Presse release | Der neue Feminismus ist neoliberal

Vortrag von Frigga Haug im Kölner DGB-Haus. Mit ihrem Buch „Das Eva-Prinzip“ hat es Eva Hermann Mitte 2006 geschafft, sich eine große mediale Aufmerksamkeit zu sichern, behauptet sie doch, es sei die Natur der Frauen, sich um Haushalt und Kinder zu kümmern. Und nicht nur in der CDU hat die Diskussion um Kinderkrippenplätze große Wellen geschlagen. Feministische Themen stehen also wieder auf der Tagesordnung – oder? (NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung, 28.3.2007)

Prof. Dr. Frigga Haug, sozialistische Feministin, griff die einzelnen Stränge der derzeitigen Debatte am 21. März im Großen Saal des Kölner DGB-Hauses auf. Eingeladen hatten die Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW interner Link folgt<http://www.rls-nrw.de/> , der Rosa-Luxemburg-Club Köln interner Link folgt<http://www.rosa-luxemburg-club-koeln.de/> , Linker Dialog Köln und das Sozialistische Forum Rheinland interner Link folgt<http://www.sf-rheinland.de/> . Etwa neunzig Interessierte unterschiedlichen Alters, zum größeren Teil Frauen, waren gekommen, um Haugs Vortrag zu den „Attacken gegen den abwesenden Feminismus“ zu hören

Schwarze Konjunktur des Feminismus

Seit 2006 würden verstärkt Attacken gegen den Feminismus geführt und dies, so Haug, sei verwunderlich, da dieser, auch aus ihrer Sicht, nicht mehr lebendig sei. Im Gegenteil, eher verzweifelten Feministinnen in der gegenwärtigen „Zeit der politischen Lähmung“. „Jetzt kommen die merkwürdigen Attacken gegen den Feminismus, angeführt von der FAZ, sekundiert vom Spiegel und unterfüttert von der ZEIT. Auch die taz greift den Feminismus auf, ironisch zwar, aber sie stellt ihn ebenso in Frage.“ Während konservative Zeitungen zum Beispiel titelten „Unter Wölfen interner Link folgt<http://service.spiegel.de/digas/servlet/dossieransicht/S7013531> “ (6. 3. 2006, Spiegel) oder „Politische Geschlechtsumwandlung interner Link folgt<http://www.faz.net/s/RubFC06D389EE76479E9E76425072B196C3/Doc%7EE19A6FC7720554E81829007B25E33D7E4%7EATpl%7EEcommon%7EScontent.html> “ (20.6. 2006, FAZ), griffen eher linksgerichtete Medien das Thema mit Überschriften wie „Wir brauchen einen neuen Feminismus interner Link folgt<http://www.zeit.de/2006/35/Feminismus-Editorial> “ (24.8. 2006, ZEIT) auf.

Ein eindeutiges Bild lasse sich nicht zeichnen. Viele der Beiträge seien in sich selbst widersprüchlich. Ihrer Meinung nach gebe es jedoch zwei Richtungen, aus denen der Feminismus attackiert werde. Die eine sage, er sei zu stark und müsse zurückgedrängt werden, für die andere sei er schon tot.

Analogie zur Sozialismus-Debatte

Diese Beobachtungen führten Haug zu zwei Thesen: Zum einen gebe es einen lebendigen Antifeminismus ohne einen lebendigen Feminismus, und zum anderen schwiegen die Feministinnen, weil sie sich besiegt fühlten, so dass die Schreie der Antifeministinnen laut zu hören seien. „Das ist vergleichbar mit der Debatte nach 1989. Da wurde kein gutes Haar an den sozialistischen Staaten gelassen, und die Verteidiger waren kaum hörbar.“, sagte Haug. „Mit der Leerstelle, die der Sozialismus hinterlassen hat, konnte nur noch der Feminismus als systemkritisches Modell dienen.“ Gerade dies aber werde heute als illegitim gebrandmarkt.

Gleichzeitig gebe es Kampagnen, die zeigen sollten, dass Frauen die Welt entweder erobern oder sie schon jetzt regieren. Hier erinnerte Haug an eine Serie in der FAZ aus dem Jahr 2005, in der Verlegerinnen interner Link folgt<http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc%7EE151B15B1012A4DF8855D7EBC5F20C6A4%7EATpl%7EEcommon%7ESspezial.html>  in Deutschland portraitiert wurden. Die Motivation der FAZ zu dieser Serie könnte, so Haug, in der Annahme liegen, dass Verlage das Denken der Menschen immens beeinflussen. Mit der Serie suggeriere die FAZ deshalb, Frauen seien sehr mächtig.

Der neue Feminismus

Auch das Buch „Die neue F-Klasse“ von Thea Dorn ordnete Haug in diesen Zusammenhang ein. Dorn werfe dem „alten Feminismus“ vor, wehleidig gewesen zu sein und das Opfertum gepflegt zu haben. Jetzt hingegen, so Dorn, komme der eigentliche Feminismus und zeige, dass auch Frauen zur Elite gehören könnten. Aus Haugs Sicht verteidigt Dorn jedoch nicht den Feminismus: Den ursprünglichen, systemkritischen Anspruch des Feminismus, Gerechtigkeit für alle zu erstreiten, greife sie erst gar nicht auf. Dorns Kampf sei ein individueller und ihr Feminismus nur ein Zerrbild.

Der neue, individuelle „Feminismus“ passe, so Haug, sehr gut ins neoliberale Projekt. Dieses baue darauf auf, die Menschen zu individualisieren, sie auf sich selbst zurück zu verweisen und ihnen jeglichen Anspruch auf die Solidarität der Gesellschaft abzusprechen. Um den Weg für diesen neuen Feminismus frei zu machen, sei es nötig gewesen, den alten Feminismus zu diskreditieren. „Aber wir sollten uns davor hüten, hier in Verschwörungstheorien zu verfallen“, warnte Haug, „es gab keinen Masterplan“, auch wenn die Debatte diesen Eindruck erwecken könne.

Kein Erste-Klasse-Ticket auf der Titanic

Zum Abschluss wagte Haug einen Blick nach vorn. „Wie denken wir Fortschritt?“ fragte sie. Es sei nicht richtig, einfach gegen die Erfüllung der Forderungen von oben zu sein. Vielmehr gehe es darum, genau zu analysieren, welche Forderungen der feministischen Bewegung in das System integriert worden und welche verloren gegangen seien. „Der Feminismus war nie nur ein Erste-Klasse-Ticket mit Fensterplatz auf der sinkenden Titanic, sondern es ging immer um die grundsätzliche Änderung des Systems und um Gerechtigkeit für alle.“