Mit dem diesjährigen Bildungspolitischen Dialog setzen die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg und das Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung der Universität Potsdam ihre Kooperation fort. Mit dem Titel „Lehrer*innen unter Druck. Schule und Lehrerbildung in Zeiten von Inklusion, Integration und Seiteneinstieg“ spannten sie einen sehr weiten thematischen Bogen.
Der Saal im Filmmuseum Potsdam war mit über 120 Interessent*innen so gut wie voll besetzt, unter ihnen Studierende, Referendare, Lehrer*innen, Aus- und Fortbildende, Seiteneinsteiger*innen sowie Eltern und Großeltern.
Standen im vergangenen Jahr junge Referendar*innen im Zentrum der Veranstaltung, sollte dieses Jahr die Perspektive der Lehrenden in den Fokus rücken. Und so bildete der Dokumentarfilm „Lehrer am Limit“, den Jana Lindner in diesem Jahr für die ZDF-Doku-Reihe 37 Grad produziert hat, den passenden Einstieg. Dankenswerterweise hat das ZDF erlaubt, diesen im September 2018 ausgestrahlten Film im Rahmen dieser Bildungsveranstaltung aus der Mediathek heraus vorzuführen.
Ein halbes Jahr lang hat Jana Lindner mit ihrem Filmteam Julia W. an ihrer Gesamtschule in Kassel und Christof B. an seiner Realschule in Dortmund begleitet – zwei leidenschaftliche Pädagog*innen, für die der Lehrerberuf trotz aller Schwierigkeiten noch immer eine Berufung ist.
Zwar spielt der Film nicht in Brandenburg, die Probleme sind jedoch vergleichbar: Die inklusionspädagogischen Förderbedarfe nehmen auch an Brandenburger Schulen zu, die Migrationsbewegungen der vergangenen Jahre haben die Klassen heterogener werden lassen – auch in den entlegeneren Regionen des Landes und somit die Anforderungen an die individuelle Förderung zusätzlich erhöht. Dieser Druck wirkt sich nicht nur auf die Arbeit von Lehrer*innen aus, sondern hat eben auch Konsequenzen für die Lehrerbildung.
Genau um diese Aspekte unter den konkreten Bedingungen in Brandenburg ging es dann auch in der anregenden, fast zweistündigen Diskussion im Anschluss an die Vorführung. Zunächst kamen die Gäste auf dem Podium zu Wort, die die Bereiche Politik, Praxis und die zwei Phasen der Lehrerbildung repräsentierten: Kathrin Dannenberg (bildungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Landtag), Christiane Zeiger (Schulleiterin einer inklusiven Grund- und Oberschule Calau), Prof. Dr. Karin Salzberg-Ludwig (Bereich Inklusion und Organisationsentwicklung an der Universität Potsdam) und Dr. Mathias Iffert (Leiter des Studienseminars Potsdam). Moderiert wurde die Podiumsdiskussion wie das Gespräch mit dem Publikum von Steffen Kludt (Gymnasiallehrer und Referent für Theorie-Praxis-Beziehungen am Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung der Universität Potsdam).
Deutlich wurde an dem Abend, dass sich die öffentliche Wahrnehmung der Lehrer*innen in den vergangenen 25 Jahren erheblich gewandelt hat: wurden sie 1995 vom damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten und späteren Kanzler Gerhard Schröder noch als „faule Säcke“ diffamiert, so wird den über 800.000 Lehrer*innen in der Bundesrepublik mittlerweile fast ausnahmslos Respekt für die Bewältigung der Aufgaben gezollt, die immer vielfältiger und komplexer werden.
Die Leiterin der integrativen Grund- und Oberschule Calau, Christiane Zeiger, machte deutlich, dass Lehrer*innen zwar in erster Linie einen Bildungsauftrag hätten, mittlerweile aber immer mehr zu Lebenshelfern werden oder gar Erziehungspflichten wahrnehmen, die eigentlich Aufgabe der Eltern wären. Hinzu kommen diagnostische Aufgaben oder auch die Vermittlung zwischen Psycholog*innen und Eltern.
Diese geänderten Anforderungen bestätigte auch Dr. Mathias Iffert, der als Leiter des Studienseminars Potsdam mit vielen Schulen in direktem Kontakt steht. Gerade vor diesem Erfahrungshorizont formulierte er den Wunsch, dass es insgesamt viel weniger Evaluation und Steuerung, sondern mehr Anliegen- und Bedarfsorientierung in der Fortbildung gäbe, um so Lehrende nachhaltig unterstützen zu können.
