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Der britische Autor Paul Mason im Interview zum BREXIT, den Wahlen in Großbritannien und seiner Vorstellung einer linken progressiven Allianz.

Paul Mason
Paul Mason in Berlin, 2016 (Rosa-Luxemburg-Stiftung)

Johanna Bussemer: Paul, am 8. Juni finden die vorgezogenen britischen Parlamentswahlen statt. Kannst Du die derzeitige Stimmung in Großbritannien vor den bevorstehenden Wahlen kurz beschreiben?

Paul Mason: Premierministerin Theresa May hat diese Wahlen angesetzt, um ein starkes Mandat für ihre BREXIT Verhandlungen zu bekommen. Aber alles was sie sagt ist: «Vertraut mir, ich werde eine starke Regierung bilden und den BREXIT besser verhandeln als die Opposition.» Die Opposition, das ist natürlich nicht nur die Labour Partei, sondern das sind auch die Liberal-demokratische Partei und am wichtigsten die Schottisch-Nationalistische Partei, die aktuell drittgrößte Partei im Parlament. Mays einziger Aufschlag ist «Vertraut mir die BREXIT Verhandlungen an» – mehr gibt es bisher von ihr nicht. Bisher haben weder May noch ihre Partei politische Vorschläge gemacht. Der einzige gefasste Beschluss ist die Wiedereinführung und Legalisierung der Fuchsjagd -  ein Relikt der  bourgeoisen Oberschicht in Großbritannien. Und so ist es bisher so ähnlich wie in Zeiten des Absolutismus. Der Ausspruch «L’État, c’est moi!» ist wieder zu Leben erwacht. Der Staat bin ich! Ihr müsst mir vertrauen! Die Atmosphäre ist sehr merkwürdig. Vor allem, weil seit dem BREXIT im Juni letzten Jahres, die gesamte Politik im Land  fragmentiert ist. Die Labour Partei ist deswegen sehr gespalten. Und  die Öffentlichkeit ist wie besessen vom BREXIT. Es gibt eine Atmosphäre des Nationalismus und des Patriotismus. Als Jean-Claude Juncker kam, um mit Theresa May zu sprechen, veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung kurz darauf Einzelheiten des Gesprächs, die nicht autorisiert waren. Theresa May sah dies als Angriff und nutzte es sogleich für den Wahlkampf, um mit  einer großen nationalistischen und populistischen Geste  ganz Europa beinah den verbalen Krieg zu erklären. Dies hatte wiederum zur Folge, dass bei den Kommunalwahlen am zurückliegenden vierten Mai ihre Partei unter anderen viele Stimmen der rechtsextremen UKIP (dem Äquivalent zur AFD) auf ihre Seite ziehen konnte und mit diesen Stimmen einen ihrer größten Siege errang. Als die Menschen sahen, dass die Konservativen sich von Brüssel nicht einschüchtern lassen und dass May sogar Junker der Wahlbeeinflussung anklagte, wechselte annähernd die Hälfte der UKIP Wähler zu den Konservativen.

Problematisch für Labour ist, dass einige ihrer ehemaligen Wähler und Wählerinnen, zwischenzeitlich die extreme Rechte wählten und jetzt wieder zu den Konservativen gewechselt sind. Also von der  Sozialdemokratie über die extreme Rechte zu den Konservativen. Es wird also sehr schwer werden, eine politische Koalition der konservativen und rechten Kräfte etwas entgegenzusetzen. Es ist momentan so, als hätte in Deutschland die CDU die AfD absorbiert.  Eine dramatische Situation so kurz vor den Wahlen im Juni. Das Liberale Zentrum und die Linke sind gespalten und finden keine klare Antwort auf diese Herausforderung.

Das Labour-Manifest ist das größte Angebot einer sozialen Transformation seit 1945

JB: Was steht konkret in dem Labour-Manifest - dem nun verabschiedeten Wahlprogramm der Partei?

PM: Kürzlich wurde das gesamte Programm von unbekannter Quelle an die Presse gegeben. Vermutlich von einem Gegner Corbyns aus der Labour Führungsriege. Aber für uns ist das gut. Wir als Linke haben auf dieses Programm gewartet. Es ist ein historischer Moment für die britische Sozialdemokratie und wahrscheinlich für die Sozialdemokratie in der ganzen Welt, weil es ein wirklich absolut linkes Programm ist. Es verspricht zum Beispiel die Eisenbahn, die Post und große Teil der Energieversorgung wieder zu verstaatlichen. Es verspricht weiterhin, die Einschränkungen für gewerkschaftliche Organisierung, die unter der Regierung Thatcher eingeführt wurden, über Nacht abzuschaffen. Aber am wichtigsten ist, dass es ein keynesianisches Programm hinsichtlich Ausgaben und Steuern ist. Labour kündigt an, sich 250 Billionen Pfund für Infrastrukturinvestitionen zu leihen. Das heißt, es gibt keine Schwarze Null in der Politik von Labour mehr. Es gibt massive Investitionen. Aber es hat eine sehr strikte, fast neoliberale Ausrichtung in Bezug auf Ausgaben für Gesundheitsversorgung und Bildung. Die Ausgaben können nur erhöht werden, wenn sich auch die Einnahmen erhöhen. Nur wenn mehr Steuern eingenommen werden können, soll auch mehr investiert werden. Noch wurde nicht gesagt, welche Steuern erhöht werden sollen, aber ich bin mir recht sicher, dass es eine Vermögenssteuer wird. Sie werden auch unerwartete Gewinne nutzen. Es wird wahrscheinlich eine Transaktionssteuer geben. Sie wollen die Transaktionssteuer für den Aktienhandel einführen. Damit werden sie wahrscheinlich an die 30 bis 50 Billionen Pfund einnehmen, es ist noch nicht klar, wieviel genau. Was sie dafür bekommen ist ein großes Transformationsprojekt. Sie wollen alle Kürzungen für Schulen zurücknehmen, die Universitätsausbildung kostenlos machen und das nordische Modell der freien Kinderbetreuung einführen. Sie werden für alle Familien, die ältere oder an Alzheimer Erkrankte Angehörige pflegen, die Kosten übernehmen. Das ist so ein großes Angebot, dass selbst das moderate Zentrum von Labour ins Schwanken gerät. Ich war  selber in die Ausarbeitung involviert. Leider werden diese Wahlen hauptsächlich über den BREXIT, Nationalismus und Patriotismus und für manche Leute auch über Xenophobie geführt werden, aber es ist das größte Angebot einer sozialen Transformation seit 1945. Darüber werden die Wahlen abstimmen und wir haben nicht mehr viel Zeit, für den Versuch eines Sieges.