Fernsehen und Kino sind heute vermutlich für die Vermittlung von Geschichte, und somit als ProduzentInnen von Geschichtsbildern und Geschichtsbewusstsein die wirkmächtigsten Einrichtungen. Statt sich dieser Kränkung zu stellen, forscht und publiziert die akademische Geschichtswissenschaft weiter unbeirrt vor sich hin. Aus der Erkenntnis, dass es ein wachsendes Interesse an Geschichte gibt, das aber die Akademie nicht befriedigt, hat sich, ausgehend von den anglo-amerikanischen Ländern, die Disziplin der Public History gebildet.
Als «angewandte Geschichte» widmet sie sich der öffentlichen Darstellung von Geschichte einerseits, wie sie auch als wissenschaftliche Subdisziplin untersucht, wie heute Geschichte in unterschiedlichen Medien (Kino, TV, digital) und Institutionen (Museen z.B.) präsentiert (und damit auch konstruiert) wird, also wie Geschichte (in) der Öffentlichkeit vermittelt und rezeptiert wird.
Die Orte und Formate, wo und mit denen dies geschieht, sind unterschiedlich und werden in diesem Studienbuch verhandelt: Sie reichen von Comics über historische Romane über die verschiedenen Medien bis zu den Museen in ihren unterschiedlichen Ausformungen. All diesen Formaten ist eigen, dass Geschichte hier interessant, unterhaltsam, verständlich, und möglichst noch die Imagination anregend vermittelt werden soll. Ansprüche, die die akademische Geschichtswissenschaft sich nicht so sehr zum Ziel gemacht hat. Dahinter steht die These, dass ohne emotionale Komponente oder Ansprache auch die politischen und kognitiven Dimensionen von historischer Vermittlung ins Leere laufen.
Geschichte entsteht erst durch die aktive Aneignung. Wird dieser These gefolgt, kommen Multiperspektivität, Narrativität und Imagination als Prinzipien einer modernen, wenn nicht emanzipatorischen Geschichtsvermittlung ins Spiel. Hier kritisieren die AutorInnen unter Rückgriff auf den Ansatz der Intersektionalität die ausschließenden und diskriminierenden Darstellungsformen z.B. der Geschichtsvermittlung, die sich an der klassischen Nationalgeschichtsschreibung orientiert, die durch ihre hegemoniale und homogenisierende Sichtweise viele Menschen und Aspekte unsichtbar macht, nicht thematisiert. Statt Wahrheiten und Fakten zu verkünden, sollte es heute um Deutung und Aushandeln gehen.
Vorgestellt und diskutiert werden auch die Methoden der Public History, wie z.B. Visual, Sound oder Oral History und das Verhältnis zur Geschichtsdidaktik. Den Schluss bilden eher praktische Aspekte; dann geht es um Public History in der Lehre an den Universitäten oder als Berufsfeld. Nach einem kurzen Abschnitt zur Selbständigkeit (Künstlersozialkasse!) folgt das sehr abrupte Ende des Buches.
Dieses Buch ist eine gute Einführung in dieses kleine, in Deutschland erst im Aufbau befindliche, aber umso wichtigere Feld. An vielen Stellen argumentieren die beiden AutorInnen sympathischer Weise erstaunlich kritisch. Und ist es nicht so, dass auch linke Geschichtsaneignung oftmals Wahrheiten und Fakten verkündet, mit nur geringer emotionaler Ansprache?
Martin Lücke/Irmgard Zündorf: Einführung in die Public History; Vandenhoek & Ruprecht/UTB, Göttingen 2018, 208 Seiten, 17,99 EUR
Lesetipp: Zeitgeschichte und Public History, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 06.09.2016
Diese Rezension erschien zuerst in Forum Wissenschaft, Ausgabe 3/18. Schwerpunkt dieses Heftes ist «Queerness und Wissenschaft. Zwischen Diskriminierung und Emanzipation» (mehr).