News | Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Arbeit / Gewerkschaften - Staat / Demokratie - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Gesundheit und Pflege «Die ignorante Wettbewerbslogik ist die Ursache der jetzigen Probleme»

Ein Interview mit Regisseur Volker Lösch

«Das Gesundheitstribunal. Wir klagen an!» – Was ist das für ein Format und wie kam es zu dieser Idee?

Volker Lösch: Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit der Theatralisierung von politischen Inhalten, in unterschiedlichsten Formaten, mit wechselnden sozialen Gruppen und in vielen Städten. Da ich in Berlin lebe, habe ich natürlich die Proteste an der Charité verfolgt, und kam so näher an den Stoff ran. Da das Thema «Gesundheit» immer wichtiger wird, und ja auch regelmäßig Wahlen anstehen, dachte ich an ein mobiles Format: mit einem Theaterstück an unterschiedlichen Orten spielen, um so viele wie möglich zu erreichen und inhaltlich aufzuladen – vor allem auch diejenigen, die sonst nicht ins Theater gehen. Um damit eine Debatte anzustoßen. Um über die notwendige Veränderung unseres Gesundheitssystems breiter zu diskutieren. Unsere beiden Vorstellungen sind dafür ein Probelauf.

Wir, der Autor Ulf Schmidt und ich, haben uns für das Tribunal-Format, also eine fiktive Gerichtsverhandlung, entschieden, damit wir Kritiker*innen und Befürworter*innen der gegenwärtigen Gesundheitspolitik miteinander und mit Zeugenaussagen konfrontieren können. Uns interessiert eine faire, dialektische Darstellung beider Positionen, kein Schauprozess. Und da der Abend nicht nur informieren und reflektieren, sondern auch unterhaltsam sein soll, haben wir eine Spielform gewählt, die Schauspiel-Profis mit Laien — Vertreter*innen der Pflege an Berliner Krankenhäusern — gemeinsam auf die Bühne bringt. Theoretisches durchdringt sich so mit Authentischem. Am Ende des Tribunals fällen auch nicht wir das Urteil, sondern das Publikum. Man muss nach dem Schlagabtausch aller Argumente als Zuschauer*in also eine Haltung beziehen, eine Entscheidung fällen.

«Das Gesundheitstribunal. Wir klagen an!»

Theaterregisseur Volker Lösch stellt das Gesundheitssystem vor Gericht. Bessere Leistung für weniger Geld haben die Reformen der letzten dreißig Jahre versprochen. Betriebswirtschaftliche Kriterien sollten Einzug ins Gesundheitssystem halten, Krankenhäuser so effizient und gewinnbringend wirtschaften wie Unternehmen. Inzwischen häufen sich die Indizien, dass sich die medizinische Versorgung weder verbessert noch verbilligt hat. In einem fiktiven Tribunal werden beide Seiten angehört. Am Ende entscheidet das Publikum: Weiter auf dem Weg des unternehmerischen Krankenhauses oder radikal umsteuern?

Die Erstaufführung findet in Berlin im Rahmen der RLS-Tagung über:morgen am 13. September 2018 statt. Am 15. September gibt es eine zweite Chance, das Stück zu sehen.

Partizipation ist ein Schlagwort, das heute Politiker*innen ebenso wie Künstler*innen viel bemühen. Was zeichnet Ihr «Theater der Partizipation» aus? Was reizt Sie daran, aktuelle soziale Themen mit Laienschauspieler*innen zu bearbeiten?

Die sogenannten «Expert*innen des Alltags» tragen mit ihrem Fachwissen und ihren Erfahrungen entscheidend zum Gehalt meiner Arbeiten bei. Wenn sie dann auch noch persönlich auf der Bühne stehen, legitimieren sie mit ihrer physischen Präsenz besonders anschaulich und nachvollziehbar ihre Standpunkte. Ich kann gesellschaftliche Mechanismen und politische Systeme anhand von persönlichen Erzählungen erfahrbar machen. Und in Milieus eintauchen, die ich nicht kenne. Anhand von Lebensgeschichten und realen Figuren kann ich beschreiben, was alles nicht funktioniert, wo es brennt und was man verändern müsste. Und denjenigen, die sonst nicht zu Wort kommen, eine Stimme, eine Bühne geben — ich kann Öffentlichkeit für sie herstellen.

Sie haben sich in den letzten Monaten intensiv mit den Veränderungen im Gesundheitssystem beschäftigt. Was ist aus ihrer Sicht der zentrale Konflikt, um den es im Gesundheitssystem geht?

Gesundheit ist eine Ware. Es geht um viel Geld. Vor vielen Jahren ist ein Versprechen gegeben worden: wenn man das Gesundheitssystem der Bundesrepublik grundsätzlich reformiert, wird es mit weniger Geld und geringeren Krankenkassenbeiträgen der Versicherten gleich gute, oder sogar noch bessere Leistungen geben, weil alles effizienter sein wird.

Heute wissen wir, dass fast alle Versprechen gebrochen wurden. Denn mit der Wettbewerbsorientierung im Gesundheitssystem wurde eben nicht die beste Versorgung zum besten Preis erreicht.

Aber es wird immer noch behauptet, dass mit profitorientierter Markt- und Wettbewerbslogik alle Probleme in den Griff zu bekommen sind. Dabei sind die jetzigen Probleme überhaupt erst mit dieser ignoranten Wettbewerbslogik entstanden!

Das ist der Kern des Skandals: Seit über zwei Jahrzehnten dominiert in allen Gesellschaftsbereichen die Marktideologie, und mir dieser Ideologie ist im Gesundheitssystem privatisiert, rationalisiert und profitorientiert worden. Und all die Probleme, die wir derzeit haben, sind Effekte dieser Ideologie.

An den gebrochenen Versprechen sieht man sehr gut, was nicht funktioniert:

Es wurde Bürokratieabbau prognostiziert — niemals gab es im Gesundheitssystem mehr Personal für die Abrechnung als heute. Die versprochene Freiheit der sogenannten Marktteilnehmer*innen bietet in der Praxis lediglich höchstmöglichen Profit für ein paar wenige, bei gleichzeitiger Entmündigung von Kranken und Pflegepersonal.

Und was ist mit dem Versprechen der angeblich höheren Versorgungsqualität? Das System fördert den Trend, gesunde Menschen als krank zu definieren, um sie mit derselben Fallpauschale abzurechnen, wie ernsthaft Erkrankte.

Den Wesenskern dieses Systems erkennt man daran, dass ärztliche Leiter*innen sogar mit Bonuszahlungen belohnt werden, wenn sie besonders hohe Profite erzielen. Und daran, dass große Summen aus der solidarischen Krankenversicherung zu den Aktionären von Gesundheitskonzernen gelangen, anstatt in die Versorgung von Kranken zu fließen.