News | GK Geschichte Waibel: Die braune Saat. Antisemitismus und Neonazismus in der DDR, Stuttgart 2017

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In seinem neuesten Buch widmet sich Harry Waibel rund 8.000 rechtsradikalen und antisemitischen Vorfällen in der DDR – von Hakenkreuz-Schmierereien über tätliche Übergriffe bis hin zu Bombenanschlägen (S. 125-337).

Dabei sind besonders zwei Thesen auffällig, die das Buch zu einem außergewöhnlichen Beitrag für die DDR-Forschung machen: Zum einen sieht Waibel im noch heute vorhandenen rechten Gedankengut eine Prägung klarster Linearität seit der nationalsozialistischen Staatsideologie, da die SED es versäumt hätte, NS-Gedankengut erfolgreich aus der Gesellschaft zu verbannen. Zum anderen hätte es während der gesamten Zeit der Existenz der DDR ein rechtsradikales Netzwerk zwischen Ost- und Westdeutschland gegeben, dessen Fäden in erster Linie bei den obersten staatlichen Stellen zusammenliefen; allen voran dem Ministerium für Staatssicherheit, aber auch bei West-Behörden wie dem Militärischen Abschirmdienst (MAD).

Genannt werden diesbezüglich Verstrickungen mit der Wehrsportgruppe Hoffmann (S. 51), den Oktoberfest-Attentätern (S. 53), aber auch der linksterroristischen RAF (S. 79). Ein einendes Element bilde hierbei der Antisemitismus, getarnt als Kritik am Staat Israel, und die Waffenverbrüderung mit palästinensischen Autonomieverbänden oder dem syrischen Militär, so Waibel (S. 82-85). Dabei umschifft der Autor stellenweise geschickt die stark in die Kritik geratene Hufeisentheorie, nach der Links- und Rechtsradikalismus an beiden Enden eines Hufeisens wieder beieinanderständen (S. 110).

Hieraus resultiert die Annahme, dass sowohl der Antisemitismus der KPdSU (S. 21-26) als auch derjenige der KPD (S. 101-106) gleichermaßen als «braunes Saatgut» der späteren Judenfeindschaft in der SED-geführten deutschen Republik zu verstehen seien. Während die obersten Funktionäre der NSDAP in vielen Fällen aus dem Verkehr gezogen wurden, bedienten sich Ulbricht und Honecker auf oberer, mittlerer und unterer staatlicher Ebene vermehrt einem Personalstamm, der deutlich vorbelastet war (S. 64).

Das Buch bietet jedoch trotz seines Gehalts auch einige Schwachstellen, die es zu beachten gilt. Der Autor scheint mit seiner Untersuchung ein politisches Statement abliefern zu wollen, was jedoch gelegentlich in verbissene Polemik übergeht. Bereits im Vorwort, dessen Kontextbezug zum restlichen Buch in Frage zu stellen ist, blickt er auf die HistorikerInnen der ehemaligen DDR herab und wirft sie nahezu ausnahmslos in einen Topf brodelnder Apologie; direkte Kritik erfährt zum Beispiel Kurt Pätzold (S. 89), aber auch westdeutsche Schüler (Mommsen, Winkler, Wehler, Kocka usw.) ehemaliger NS-Historiker (Schieder, Rothfels usw.) (S. 73).

In vorwurfsvollem Duktus beginnt auch die Einleitung, was der Lektüre des Buches einen misslichen Beigeschmack verleiht. Ebenso wird die Leistung bedeutender Fachkollegen nicht gewürdigt, wenn einerseits die gesamte ostdeutsche Fachliteratur zur Geschichte der DDR beinahe ausnahmslos als nostalgisch-verklärt bezeichnet wird (S. 12), obwohl aufklärende Titel andererseits vom Autor verschwiegen werden.[1] Eingangs wird die verwendete Terminologie zufriedenstellend präsentiert (S. 21). Unerfreulich sind hingegen die gelegentlichen Referenzen auf Wikipedia (FN 40, 42, 105, 121, 139, 225, 1173), sprachliche Ungenauigkeiten (Juden werden nicht «getauft», S. 34), chronologische (S. 75-79) und sachliche Disparitäten (S. 66-68), unvollständige Analysen (S. 41, Vierjährige als Hauptverdächtige für Grabschändungen ist – in Ost wie West – eine Verschleierungstaktik zur Verharmlosung antisemitischer Verbrechen!), Redundanzen (S. 69) sowie parteiische Schuldvorwürfe gegen die gegenwärtige Linke (bspw. zehnfache Kritik auf S. 54-57).

Waibel beschließt sein Buch mit dem problematischen Fazit, dass es im Kampf gegen die europaweit aufziehenden neuen Rechten eines neuen, ideologiebefreiten Antifaschismus’ bedürfe, der unabhängig von theoretischen Überlegungen, ohne Partei und ohne Führungspersönlichkeiten auskommen solle (S. 365). Ungeachtet der historischen Tatsachen wird hier einmal mehr die Kritik des Autors am realexistenten Antifaschismus deutlich, dir auf der Ausdrucksebene jedoch leider mehr einer Polemik gegen die Linke gleichkommt als einer wissenschaftlich-analytischen Argumentation.

Harry Waibel: Die braune Saat. Antisemitismus und Neonazismus in der DDR, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2017, 380 Seiten, 22,80 EUR.

[1] Verwiesen sei hier statt vieler auf die wegweisende Arbeit von Mario Keßler, Die SED und die Juden – zwischen Repression und Toleranz. Politische Entwicklungen bis 1967, Berlin 1995. Keßlers Ruth-Fischer-Biographie hätte auch zur Einordnung bei Fragen des Antisemitismus’ der KPD herangezogen werden können, was auf S. 101f. für Hermann Remmele und Ruth Fischer jedoch unterlassen wurde, obwohl sich Sätze stellenweise bis auf den Wortlaut gleichen. Vgl. Mario Keßler, Ruth Fischer. Ein Leben mit und gegen Kommunisten (1895-1961), Köln 2013, S. 128.