nicht nur engeren Fragen von Mitbestimmung und betrieblicher Mitsprache der Beschäftigten, sondern wurde auch stark von grundlegenden Fragen über die Zukunft der Arbeit und der Gesellschaft bestimmt.

Einen wesentlichen Grund dafür nannte Barbara Fried vom Institut für Gesellschaftsanalyse bei der RLS am Donnerstagabend auf dem einleitenden Panel «Wirtschaftsdemokratie in Zeiten der Digitalisierung». Die Krise des finanzgetriebenen Kapitalismus habe viele Fragen neu auf die Tagesordnung gesetzt, sagte Fried. «Demokratie und Repräsentation stehen wie selten zuvor unter Kritik, aber einer Kritik von rechts». Das seien keine guten Bedingungen für eine Offensive linker und emanzipatorischer Politik.

Am aktuellen Zustand des Kapitalismus knüpfte dann der britische Kolumnist und Autor Paul Mason ein, der 2016 sein Buch «A Guide to Our Future» veröffentlicht hatte. Mason trug viele Thesen aus seinem Buch vor, das in der deutschen Ausgabe den Untertitel «Grundrisse einer kommenden Ökonomie» trägt.

Die Begründung seiner Grundthese, dass Maschinen in ihrer digitalisierten Variante des 21. Jahrhunderts, künftig so billig und perfekt «arbeiten» würden, dass lebendige menschliche Arbeit so gut wie überflüssig wird, beginnt Mason im Jahr 1602 und bei Galileo Galilei. Dieser habe entdeckt, dass Maschinen eine Kraft nicht verstärkten, also nicht aus dem Nichts schaffen, sondern nur «transformieren» können.

Vom Renaissancegelehrten schlug Mason den Bogen zu Karl Marx, der dann aufgedeckt habe, dass die Maschinen - ökonomisch übersetzt das «fixe» Kapital - an sich keine Wertschöpfung vollbringen, sondern nur vergangene, in ihnen gespeicherte «lebendige Arbeit» stückchenweise weitergeben, dass also nur menschliche Arbeit wirklich wertschöpfend sein kann.

Diese an und für sich nicht neue Erkenntnis sieht Paul Mason in der Moderne offenbar mit zwei neuen Umständen konfrontiert - zum einen mit der Wissensgesellschaft, in der einmal geschaffene Informationen beliebig oft kopiert und sichtlich ohne Verschleiß genutzt werden können. Zum anderen unterlägen die wissensverarbeitenden Digitalisierungs«maschinen» (Computer, Software u.a.) einer so geringen Abnutzung, dass sie sich einer idealen, «ewigen» Maschine näherten, die ohne Kosten produziere.

Für Mason stellt sich die Zukunft als eine weitgehend arbeitsfreie Gesellschaft dar: Zwar benötigten Computer derzeit noch menschlichen Input, aber auch diese wenige menschliche Arbeitskraft würde bald durch künstliche Intelligenz ersetzt, bekräftigte er auf dem Podium.

Mason berief sich auch hier auf Marx, der sich, wie er erzählte, eines Nachts in London vorgestellt habe, was passiere, wenn Maschinen, die nichts kosteten und ewig hielten, die menschliche Arbeitskraft weitgehend ersetzten. Von dem Punkt aus war es für Mason nur logisch, vom Podium aus die Linke aufzufordern, über Utopien, die noch auf Arbeit beruhten, hinauszugehen. «Die Regulierung der Gesellschaft muss auf Grundlage einer weitgehend arbeitsfreien Gesellschaft neu durchdacht werden», sagte er.

Von der Position aus verwunderte es nicht, dass Mason der Idee einer «industrial democracy», der Verbesserung der Situation der Arbeiter am Arbeitsplatz skeptisch gegenübersteht. «Auf der Grundlage von Arbeit, auf der Basis der Ideen aus dem 18 Jahrhundert eine Arbeiterkontrolle durchzusetzen, wird immer schwerer, wenn das Arbeitsverhältnis obsolet wird.»

Als Alternative plädierte Mason dafür, die Gedanken «nach vorn» zu spulen, «in die Zukunft zu springen». Wenn Arbeit so sehr automatisiert würde, müssten Einkommen und Arbeit entkoppelt werden.

Bernd Riexinger, Co-Vorsitzender der Linken, wertete auf dem Podium Masons Beitrag als Zeichen dafür, dass die Zeit reif ist für eine neue Debatte um einen neuen Sozialismus. Riexinger sieht die Demokratie gegenwärtig von zwei Seiten bedroht: Zum einen von Leute des Schlages Trump, die die Demokratie in Richtung eines autoritären Kapitalismus entwickeln wollten. Nun, so Riexinger, dringe die Wirtschaft direkt in den Staatsapparat ein, die Wirtschaft sitze selbst an den Hebeln der Regierung.

