News | Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Arbeit / Gewerkschaften Das Prinzip ist: Straße – Parlament – Straße

Interview mit Partei der Arbeit Belgiens

Alice Bernard

Alice Bernard ist Mitglied des Parteivorstandes der Partei der Arbeit Belgiens (PTB/PvdA) und dort zuständig für die Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit. Das Gespräch wurde von unserem Gewerkschaftsreferenten Florian Wilde am Rande der Konferenz «Initiative für ein Neues Normalarbeitsverhältnis» der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 27.4. in Berlin geführt. 

Um was für eine Partei handelt es sich bei der PTB?

Unsere Partei ist aus den Bewegungen von 1968 hervorgegangen. Wir sind die einzige landesweite Partei in Belgien, alle anderen organisieren sich nach Landesteilen. Über viele Jahre waren wir eine eher kleine maoistische Kaderpartei mit Schwerpunkt auf der Betriebsarbeit. 2008 haben wir beschlossen, uns zu erneuern. Wir bemühen uns seit dem um eine populare, verständliche Sprache, ohne dabei unseren marxistischen Kern aufzugeben. 2014 sind wir mit zwei im Landesteil Wallonien gewählten Abgeordneten erstmals ins belgische Parlament eingezogen. Das war für uns ein Durchbruch. Seitdem versuchen wir, die Anliegen der arbeitenden Menschen in das Parlament zu bringen, und aus dem Parlament heraus Streik- und Protestbewegungen zu unterstützen. Schwerpunkt unserer Arbeit bleiben aber Betriebe und Stadtteile. Das Prinzip ist: Straße – Parlament – Straße. Die Interventionen unser Abgeordneten stehen im Dienst des sozialen Kampfes. Durch soziale Bewegungen kann man tiefgehende Veränderungen und Umwälzungen in der Geschichte erreichen. Seit 2008 konnten wir unsere Mitgliederzahl von damals 3.000 auf jetzt etwa 14.000 steigern. In aktuellen Umfragen für die Kommunalwahlen liegen wir in den großen Städten Walloniens über 20%, eine Verdoppelung gegenüber 2014. Bei den Umfragen zu den nationalen Wahlen erhalten wir in Wallonien über 10%, in Brüssel um die 6% und in Flandern um die 5%. Wir sind zu einer relevanten Kraft in Belgien geworden.

Oft werden in Deutschland nur die Spannungen zwischen den verschiedenen belgischen Landesteilen wahrgenommen. Wie aber ist es mit sozialen Spannungen? Gibt es gegenwärtig größere Streiks und Proteste?

Seit dem Generalstreik im Dezember 2014 erleben wir eine Welle von landesweiten Demonstrationen und Protesten gegen die Austeritätspolitik. Ein wichtiges Thema ist gegenwärtig die Rentenreform der belgischen Mitte-Rechts-Regierung. Dagegen gab es im vergangenen Dezember eine erste Großdemonstration, und für den 16. Mai ist eine weitere geplant. Außerdem gibt es aktuell Streiks und Demonstrationen der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Die Spannungen zwischen den unterschiedlichen belgischen Nationen werden unserer Meinung nach v.a. künstlich geschürt. Nach dem Motto «Teile und Herrsche» soll von sozialen Konflikten abgelenkt werden. Wir setzen dem die Einheit der Arbeiter entgegen.

In welchen Branchen und in welchen Gewerkschaften verfügt die PTB über den größten Einfluss?

Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist in Belgien weiterhin sehr hoch und liegt bei etwa 60% der Beschäftigten. Es gibt bei uns drei Gewerkschaftsbünde: einen sozialdemokratischen, einen christlichen und einen liberalen. Momentan richtet sich die Hauptkampagne der Gewerkschaften gegen die Rentenreform der Regierung, und die PTB beteiligt sich an dieser Kampagne. Innerhalb der Gewerkschaften selbst gibt es keine politischen Fraktionen. Mitglieder meiner Partei sind in allen drei Gewerkschaftsbünden vertreten, und v.a. im öffentlichen Dienst, den Schulen, der Post, in der Metall-, und Chemieindustrie und in den Krankenhäusern tätig.