Presse release | Privateigentum, bitte betreten

Im Gespräch: Dieter Klein, Ökonom und PDS-Programmatiker, über den rätselhaften Verbleib des anschwellenden Reichtums (Freitag 28, 7.7.2006)

FREITAG: Über Armut und Reichtum ist vieles bekannt. Gibt es noch Lücken der Aufklärung, die zu füllen wären?

DIETER KLEIN: Ja, die hochaktuelle Frage lautet: Wer profitiert in welchem Umfang von dem anschwellenden, übrigens vorwiegend männlichen Reichtum? Denn die "Ökonomie der Enteignung", die sich in Deutschland mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen vollzieht, wird mit dem zentralen Mythos begründet, dass einfach nichts mehr da sei für soziale Leistungen. Richtig ist dagegen, dass die Bundesrepublik noch nie so reich war wie heute. Und in gewisser Weise gilt das auch für den Globus insgesamt. Zum ersten Mal in der Geschichte wäre für alle Erdbewohner ein menschenwürdiges Leben möglich.

Möglich aber nur, wenn man in die Heiligkeit der vorhandenen Vermögensmassen eingreift. Was ist so rätselhaft am Verbleib des Reichtums, wie es im Untertitel Ihres neuen Buches heißt?

Das ist keine nur rhetorische Frage. Denn fast immer, so auch in den Armuts- und Reichtumsberichten der Bundesregierung, werden die wirklichen Verteilungs- und Machtverhältnisse weitgehend ausgeblendet. Dass auf ein Prozent der Weltbevölkerung, auf die Reichsten der Erde, ein Einkommen entfällt, das dem von 57 Prozent der Menschheit entspricht, ist dort nicht zu erfahren. Auch nicht, dass 4.400 Deutsche, darunter 55 Milliardäre und Multimilliardäre, zu den 70.000 Superreichen der Erde mit einem reinen Finanzvermögen von jeweils mehr als 30 Millionen Dollar zählen. Auf der anderen Seite haben die untersten zehn Prozent der Haushalte in Deutschland einen Anteil am Gesamtvermögen von minus 0,6 Prozent. Das heißt, das "Vermögen" von mehr als drei Millionen Haushalten besteht aus Schulden.

Wird mit solchen Zahlen die Reichtumsfrage nicht auf die Verteilungsfrage verengt?

Genau das geschieht in meinem Buch nicht. Die Einkommens- und Vermögenspolarisierung ist nur ein erster, allerdings wesentlicher Aspekt. Zweitens geht es um Reichtumsvernichtung. So hat beispielsweise der Krieg im Kongo eine ganze Volkswirtschaft zerstört und bis zu vier Millionen Menschen das Leben gekostet. Er wurde unter anderem um Rohstoffe wie das seltene Erz Coltan geführt, aus dem Tantal für elektronische Produkte gewonnen wird. Es landet über dunkle Kanäle zum Beispiel bei einem Tochterunternehmen des Bayer-Konzerns. Die Zerstörung von Leben und Lebenschancen hat heute gewaltige Dimensionen. Bis 2050 werden Umweltschäden durch Klimawandel, also Reichtumsvernichtung, in einer Höhe von insgesamt 214 Billionen Dollar erwartet. Drittens wächst der Reichtum zum Teil in Gestalten, die für die Bevölkerungsmehrheit einem Verlust von Lebenschancen gleichkommen. Beispiele sind die auf eine Billion Dollar angestiegenen Rüstungsausgaben, spekulative Finanzanlagen, mafioser Handel mit Drogen, Frauen, Kindern und knappen Ressourcen. Viertens werden potenzielle Reichtumsquellen blockiert. Nicht nur durch Umweltzerstörung, sondern auch durch Arbeitslosigkeit, Bildungsdefizite und vermeidbare Krankheiten, die Hunderte Millionen Menschen betreffen. Es geht also um viel mehr als um Verteilungsgerechtigkeit. Reichtum, der sich selbst deformiert und zerstört, ist Ausdruck einer kranken Gesellschaft.

Ein wenig scheinen das auch Bill Gates und Warren Buffett zu spüren, die beiden reichsten Männer der Welt, die jetzt gemeinsam ihre Milliarden auch für humanitäre Anliegen einsetzen wollen.

Dass es eine Kluft gibt zwischen den eigenen, bisweilen durchaus humanitären Vorstellungen als Bürger und den ökonomischen Konkurrenzzwängen, haben einzelne Superreiche immer wieder reflektiert. In Deutschland leider viel zu wenig. Buffetts Warnung vor dem Reichtum, der sich in Familiendynastien verfestigt, hat man aus dem Munde deutscher Milliardäre noch nicht gehört. Aber jenseits individuellen Samaritertums brauchen wir vor allem eine Diskussion über Strukturen und Folgen heutiger Reichtumsformen. Für mich ist die entscheidende Frage dabei: Soll es künftig weiter um die Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums als Kapitalreichtum gehen oder darum, den Humanreichtum, den Reichtum der Persönlichkeitsentfaltung als wirklichen Reichtum zum zentralen Maß gesellschaftlicher Entwicklung zu machen? Wer sich darauf einlässt, Menschen als Kostenfaktoren zu denken, kann schwerlich Alternativen denken. Der ist in Talkshows und erst recht in den Kämpfen vor Ort dem Mainstream hilflos ausgeliefert. Wenn aber Selbstbestimmung über das eigene Leben als wichtigstes Ziel die Politik leitet, dann sind beispielsweise Mindestlöhne und soziale Grundsicherungen eben nicht vorwiegend als Kostenfragen, sondern als elementare Bedingungen für ein menschenwürdiges Dasein zu behandeln.

Wie kann diese Umkehr gelingen?

Den "Intimschutz" zu beseitigen, den heute die riesigen Privatvermögen genießen und für ihre Macht nutzen, ist eine erste wichtige Aufgabe. Diese Quellen der Macht und der politischen Einflussnahme dürfen nicht im Dunkeln bleiben. Ihnen Schritt für Schritt die Legitimation zu entziehen, reicht aber nicht aus. Denn die empörenden und oft schockierenden Tatsachen, auf die man stößt, wenn man sich ernsthaft und nicht nur oberflächlich, wie in den Berichten der Bundesregierung, mit Reichtum und Armut beschäftigt, können leicht zu linkem Radikalismus verführen. Wer Kapitalvermehrung als Kriterium gesellschaftlicher Entwicklung zurückdrängen und für das sorgen will, was Marx einst den Reichtum der menschlichen Natur nannte, muss auch auf jedem einzelnen Politikfeld angeben, wie es zu einem politischen Richtungswechsel kommen kann. Reichtum als Bildung und Kultur, als Gerechtigkeit und Freiheit - das ist nicht nur eine Vision, sondern auch eine reale Möglichkeit, die in den heutigen Verhältnissen schlummert.

Das Gespräch führte Hans Thie

Dieter Klein, Milliardäre - Kassenleere. Rätselhafter Verbleib des anschwellenden Reichtums, Karl Dietz Verlag; Berlin 2006, 246 Seiten, 14,90 EUR