News | Geschlechterverhältnisse - Südasien - Feminismus für alle Weder Frau noch Mann

Hijras kämpfen für gesellschaftliche Anerkennung als drittes Geschlecht in Indien

Information

Author

Judith Fetsch,

Abhina Ahers Arbeitgeber wollte sie nicht als Frau weiterbeschäftigen. Heute arbeitet sie für eine Nichtregierungsorganisation im Gesundheitsbereich.

Das dritte Geschlecht ist ein Menschenrecht. Das erklärte der Oberste Gerichtshof in Indien 2014 im Rahmen einer Grundsatzentscheidung zu Rechten von Transgender-Personen. Es dauerte jedoch weitere vier Jahre bis das dritte Geschlecht offiziell anerkannt wurde. Das war besonders für Hijras ein Meilenstein. Aufgrund ihrer Identität außerhalb der traditionellen Geschlechteridentitäten erfahren sie Ausgrenzung und Diskriminierung. Geschlechtergerechtigkeit ist ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit der Rosa-Luxemburg Stiftung in Südasien. Zusammen mit unseren Partner*innen bearbeiten wir das Thema im Rahmen verschiedener Projekte.

In Deutschland findet seit Kurzem eine breite gesellschaftliche und politische Debatte über das dritte Geschlecht statt. Während das Thema in der deutschen Öffentlichkeit gerade erst Präsenz und Bewusstsein erlangt, ist das dritte Geschlecht in Indien bereits seit langer Zeit sichtbarer Bestandteil der Gesellschaft. Hijras nennen sich die Menschen, die meist als Jungen zur Welt gekommen sind und sich im Laufe ihres Lebens dafür entschieden haben, als Frauen zu leben. Ein Gefühl, nicht ganz Frau zu sein, bleibt jedoch bestehen. Die Hijras bewegen sich in ihrer eigenen Gesellschaft, die geprägt ist von einer außergewöhnlichen Vermischung verschiedener Rituale, Strukturen und Gesetze. Hijrasein bedeutet Gemeinschaft sowie das Verinnerlichen und Leben einer vielfältigen Kultur.

In Indien wird Hijras eine widersprüchliche Existenz eingeräumt. Wenn sie ungefragt auf Hochzeiten und Feierlichkeiten zur Geburt von Kindern erscheinen, weist man sie nicht ab, weil ihr Tanz und Gesang Segen und Fruchtbarkeit für die Familien versprechen. Doch außerhalb dieser Begegnungen sehen viele Menschen in ihnen einen «Störfaktor». Aufgrund ihres Andersseins erfahren Hijras soziale Ausgrenzung und Benachteiligung.

Abhina Aher ist Anfang 40 und lebt seit vielen Jahren als Hijra. Abhina hieß früher Abhijit. Bereits in Kindheit und Jugend stieß Abhijit mit seinem femininen Auftreten in Familie und im Umfeld auf Unverständnis und Unmut. Während der gesamten Schulzeit und im Studium litt er unter verbaler und physischer Gewalt durch Mitschüler*innen und Fremde. Diese Erfahrungen machen die meisten Jungen, die das Gefühl haben nicht im richtigen Körper geboren zu sein. Viele verlassen deswegen früh ihr Elternhaus, um der Lebenswelt zu entfliehen, die sie so stark einschränkt.

Während viele junge Männer infolgedessen ihre Ausbildung nicht abschließen, zog Abhijit das Informatik-Studium durch. In den Vereinigten Staaten gebe es für «Menschen wie ihn» ein besseres Leben, hatte er gehört. Diese Aussicht gab ihm das notwendige Durchhaltevermögen. Doch wegen der Anfeindungen in seiner Umgebung schottete sich Abhijit ab. Dadurch hatte er auch keine Freunde, denen er sich hätte anvertrauen können. Nach Abschluss des Studiums mit Anfang 20, entdeckte Abhijit die Transgender-Szene und die Hijra-Gemeinschaft, der er sich sofort zugehörig fühlte. Die Auswanderungspläne in die USA waren damit erst einmal hinfällig. Doch die Transformation zur weiblichen Identität und der Beitritt zu Hijra-Gemeinschaft machte das Leben von Abhina, wie sie sich von nun an nannte, nicht leichter.

Einer Hijra-Gemeinschaft beizutreten, ist letztendlich eine Lebensentscheidung und führt oftmals zum Bruch mit der Familie. Die neue Gemeinschaft bietet Strukturen, die der einer Familie ähneln. Eine erfahrene Hijra, die Guru (Lehrerin) genannt wird, nimmt sich einer zukünftigen Hijra an. Durch ein Ritual wird die Beziehung der beiden Frauen besiegelt. Die Jüngere darf sich von nun an Hijra nennen und ist ein Leben lang die Chela (Schülerin) ihrer Guru, die Lehrerin, Mutterersatz und Vorgesetzte zugleich ist. Sie finanziert zusammen mit anderen Schülerinnen ihrer Guru deren Lebensunterhalt, während diese die Bräuche und Werte der Gemeinschaft vermittelt. Damit ist zum einen der Erhalt der Traditionen, zum anderen die Versorgung älterer Hijras gesichert. Das Guru-Chela-Verhältnis ist aber auch geprägt von Abhängigkeit. Eine Hijra muss von ihrem Einkommen immer einen Anteil an ihre Guru abgeben. Auch muss diese jeder größeren Entscheidung zustimmen – egal ob privat oder beruflich. Trotzdem findet Abhina, dass die Existenz der Hijra-Gemeinschaft eigentlich ein Segen ist, weil sie all denen einen Zufluchtsort und eine Familie bietet, die von der Gesellschaft nicht akzeptiert werden.

Abhina erklärt, dass ihre Gemeinschaft über die Jahrhunderte von den herrschenden Eliten stets geschätzt wurde. «Alles was in der Vergangenheit selten war, wurde gehuldigt. Menschen wie wir wurden verehrt. Wir hatten einen besonderen Platz in der Gesellschaft», fügt sie hinzu. Deswegen ist für sie klar, dass Hijras ein Recht auf Akzeptanz und Stolz haben, auch wenn große Teile der indischen Gesellschaft ihnen das bis heute verwehren. Auf Grund dieser Ablehnung kämpfen Hijras ihr Leben lang um Anerkennung und Respekt. Abhina sieht aus diesen Gründen in Hijras besonders starke Frauen, die wissen, was sie wollen und sich nichts gefallen lassen.