Zum anderen unterhöhle die wachsende prekäre Beschäftigung die Organisationskraft der Gewerkschaften und fördere den Demokratieabbau. Den Zwang zu befristeter und zu Leiharbeit erlebten die Menschen als tagtägliche materielle Gewalt. «Die Menschen haben das Gefühl, dass sich wirtschaftliche in politische Macht verwandelt. Die Parteien sehen keine andere Perspektive als die Ausführung der wirtschaftlichen Macht», warnte Riexinger. «Die Demokratisierung der Wirtschaft wird zu einer Schlüsselfrage, um den autoritären Kapitalismus zu stoppen.»

Aus Sicht von Riexinger weist auch die Digitalisierung nicht über den Kapitalismus hinaus. «Der 3-D-Drucker bricht die Trennung von Kapital und Arbeit nicht auf», sagte er. Der Wandel der Industriegesellschaft ist für Riexinger aber nicht nur ein «Bedrohungsszenario», sondern könne auch die Chancen für ein stärker selbstbestimmtes Arbeiten erhöhen.

Dass die Computerisierung der Gesellschaft die Arbeit ausgehen lässt - diese Auffassung von Mason teilte Riexinger auf dem Podium ausdrücklich nicht und verwies auf den wachsenden Bereich sozialer Dienstleistungen. 80 Prozent der Beschäftigten gehörten heute schon dem Dienstleistungssektor im weitesteten Sinne an. «In Deutschland ist die Arbeiterklasse so groß wie nie und der industrielle Anteil davon so klein wie noch nie», bilanzierte Riexinger.

Auch Wirtschaftsdemokratie werde, betonte er, per se nicht über den Kapitalismus hinausreichen. Deswegen benötige man für die gegenwärtige Krise Lösungen, die auch Chancen zu einem demokratischen und ökologischen Sozialismus eröffnen. Riexinger fühlte sich hier an einen Slogan aus den 60er Jahren erinnert: «Von der Mitbestimmung zur Selbstbestimmung».

Riexinger nannte insbesondere drei Säulen, auf denen sich eine Alternative zur wachsenden Entdemokratisierung der Wirtschaft aufbauen könnte. Absolut in den Vordergrund der Auseinandersetzung gehört für ihn der Kampf um ein, wie er sagte, «neues Normalarbeitsverhältnis». Allerdings solle das Leben nicht mehr wie bisher in hohem Maße um die Arbeit kreisen, sondern das Leben um die Arbeit. Die Unterbeschäftigung mit prekärer Teilzeit auf der einen und die strukturelle Überbeschäftigung auf der anderen Seite mit Arbeitszeiten von 50 bis 60 Wochenstunden müsse ausgeglichen werden. Es gehe um eine neue Normalität bei 30 Wochenstunden und vollem Lohnausgleich.

Die zweite Säule ist für Riexinger eine massive Ausdehnung der betrieblichen Mitbestimmung. Aktuelle Beispiele wie der Verkauf von Opel an Peugeot, über den die Beschäftigten noch nicht einmal informiert wurden, dürfe es nicht mehr geben.

Als dritte Säule plädierte Riexinger für eine demokratische Rahmen- und Wirtschaftsplanung in Richtung eines sozialökologischen Umbaus, für einen Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und von Gemeingütern. Stärker müsse die Produktion auch bedarfs- und bedürfnisorientiert und von den Konsumenten her bestimmt werden.

Schließlich seien die «horrenden Aufgaben» zu lösen, der Klimawandel zu bewältigen und der Ressourcenverbrauch zu senken, ohne dabei in das Bild eines «Green New Deal», eines grün angestrichenen Kapitalismus, zu verfallen. «Die Förderung der Gemeinwohlökonomie gehört ins Grundgesetz und nicht die Schuldenbremse».

In der Debatte verweist Mason darauf, dass viele der jüngeren prekär Beschäftigten nicht mehr in die Welt zum Beispiel der Opelarbeiter zurück wollten. Man könne diese Menschen nicht in Projekte zurückholen, in denen Arbeit keinen Wert hätte.

Riexinger widersprach dem: Es stimme nicht, dass prekäre Beschäftigte kein Interesse hätten, in geregelte Arbeit zurückzukehren, möglicherweise weniger in das klassische Normalarbeitsverhältnis. Die Sehnsucht aber, in geregelte Verhältnisse zu kommen, sei Teil aktueller Kämpfe.

Die Klärung grundsätzlicher Fragen zur Wirtschaftsdemokratie setzte sich am Freitag fort. Beim Eröffnungspanel musste die angekündigte Alexandra Scheele von der Uni Bielefeld aus gesundheitlichen Gründen absagen.

