Presse release | Völkische Solidarität

Neoliberalismus und Rechtsextremismus in Europa (Neues Deutschland, 22.2.2007)

Rechtsextremistische Parteien und Tendenzen haben sich in den letzten Jahrzehnten in Europa stark ausgebreitet. In mehreren europäischen Staaten sind sie zu realen Bedrohungen geworden. Worauf ist diese Zunahme zurückzuführen? Welche Zusammenhänge gibt es zwischen dem Vorherrschen des Neoliberalismus und dem Anwachsen rechtsextremer Potenziale in Europa? Inwieweit hat sich der Rechtsextremismus gewandelt? Welche Erkenntnisse ergeben sich aus einer sozial- und politikwissenschaftlichen Analyse der verschiedenen Spielarten des Rechtextremismus, der unterschiedlichen Verbreitung rechtsextremer Parteien in den europäischen Staaten, der differenzierten Akzeptanz rechtsextremer Auffassungen in verschiedenen sozialen Schichten und Milieus und Altersgruppen? Welche Schlussfolgerungen haben daraus Linke zu ziehen? Diese und weitere Fragen werden in dem von Peter Bathke und Susanne Spindler herausgegeben Buch untersucht und großteils überzeugend beantwortet.
25 Autoren aus fünf Ländern, darunter viele im linken Diskurs der Bundesrepublik bekannte Wissenschaftler wie Christoph Butterwegge, Klaus Dörre, Elisabeth Gauthier, Christina Kaindl, Herbert Schui und Bodo Zeuner, befassen sich mit dem Thema Rechtsextremismus am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Es ist gut, dass die Autoren nicht versuchen, einfache und »endgültige« Antworten zu geben. Aus den auf umfangreiche soziologische Befragungen gestützten Analysen wird deutlich, dass die Zusammenhänge zwischen der sozialen Lage des einzelnen Individuums – Langzeitarbeitslosigkeit, Ausgrenzung, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, soziale Unsicherheit, Zukunftsangst – und der Anfälligkeit für rechtsextremistische Ideologie sehr komplex und vielfältig sind. Sie werden durch politische und moralische Zwischenglieder vermittelt, verstärkt oder verhindert. In mehreren Beiträgen werden wichtige Veränderungen in den Formen des Rechtsextremismus und seine zunehmende Differenzierung auch nach Globalisierungsverlierern und -gewinnern untersucht.
Neben den völkischen Nationalismus in Bevölkerungskreisen, die Angst vor einem »Turbo-Kapitalismus« haben, tritt ein Standortnationalismus, den in erster Linie solche Schichten unterstützen, die von einer neoliberalen Globalisierung profitieren und die den »Umbau« des Wohlfahrtsstaates nach Marktgesetzen forcieren sowie die soziale Ausgrenzung der weniger Leistungsfähigen intensivieren möchten, schreibt Butterwegge. Dörre hebt als Ergebnis umfangreicher empirischer Untersuchung »die Existenz eines rechtspopulistischen Potenzials, das sich aus höchst unterschiedlichen, z. T. geradezu gegensätzlichen Motiven und Interessenlagen speist«, hervor. Kaindl weist darauf hin, dass »zentrale Mobilisierungspunkte der extrem Rechten« sich gegen Globalisierung, Liberalismus, Sozialabbau richten und gleichzeitig die »gute alte Arbeit« und Arbeiterrechte verteidigen. Solche Argumente sind wiederum eingebunden in Konzepte von »völkischen Solidargemeinschaften«, die die Probleme von Arbeitsplätzen und Sozialleistungen durch Ausgrenzung von Ausländern und sozial Schwachen lösen wollen. Und in einer europäischen Studie heißt es: »Empfänglich für die Themen der extrem Rechten sind diejenigen, denen die Mittel zu ihrer sozialen Reproduktion fehlen.«
Recht problematisch erscheint mir die ohne weitere Differenzierung und Erklärung vertretene These im Beitrag von Fichter, Stöss und Zeuner: »Wenn Prekarität aber mit autoritären Überzeugungen oder sogar mit systemkritischen Orientierungen verbunden ist, dann sind mit hoher Wahrscheinlichkeit starke rechtsextreme Neigungen vorhanden.« Um Missverständnissen vorzubeugen, müsste doch zumindest zwischen einer rechten – autoritären, antidemokratischen – Systemkritik, und einer linken, antiautoritären, die demokratischen Grundrechte verteidigenden und ihre praktische Durchsetzung fordernden Systemkritik unterschieden werden. Ungeachtet dieser Anmerkung ist diesem Band eine starke Verbreitung zu wünschen. Er kann eine wichtige Hilfe sein für die weitere Ausarbeitung und Qualifizierung von Strategien und Handlungsoptionen im Kampf gegen den Rechtsradikalismus.

Peter Bathke/Susanne Spindler (Hg.): Neoliberalismus und Rechtsextremismus in Europa. Zusammenhänge. Widersprüche. Gegenstrategien. Rosa-Luxemburg-Stiftung. Karl Dietz, Berlin 2006. 225 S., br., 14,90 EUR.