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Die spanischen Frauen treten am 8. März 2018 in den Generalstreik. Ein neuer linker Feminismus siegt. Zwei Berichte aus Madrid.

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Vera Bartolomé,

Frauenstreik in Madrid, 8. März 2018
Frauenstreik in Madrid, 8. März 2018, CC BY-NC-ND 2.0, Fotomovimiento, via Flickr
Millionen unterstützten den feministischen Streik in Spanien. Was nun?

13.3.2018: Die Luft bleibt einem weg,  wenn man sich die Bilder anschaut. Alle Straßen voll mit Frauen und Männern - so gesehen am 8. März 2018.

Alle großen Zeitungen und das Fernsehen sind  voll mit Beiträgen und Berichten. Der Streik schaffte es auf alle Titelblätter. Und das aus gutem Grund: Allein in Madrid gingen eine Million Menschen auf die Straßen. In Barcelona waren es 600.000, die für eine feministische Welt demonstrierten. Das ist der einzige (aber nicht unbedeutende) gemeinsame Grund, der so viele Menschen vereint demonstrieren ließ. 24 Stunden Streik, zwei Stunden Arbeitsniederlegungen und hunderte von Demonstrationen im ganzen Land.

Und ich meine der Einzige aber nicht unbedeutende Grund, weil Feminismus so viele Gesichter hat und für jede/r auf der Straße, in den Demonstrationen, während der Arbeitsniederlegungen etwas anderes bedeutet. Die Vielfalt der feministischen Bewegung wurde um ein Vielfaches größer, weil alle eingeladen waren. Frauen, Männer, Transsexuelle – unabhängig von der jeweils eigenen Interpretation von Feminismus. Für die einen ist es das geschlechtsspezifische Lohngefälle oder auch die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit. Für die anderen ist es die gläserne Decke. Für wieder andere, die noch weiter denken, ist es die Ausbalancierung von Arbeit und Leben, von Vaterschaftsurlaub und freier Zeiteinteilung – welche Frauen vor Benachteiligungen am Arbeitsplatz schützen soll. Und für manche bedeutet es gar die Reform des Kapitalismus und eine Änderung des Produktionssystemes um die Rückkehr des Lebens in das Zentrum zu ermöglichen – was einem Systemwechsel gleichkäme, von einem kapitalistischen hin zu einem reproduktiven Ansatz, der auch die komplette Reorganisation der Pflege beinhalten würde.

Ein weiteres gemeinsames Thema war und ist die Verhinderung von Gewalt gegen Frauen. Es gibt einen allgemeinen gesellschaftlichen Aufschrei, der fordert: «Genug ist genug!» Wenn es um Gewalt gegen Frauen geht, verbindet sich das sich sonst Trennende. Es gibt ein gemeinsames Verständnis der spanischen Gesellschaft und nicht nur einzelner Bewegungen im Kampf gegen diese Gewalt.

Die Arbeit der JournalistInnen der zurückliegenden Wochen und Monate hat ein neues Bewusstsein für dieses Thema und die feministischen Kämpfe geschaffen. Die feministischen Protagonistinnen dieses Kampfes werden deshalb jetzt auch als die Anführerinnen des Streikes wahrgenommen. Feministische Journalistinnen verschiedener linker Medien haben den Feminismus neu erklärt und so den Weg geebnet. Zum Schluss haben viele Journalistinnen, egal ob Feministinnen oder nicht, für den Streik geworben – was natürlich dem ganzen einen riesen Aufschub bescherte und den Streik mehr als legitimierte, so dass sich die ganze Bevölkerung angesprochen fühlten konnte. 

Die spanische feministische Bewegung (wie schon im Hintergrundtext unten beschrieben) ist in den letzten Jahren langsam aber organisch gewachsen. Das konnte man jetzt sehr gut sehen. Nicht nur auf der Straße sondern auch in verschiedenen politischen Siegen und gesetzgeberischen Initiativen. Die feministische Bewegung hat die traditionelle Linke und die traditionellen Gewerkschaften auf der Überholspur einfach hinter sich gelassen. Und sie schaffte es, sich nicht von dieser nicht vereinnahmen zu lassen.

