News | Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Soziale Bewegungen / Organisierung - Staat / Demokratie - Partizipation / Bürgerrechte - International / Transnational - Asien - Westasien - Türkei Kein Platz für linke Bürgermeister in der «neuen Türkei»

In der Türkei geht die Repression gegen die linke Partei HDP weiter.

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Ismail Küpeli,

Protest gegen die Absetzung kurdischer Bürgermeister in drei türkischen Städten in Diyarbakır am 20. August 2019
Beim Protest gegen die Ersetzung kurdischer Bürgermeister*innen durch Zwangsverwalter in drei türkischen Städten in Diyarbakır am 20. August 2019:
Ein Demonstrant versucht, die stellvertretende Vorsitzende der HDP, Feleknas Uca (Mitte), vor Schlägen der türkischen Anti-Riot-Polizei zu schützen. Ilyas AKENGIN / AFP

Wie bereits von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan vor den Kommunalwahlen am 31. März dieses Jahres angekündigt, wurden nun, am 19. August, die Oberbürgermeister*innen der linken HDP in Amed (Diyarbakır), Mêrdîn (Mardin) und Wan (Van) abgesetzt und durch staatliche Verwalter ersetzt. Die Polizei unterband gewaltsam die Proteste gegen diese Maßnahme.

Die AKP-Regierung rechtfertigt die Absetzung der Oberbürgermeister*innen mit vagen Terrorismus-Vorwürfen. Konkrete Indizien oder gar Beweise dafür liegen bisher nicht vor. In der regierungsnahen Presse sind verschiedene Verdächtigungen zu lesen, die aber allesamt nicht belegt werden. So ist etwa davon die Rede, dass die HDP-Bürgermeister*innen kommunale Gelder an die kurdische Arbeiterpartei PKK weiterleiten würden oder, dass PKK-Sympathisant*innen in den Stadtverwaltungen angestellt werden würden. Auch das Prinzip der Doppelspitze bei der HDP, wonach jeweils ein Mann und eine Frau das Bürgermeister*innenamt gemeinsam ausüben, wird den Bürgermeister*innen zum Vorwurf gemacht, weil dies angeblich nicht mit den offiziellen politischen Regeln und Vorschriften zu vereinbaren sei.

Mit einer ähnlichen Vorgehensweise wurden zuvor in den vergangenen Jahren fast alle der 97 HDP-Bürgermeister*innen abgesetzt. Einige von ihnen wurden auch inhaftiert oder ins Exil getrieben – wie etwa Leyla Imret, die ehemalige Bürgermeisterin von Cizre, die inzwischen in Deutschland lebt. Auch die Inhaftierung von Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, den damaligen Co-Vorsitzenden der HDP, einiger HDP-Abgeordneter und tausender Parteimitglieder ist Teil einer politischen Kampagne der AKP-Regierung gegen die linke Partei.

Die HDP und die kurdische Bevölkerung wehrten sich, nicht nur in den betroffenen Städten Amed (Diyarbakır), Mêrdîn (Mardin) und Wan (Van), gegen die Absetzungen, die vom HDP-Parteivorstand als ein «ziviler Putsch» bezeichnet wurden, mit Protesten, gegen die die Polizei brutal vorging. Dabei wurden die HDP-Abgeordneten Feleknas Uca und Ahmet Şık sowie weitere Protestierende verletzt. Anders als bei den Absetzungen und Inhaftierungen in den vergangenen Jahren beschränkt sich indes der Unmut nicht allein auf die HDP und auf das Spektrum linker Organisationen und Initiativen. So haben auch Teile der kemalistischen Partei CHP die undemokratische Maßnahme der Absetzungen kritisiert und die CHP-Parteijugend rief dazu auf, die staatlich eingesetzten Verwalter nicht anzuerkennen. İlhan Cihaner, Mitglied des CHP-Parteivorstands, rief sogar dazu auf, eine demokratische Volksbewegung zu gründen, um die abgesetzten Bürgermeister*innen wieder ins Amt zu bringen. Zuvor hatte Ekrem İmamoğlu, der CHP-Oberbürgermeister von Istanbul, ebenfalls den undemokratischen Charakter der Absetzungen betont. Um die Brisanz dieser Aussagen deutlich zu machen, sei daran erinnert, dass die CHP-Abgeordneten im Mai 2016 der Aufhebung der Immunität von HDP-Parlamentariern im türkischen Parlament zugestimmt hatten, die dann zur Inhaftierung von  Selahattin Demirtaş, Figen Yüksekdağ und den anderen HDP-Abgeordneten führte.

Eine breite demokratische Bewegung, die sich nicht nur auf die HDP und andere linke Akteure beschränkt, wäre tatsächlich notwendig, wenn es eine realistische Chance gegen die autokratische AKP-Regierung geben soll. In der Vergangenheit waren Erdoğan und seine AKP sehr erfolgreich darin, die verschiedenen politischen Gegner*innen gegeneinander auszuspielen. Aber inzwischen hat die AKP selbst mit internen Konflikten zu kämpfen.

Insbesondere die von Erdoğan herbeigeführte und dann nicht für die AKP gewonnene Neuwahl des Oberbürgermeisters von Istanbul am 23. Juni machte deutlich, dass der Staatspräsident seine Partei doch nicht vollständig kontrollieren kann. Darüber hinaus zeigte sich, dass auch ein Teil der AKP-Mitglieder und Wähler*innen mit dem Regierungskurs der vergangenen Jahre nicht rundweg zufrieden sind. Der Austritt des ehemaligen Wirtschafts- und Außenministers, Ali Babacan, den er mit grundsätzlichen Differenzen zum politischen Kurs der AKP begründete, führte zu nervösen Reaktionen des Staatspräsidenten und seines Umfeldes. So befürchtet Erdoğan, dass Ali Babacan und andere AKP-Politiker*innen eine neue Partei gründen könnten, die dann der AKP Konkurrenz machen und einen Teil ihrer bisherigen Anhänger*innen für sich gewinnen könnte.

Dies sollte nicht dazu verleiten, die Probleme der AKP-Regierung zu überzeichnen und die Schwierigkeiten einer gemeinsamen Oppositionsbewegung kleinzureden. Ebenso sollte nicht vergessen werden, dass die Türkei nach wie vor eine Autokratie ist, in der demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien kaum mehr Geltung haben. Allerdings geben die sichtbar gewordenen Risse innerhalb der AKP und die neue Positionierung der CHP gegenüber der HDP Anlass für einen vorsichtigen Optimismus.