Wir streiken – «Nosotras Paramos». Unter diesem Motto – natürlich mit gleichnamigem Hashtag – mobilisieren Frauen in Argentinien und anderen lateinamerikanischen Ländern am 8. März zum Internationalen Frauenstreik. Was ist diesmal geplant? Wie hat sich die feministische Bewegung in Argentinien angesichts sozialer Sparpolitik und der zunehmenden Kriminalisierung von Protesten entwickelt?
Wir haben uns, acht Monate nach unserem letzten Gespräch, wieder mit der Aktivistin Verónica Gago getroffen.
Das Interview führte Jessica Zeller, Nachrichtenpool Lateinamerika (NPLA).
Jessica Zeller: Im vergangenen Jahr haben an der Demonstration zum Frauenstreik in Buenos Aires rund eine halbe Millionen Frauen teilgenommen. Ist das überhaupt noch zu toppen?
Verónica Gago: Ich komme gerade von einem Vorbereitungstreffen mit fast 2.000 Teilnehmerinnen. Man darf also gespannt sein! Aber klar, die Demonstration im vergangenen Jahr war wirklich sehr beeindruckend. Der 8. März 2017 bedeutete eine Zäsur in der feministischen Bewegung und ihrer Mobilisierungskraft. Über fünfzig andere Länder nahmen an der Aktion teil. Es gibt ein davor und ein danach. Aber in Argentinien war dieser Streik der Frauen gleichzeitig auch der Beginn einer verstärkten staatlichen Repression. Viele Aktivistinnen wurden an diesem Tag willkürlich von der Polizei festgenommen. Die letzten Verfahren gegen sie wurden erst vor wenigen Wochen eingestellt.
Wie hat sich die feministische Bewegung insgesamt in Argentinien im vergangenen Jahr entwickelt?
Seit dem 8. März 2017 bis heute stand nichts still. «Ni una menos» und andere feministische Gruppen waren an verschiedenen Orten im ganzen Land aktiv und haben sich in gesellschaftliche Auseinandersetzungen eingemischt. Wir haben uns zum Beispiel mit den entlassenen Arbeiterinnen der Pepsi-Fabrik solidarisiert, die vor dem Kongressgebäude ein Protestcamp errichtet hatten. Es gab ein Treffen in der Stadt El Bolsón im Süden des Landes, um der Kriminalisierung der sozialen Proteste der indigenen Mapuche entgegenzutreten. Und wir sind nach Jujuy gereist, in den Norden des Landes, um dort für die Freilassung der Aktivistin und politischen Gefangenen Milagro Sala einzutreten.
Und das lässt sich alles unter dem Dach des Feminismus verbinden?
Dem Feminismus in Argentinien ist es gelungen, ein Netz an Querverbindungen herzustellen – weil er sich selbst verändert hat. Feminismus ist nicht mehr, wie er es viele Jahre lang war, ein thematisch eher begrenzter Aktivismus, der sich vor allem in der Mittelschicht und in akademischen Kreisen artikuliert. Vielmehr hat er es geschafft, diese Begrenzung aufzubrechen und zu einer übergreifenden Angelegenheit zu werden. Was die sozialen Klassen betrifft, die Organisationen und Einzelaktivistinnen, die darin involviert sind, aber auch hinsichtlich der Generationen. Junge Frauen machen hier ihre ersten politischen Erfahrungen – und gleichzeitig sind gestandene Frauen beteiligt, die seit vielen Jahren politisch organisiert sind, und die jetzt im Feminismus einen Schlüssel finden für ihre politische Verortung und zum besseren Verständnis ihrer eigenen Lebensrealitäten.
Heute ist «Ni una menos» – keine Frau weniger – Teil einer sehr erfolgreichen weltweiten feministischen Bewegung. Ihr streitet für das Recht der Frauen auf körperliche Unversehrtheit, kämpft gegen Frauenmorde und für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Welche gesellschaftlichen Kräfte treten euren Forderungen entgegen?