Natürlich ist es wichtig zu konstatieren, dass die großen Gewerkschaften zu den zweistündigen Arbeitsniederlegungen aufriefen, denen 6 Millionen Menschen folgten. Die Herausforderung für Parteien und Gewerkschaften ist es aber jetzt,  Verhandlungen und Gesetzesinitiativen voranzutreiben, um den Forderungen der Menschen auf den Straßen nachzukommen und Solidarität zu zeigen.

Acht Gesetzesinitiativen wurden bereits eingebracht. Sie wurden alle von der konservativen Mehrheit der Regierung bisher blockiert. Einige fordern die  Abschaffung des Gender Pay Gap, der Erhöhung des Vaterschaftsurlaubes, der Abschaffung finanzieller Förderungen von geschlechtersegregierten Schulen, der Sicherstellung finanzieller Mittel für den Staatlichen Pakt gegen Gewalt gegen Frauen und die Ratifizierung des Artikels 129 der ILO.

Es wird sich zeigen, wie die Konservativen in der Regierung und die neoliberalen Ciudidanos, die die konservative Regierung unterstützen, die Forderungen interpretieren und ob sie bereit sind, diese umzusetzen. Es war jedoch bereits von symbolischer Bedeutung, dass sie kurz vor knapp ihren Diskurs zum Streik und seinen Forderungen doch noch änderten und auf den bereits abgefahrenen Zug versuchten aufzuspringen.

Es ist immer eine Herausforderung mit Erfolg richtig umzugehen. Vor einem die Antikapitalismus- und Antisystem-Forderung des Streikes, hinter einem die große Masse an UnterstützerInnen aus der ganzen Gesellschaft und neben einem die Konservativen, die auch dabei sein wollen. Kann man diesen Moment anhalten, um Siege zu ermöglichen? Wenn ja wie? Und was ist die Rolle der Gewerkschaften und Parteien dabei?

Podemos hat während des Wahlkampfes den Begriff der Hegemonie ins Spiel gebracht. Sie versuchten, politische Vorschläge mit einer allgemeinen Stimmungslage in der Gesellschaft zu verknüpfen. Das war 2014. Derzeit erleben wir aber wieder einen Rechtsruck in der spanischen Gesellschaft. Podemos verliert an Zustimmung bei Wähler*innenumfragen und Ciudidanos wächst und gewinnt in Städten wie Katalonien. Aber die feministische Bewegung könnte di e neue Hegemonin werden, auch wenn es nicht ohne Gefahr ist, plötzlich en vogue zu sein. Die feministische Bewegung und die Bewegung der Rentnerinnen und Rentner könnten das neue Bollwerk gegen Rechts werden. 

Bedenkt man, dass ohne die Stimmen der Sozialdemokraten und der «Rechten» die Millionen auf den Straßen letzten Donnerstag nicht möglich gewesen wären, wird schnell klar, dass diese positive Querfront geleitet werden muss.

Offensichtlich gibt es in Spanien Platz für mutige Bewegungen, die wir verblassen haben sehen in den letzten 4 Jahren nachdem Podemos und die Munizipalisten stark geworden sind. Mutige Bewegungen die genauso stark werden können wie die Bewegung 15M. (Eine Umfrage der Zeitung El Pais zwischen 28. Februar und 2. März ergab unter 1.500 befragten Personen, dass 82 Prozent der Befragten angaben, das es gute Gründe für den Streik am 8. März gab. Eine ähnliche Umfrage gab es im April 2013 als 1010 Personen befragt wurden und 75,9 Prozent der Befragten damals die Bedeutung von 15M bestätigten.)

Es gibt in Spanien offensichtlich auch einen gesunden Menschenverstand, der von außerparlamentarischen Initiativen repräsentiert wird. Natürlich müssen sich die ökonomischen Bedingungen für Frauen – nicht nur in Spanien-  verbessern, aber der Symbolische Sprung nach vorn ist so weit, dass er bereits ein Erfolg ist. Und dieser Erfolg wäre nie möglich gewesen ohne die Schwesternschaft mit anderen internationalen Bewegungen, insbesondere der Lateinamerikanischen, die uns den Weg gezeigt hat und insbesondere der argentinischen, bei der Massendemonstrationen ebenso gezeigt haben: „«Ohne uns Frauen steht die Welt still».

Vera Bertholomé arbeitet im RLS-Büro Madrid.