Auch Kathrin Dannenberg, Landtagsabgeordnete und bildungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Landtag Brandenburg, pflichtete dem bei und verwies auf die Notwendigkeit, dass sich die Anerkennung der Leistungen der Lehrer*innen von Seiten der Politik auch in konkreten Maßnahmen und Erleichterungen niederschlagen muss. Als sie nach 24 Jahren Lehrertätigkeit in die Politik wechselte, hoffte sie auch, sehr viel schneller Veränderungen bewirken zu können. Auch wenn durch die Konzentration auf längeres gemeinsames Lernen, die Etablierung von Schulzentren, eine besseren Stellenausstattung, den massiven Ausbau der Studienplätze für die Lehrerbildung, die Stärkung der Schulsozialarbeit und die Aufstockung der Stellen im Freiwilligen Sozialen Jahr Schule viele richtige Schritte gegangen wurden, sind die Auswirkungen der jahrelang verfehlten Personalplanung bei weitem noch nicht behoben. Erschwerend wirken sich der hohe Krankenstand und eben der Mangel an Lehrkräften aus. Neben einem notwendigen Anreizsystem, um Lehrer*innen in Brandenburg zu halten oder hierher zu holen, ist der Einsatz von Seiteneinsteiger*innen aktuell ohne wirkliche Alternative, so Dannenberg. Positive Effekte zeige der mittlerweile eingeführte Vorkurs und die berufsbegleitende Fortbildung, aber auch die Abminderungsstunde und Aufwandsentschädigung für Mentor*innen. Dennoch: eine bessere Abstimmung zwischen den einzelnen Phasen der Lehrerbildung, auch zwischen den beteiligten Ministerien MWFK und MBJS bei der Gestaltung des Praxissemesters sowie eine Aufhebung des Kooperationsverbots im Bildungsbereich bleiben wichtige weitere Aktionsfelder, um angehende und bereits tätige Lehrer*innen in der Praxis wirklich gut unterstützen und ihre Arbeit erleichtern zu können.
Auch Christiane Zeiger schilderte ihre anfänglichen Vorbehalte, Seiteneinsteiger*innen an ihrer Schule einzusetzen, ist aber sehr froh über die neuen Kolleg*innen, die auch frischen Wind, neue Ideen und vor allem viel Motivation mitbringen – natürlich auch Schwierigkeiten haben, denn keiner, so Zeiger, würde mit Berufserfahrung geboren und die funktionierenden Ansätze müsste jeder für sich jeden Tag neu finden. Daher wünsche sie sich, dass in der Lehrerbildung eine größere Vielfalt an Methoden vermittelt würde. Dringend erforderlich wären auch kleinere Klassen, um der Individualität der Schüler*innen gerecht werden und die Binnendifferenzierung auch umsetzen zu können. Angesichts des Krankenstands und unbesetzter Stellen stehe sie leider immer wieder vor der Frage, ob sie eher ein Tandem für zwei Schüler*innen ausfallen lässt oder den Unterricht für 28.
Auch Prof. Dr. Karin Salzberg-Ludwig vom Bereich Inklusion und Organisationsentwicklung an der Universität Potsdam ärgert die Situation, dass im Zweifel immer diejenigen zu leiden haben, die besondere Förderbedarfe haben. Das zeige sich an inklusiven Schulen wie an den Förderschulen, deren Schüler*innen-Zahlen trotz Inklusionsklassen aktuell wieder steigen. Einerseits wurden Fachkräfte aus den Förderschulen für die Inklusionsklassen abgezogen, andererseits werden sie an den Regelschulen dann häufig auch für die Kompensation von fehlenden Kolleg*innen eingesetzt. In der Konsequenz führt das dazu, dass einige Schüler*innen wieder zurück an die Förderschulen kommen, weil die Eltern sie dort besser gefördert sehen oder weil der Förderbedarf aufgrund der längeren nicht-adäquaten Beschulung sogar noch größer geworden ist. Für Prof. Dr. Salzberg-Ludwig ist die Arbeit von multiprofessionellen Teams ein wichtiger Ansatz, wobei es klarer (zeitlicher) Strukturen bedarf, um auch faktisch zusammenarbeiten zu können.
Überhaupt sei die Kompetenz, Arbeitsbeziehungen aufzubauen, zentral für die Frage, ob man für den Lehrerberuf geeignet sei, so Dr. Mathias Iffert. Dies gelte für Lehrer*innen wie für Seiteneinsteiger*innen. Wichtig sei, regelmäßig Reflexionsanlässe zu schaffen und die Reflexionsphasen auch bewertungsfrei zu stellen.
Neben der Qualität bzw. Sicherstellung des Unterrichtsangebot in der Lehrerbildung, dem Verhältnis von Akademisierung und Praxisorientierung oder der grundsätzlichen akademischen Anbindung wurden aus dem Publikum heraus außerdem die Schwierigkeiten angesprochen, trotz des akuten Lehrermangels mit bestimmten Fächerkombinationen keine Arbeitsstelle zu finden, oder die Gründe erfragt, warum es in Potsdam bei der Lehrerbildung nicht die Option gibt, ein drittes Fach zu studieren. Als ein wichtiger Aspekt wurde zudem die Lehrergesundheit angesprochen, für die aktiv sehr viel mehr getan werden müsste, um dem hohen Krankenstand nachhaltig entgegenzuwirken.
Wie im Film so gab es auch aus dem Publikum optimistische Stimmen, die trotz aller Herausforderung und persönlichen Überlastung die Schüler*innen nicht aus dem Blick verlieren.