News | International / Transnational TAREM-Studie veröffentlicht

Die von der RLS geförderte Studie belegt: Gewerkschaftlich organisierte ArbeiterInnen in der Türkei haben kein Vertrauen in die gängigen Medien.

Hüben wie Drüben – es ist keine Binsenweisheit: Themen, die ArbeiterInnen interessieren finden wenig oder kaum Platz in den gängigen Medien. Daher haben insbesondere gewerkschaftlich organisierte ArbeiterInnen in der Türkei kein Vertrauen in die Berichterstattung. Zu diesem Schluss kommt die aktuelle Studie des Zentrums für soziale Forschungen und Bildung (TAREM) in Istanbul.

TAREM ist eines der vielfältigen Auslandsprojekte der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Unter dem Dach des Vereins für gesellschaftliche Solidarität (TODAY) hat sich das Zentrum für soziale Forschungen und Bildung binnen weniger Monate in den Kreisen der Gewerkschaften und AkademikerInnen einen guten Namen erarbeiten können. Inzwischen gehören namhafte WissenschaftlerInnen der Türkei sowie VertreterInnen von Gewerkschaften den Beratungsgremien von TAREM an.
 
Studie »Arbeiter und Medien«


Am 9. Februar 2008 stellte TAREM im Rahmen eines Symposiums in den Räumen der renommierten Bilgi Universität in Istanbul die Ergebnisse ihrer jüngsten Studie vor. Der Journalist Christoph Nitz, Labournet – Aktivist Helmut Weiss sowie Fritz Balke und Murat Cakir waren als Delegation der Rosa-Luxemburg-Stiftung dabei.

Die TAREM-Studie basiert auf Befragungen in zehn türkischen Städten, darunter Istanbul, Ankara, Izmir, Bursa, Eskisehir, Gaziantep und Diyarbakir. Befragt wurden 1.001 ArbeiterInnen aus der Metall-, Petrochemie-, Textil- und Nahrungsmittelindustrie. Rund 60 Prozent der Befragten sind gewerkschaftlich organisiert.

Laut der Studie sind 80 Prozent der Befragten der festen Überzeugung, dass in der Türkei kein Medium existiert, in der die Probleme der Arbeiterschaft benannt werden. 20 Prozent sind der Meinung, dass nur vier gewerkschaftsnahe Tageszeitungen vorhanden sind. Den ersten Platz unter diesen Tageszeitungen belegt die linke Tageszeitung »Evrensel«.

Zur persönlichen Information nutzen die Befragten in der Regel Tageszeitungen. Platz zwei belegt das Internet, gefolgt vom Fernsehen. 3 von 5 Befragten nutzen das Internet regelmäßig.

Während ältere ArbeiterInnen mit der allgemeinen Berichterstattung sehr kritisch umgehen, ist das Vertrauen jüngerer ArbeiterInnen (unter 25 Jahren) gegenüber den Medien größer – unter ihnen ist auch die Zahl der Unorganisierten am höchsten. Die unkritische Haltung der jungen ArbeiterInnen sei ein weiteres Beleg für die Umbrüche im Bildungssystem seit dem Militärputsch von 1980, so TAREM.

Laut der Studie lesen 88 Prozent der Befragten regelmäßig eine Tageszeitung. Die ersten drei Plätze belegen die Boulevardblätter (Hürriyet 45,4%, Milliyet 39,1%, Sabah 35,3%). Gewerkschaftsnahe und linke Tageszeitungen finden – trotz der Anerkennung – wenig Anklang.

Auch der Fernsehkonsum entspreche diesem Bild. Fernsehsender großer Medienkonzerne (Kanal D und atv) belegen die Spitzenplätze. Gewerkschaftlich organisierte ArbeiterInnen interessieren sich i. d. R. für Nachrichtensendungen, Talkrunden und für, in der Türkei sehr beliebten Diskussionssendungen. Die Beeinflussung der persönlichen Meinung durch die allgemeine Berichterstattung wird generell als hoch angesehen.

Das neue Internetprotal Emekdunyasi.net

Im zweiten Teil des Symposiums nahmen an einer von Sinan Alcin (Maltepe Universität) moderierten Podiumsdiskussion der Journalist und Vorstandsmitglied der Journalistengewerkschaft Atilla Özsever, Hüseyin Över von der Gewerkschaft der Arbeiter in der Rüstungsindustrie, Christoph Nitz, Helmut Weiss und Murat Cakir Stellung zu den Ergebnissen der Studie. In den Diskussionen und dem nachfolgenden Erfahrungsaustausch wurde festgestellt, dass die Beziehung der Arbeiterschaft zu den Medien in der Türkei und Deutschland auffällig ähnlich ist.

Anschließend wurde das Internetportal des TAREM, Emekdünyasi (externer Link in neuem Fenster folgtwww.emekdunyasi.net), also »Arbeitswelt« offiziell frei geschaltet. Das Internetportal ist in türkischer, deutscher und englischer Sprache aufgebaut und gibt tagesaktuell Informationen über gesellschaftspolitische Entwicklungen, soziale Bewegungen, Gewerkschaften und betriebliche Aktivitäten. Emekdünyasi soll zudem als ein internationales Kommunikations- und Vernetzungsplattform dienen und mit Analysen, Kolumnen, Artikeln sowie Studien und Übersetzungen neue Recherchemöglichkeiten für Gewerkschaften, JournalistInnen, AkademikerInnen und weiteren Interessierten schaffen.

Die Studie, das Symposium und nachfolgende Gespräche in Istanbul und Ankara mit Gewerkschaften, MedienvertreterInnen, VertreterInnen der Friedensbewegung und verschiedener Organisationen zeigen, dass die Rosa-Luxemburg-Stiftung in der Türkei eine angesehene Partnerin geworden ist. Neue Kooperationen und Projekte sind derzeit in Vorbereitung. So ist beispielsweise vorgesehen, am 3. und 4. Mai 2008 in Baglar (Diyarbakir) gemeinsam mit der Stadtverwaltung von Baglar und TAREM eine internationale Konferenz zu dem Thema »Lokalpolitik und Frauen« durchzuführen. Erwartet werden neben Gästen aus Deutschland und anderen Ländern zahlreiche Bürgermeisterinnen, Abgeordnete, Frauenrechtlerinnen, Akademikerinnen und Gewerkschafterinnen.

Murat Cakir