Presse release | Wo ist Moskau?

In Berlin diskutierten Autoren des Buchs »Links oder lahm?« (rbi aktuell, 12.6.2006)

Zwei Tage, nachdem der Heilige Geist in die Apostel gefahren war und sie zu predigen begannen in allen Sprachen, kam er auch in der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu Berlin nieder. Und das Resultat war das nämliche: Sie redeten in verschiedenen Sprachen. Anlaß der Zusammenkunft war die Vorstellung eines von Hans-Modrow und Ulrich Maurer herausgegebenen Sammelbandes, des zweiten dieser Art binnen eines Dreivierteljahres. Nachdem im September mit »Überholt wird links« (edition ost) die Richtung für die von PDS und WASG angestrebte Fusion vorgegeben wurde, reflektieren nunmehr in »Links oder lahm?« 21 Autoren den Stand dieses Prozesses. Einige von ihnen saßen auf dem Podium, andere im Auditorium.

Die Buchvorstellung geriet zur lebhaften, nahezu dreistündigen Debatte. Modrow unterstrich wiederholt, daß man sich in einem Prozeß der Annäherung befinde, dessen Ausgang keineswegs sicher sei. Skepsis war auch bei anderen Diskutanten herauszuhören, vor allem bezüglich der strategischen Option. Jürgen Elsässer meinte, man müsse die Machtfrage stellen und sich von der Illusion befreien, man kriege den Kapitalismus gezähmt. Nicht unerwartet erntete er damit Widerspruch von Dieter Klein, der Elsässer vor Vereinfachungen warnte. Da fuhr ihm Michael Schaaf, Hamburger Juso, heftig in die Parade. Er forderte klare Ansagen bei den Linken, die sich nicht auf Sozialstaatsfragen beschränken dürften. Und erfrischend frei von hierzulande üblichen Verrenkungen, wenn es um den untergegangenen Frühsozialismus geht, bekannte er sich uneingeschränkt zu dessen Wert. Wenn man in der Bundesrepublik über soziale Fragen verhandelte, habe »Moskau« immer als dritter Verhandlungspartner mit am Tisch gesessen, ganz zu schweigen von den internationalen Beziehungen, wo seit dem Ende des Warschauer Paktes die USA ungezügelt auf der Welt schalten und walten. »Wo ist Moskau heute?« fragte er rhetorisch.

Helge Meves von der »Steuerungsgruppe« des Fusionsprozesses, der zunächst über den am Tage konzipierten Fahrplan berichtet hatte (Herbst Vorlage der Gündungsdokumente, Parteitage im Februar 2007, Urabstimmung in WASG und Linkspartei.PDS, im Sommer 2007 Gründungsparteitag, 2008 Programmparteitag, 2009 Bundestagswahl) warnte, wen auch immer, vor akademischen Debatten. Man befände sich unverändert in einem Verteidigungskampf, noch immer gehe es darum, Positionen zu halten und nicht darum, neue zu erobern.