Alex Demirović von der Rosa-Luxemburg-Stiftung knüpfte an Paul Masons Ausführungen vom Vorabend an und stellte fest, dass sich angesichts von Deindustrialisierung und den sektorellen Verschiebungen Wirtschaftsdemokratie nicht mehr allein auf «industrial democracy» beziehen kann.

Diese Ausweitung führte Demirović auf Debatten schon aus den 1970er Jahren zurück, die stark auf den Begriff der Würde aufbauten. Die damalige grundlegende Kritik an der Inwertsetzung des menschlichen Arbeitsvermögens knüpfte an Bürgerrechten an, die in die betriebliche Sphäre hinein «verlängert» wurden. Allerdings sei die Kritik damals nicht so weit gegangen, dass das Lohnarbeitsverhältnis grundlegend kritisiert worden ist.

Für Demirović ist nach wie vor die Frage unbeantwortet, ob Wirtschaftsdemokratie im Kern ein reformerisches Konzept ist oder ob sie auch einen transformatorischen Weg öffnet und die Perspektiven einer sozialistischen Transformation mit im Blick hat.

Darauf eingehend erinnerte Heinz Bierbaum von der LINKEN Saarbrücken in seinem Vortrag «Ein bisschen mixed Economy oder sozialistische Transformation?» daran, dass diese Fragen, die sich mit dem Konzept der Wirtschaftsdemokratie verbinden, schon eine lange Tradition besitzen und bis auf Arbeiten von Fritz Naphtali Ende der 1920er Jahre zurückgehen.

Naphtali hatte damals, referierte Bierbaum, ein sehr umfassendes Konzept der politischen Steuerung der Wirtschaft bis hin zur Klärung eines Weges zu einer sozialistischen Gesellschaft vorgelegt. Später sei das Konzept in der westlichen Nachkriegsdebatte dann in Richtung einer demokratischen Kontrolle durch Beauftragte der gewerkschaftlichen Bewegung verändert worden. Selbst dieses Konzept sei dann immer stärker in den Hintergrund gedrückt worden - in Richtung einer sozialpartnerschaftlichen Konzeption.

Bierbaum kritisierte ebenfalls die derzeit sehr enge Umsetzung betrieblicher Mitbestimmung. Selbst die Möglichkeiten des Mitbestimmungsgesetzes würden auf der Ebene der Aufsichtsräte nicht sehr offensiv wahrgenommen. «Die Bestimmung der Unternehmensstrategie ist vor allem den Kapitalseite vorbehalten - auch das muss überwunden werden.» Ziel müsse dabei nicht die höchstmöglich profitable, sondern die nachhaltige Entwicklung der Unternehmen, die Stärkung ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft sein.

Bei Wirtschaftsdemokratie geht es für Bierbaum letztlich auch um die Frage, was und wie produziert werden soll. Deswegen müsse davon der Arbeitsprozess selbst erfasst werden, die Beschäftigen sollten überhaupt Zeit und Kraft für die Mitbestimmung haben. Deswegen sei auch der kapitalistischen Verdichtung des Arbeitsprozesses Grenzen zu setzen.

Dennoch bleiben für Bierbaum die demokratischen Möglichkeiten begrenzt, die zum Beispiel Genossenschaften, eine starke öffentliche Beschäftigung und die Staatsunternehmen bieten. Wolle man eine politische Steuerung der Gesellschaft an den Bedürfnissen der und durch die Menschen erreichen, bedürfe es eines anderen Bezugsrahmens, der über die kapitalistische Gesellschaft und deren Ausrichtung an der Rendite hinausreicht, sagte er.

Als entscheidend für diese gesellschaftliche Veränderung sieht Bierbaum die Eigentumsfrage, die in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung zu stellen ist. «Das von der Arbeit getrennte Privateigentum an Produktionsmitteln ist ein Ausdruck der kapitalistischen Verhältnisse, die Aufhebung des Privateigentums ist Voraussetzung für eine wirklich demokratisch organisierte Gesellschaft.»

Das schon verschiedentlich auf der Tagung angesprochene Konzept der gesellschaftlichen Steuerung der Wirtschaft müsse letztlich auf eine sozialistische Transformation der Gesellschaft zielen, betonte er. Die betriebliche Ebene sieht Bierbaum dabei als Ausgangspunkt für entsprechendes praktisches Handeln. Genossenschaften und andere Formen böten die Möglichkeit, Hierarchien abzubauen und könnten sich als «Laboratorien» für eine sozial verantwortliche Unternehmenspolitik etablieren. Diese Ebene müsse aber in überregionale Konzepte und Rahmenordnungen eingebettet werden. So könne der Druck der kapitalistischen Konkurrenz abgemildert werden. «Ein nur betrieblicher Ansatz führt sehr schnell zu einem Ende der Beteiligungsmöglichkeiten», ist sich Bierbaum sicher.