Auf der einen Seite ist da der Markt, die Unternehmen. Sie betreiben «Pinkwashing» – wollen sich also über die Bezugnahme zum Feminismus gut darstellen. Nehmen wir das Beispiel Benetton. Das Modeunternehmen ist der größte Großgrundbesitzer im Süden Argentiniens. Während Benetton auf der einen Seite mitverantwortlich ist für die Kriminalisierung der Proteste der indigenen Mapuche, wird auf der anderen Seite die Hauptstadt gerade mit einer Kampagne «Benetton violeta» in lila Farben zugepflastert, so als wäre der Konzern feministisch. Wir Feministinnen treten dem natürlich vehement entgegen. Eine zweite Gegenoffensive kommt von Seiten der katholischen Kirche, die in Lateinamerika weiterhin sehr präsent ist. Hier wird vor der Gefahr der so genannten «Gender-Ideologie» gewarnt. Diese Position schlägt sich etwa bei Kampagnen gegen die Sexualerziehung in Peru nieder, in der die konservative Rechte unter dem Motto «Nicht mit meinen Kindern» mobil macht.
Welches sind denn die Ursachen für die sexualisierte Gewalt und die Zunahme von Frauenmorden?
Die Gewalt an Frauen ist von anderen Gewaltverhältnissen nicht zu trennen: Der Verschlechterung von Arbeitsbedingungen, zunehmender staatlicher Repression und der rücksichtslosen Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Das Haus ist quasi die Endhaltestelle für verschiedene Konfliktlinien und der Körper der Frau ein privilegierter Ort, an dem sich die männliche Ohnmacht zur Schau stellen kann. Eine Ohnmacht, die wiederum eng damit zusammenhängt, dass auch Männer einer Vielzahl an Gewaltverhältnissen ausgesetzt sind. Deshalb greift der Begriff «häusliche Gewalt» auch zu kurz. Und es wäre zu einfach, Feminizide einfach als lateinamerikanisches Problem abzutun. Wir beobachten ja zum Beispiel auch in Italien und Frankreich gegenwärtig eine Zunahme an Frauenmorden.
Spiegeln sich diese vielfältigen Gewaltursachen auch in den Protesten am 8. März wieder?
Ja. An diesem Tag wird der Feminismus in Lateinamerika überall in Bezug gesetzt zu aktuellen lokalen Konflikten. In Bolivien ist es der Protest gegen Minen und extraktivistische Großprojekte. Einer der Orte, der mich besonders beeindruckt, ist Paraguay. Hier sind vor allem Kleinbäuerinnen in die Organisation involviert. Ihr Motto: Wir streiken auch gegen das Agro-Business. Also Konzerne wie Monsanto, die ihre Lebensbedingungen ruinieren. Bei uns in Argentinien wird sicherlich die Arbeits- und Rentenreform eine große Rolle spielen. Denn Frauen sind von den sozialen Kürzungen als erstes betroffen. Sie verlieren ihre Jobs – obwohl sie oft die ganze Familie unterhalten. Die Rente von Frauen, die nur Hausfrau und Mutter waren, wird zusammengestrichen. Hinzu kommt die Inflation. Wenn alles immer teuer wird, sparen Frauen als erstes bei sich selbst, damit es irgendwie für alle reicht
Und was machen eigentlich die Männer am Internationalen Frauentag?
Unser Rat an sie ist, an diesem Tag reproduktive Tätigkeiten zu übernehmen, sich um Hausarbeit, Kinder und bedürftige Angehörige kümmern. Denn der 8. März gehört den Frauen, Lesben, Trans* und Transvestiten. Alle Männer sollten das Möglichste tun, damit die Frauen diesen Tag vorbereiten und streiken können. Und wenn sie doch unbedingt an der Demonstration teilnehmen wollen, dann bitte ganz hinten laufen oder am Rand.