Alex Wischnewski arbeitet für die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu transnationalen feministischen Bewegungen. Sie hat das Netzwerk Care Revolution und die Plattform #keinemehr mitgegründet und ist Mitorganisator*in des Frauen*streiks. Über die Chancen für eine Feministische Internationale, als Ziel und zugleich Bewegung wohin, vor allem aber als gegenwärtig möglicherweise stärkste Kraft überhaupt, sprechen mit ihr Kathrin Gerlof und Anne Schindler. Das vollständige Interview erscheint in der maldekstra mit dem Schwerpunkt Feminismus zum 13. September.
Es gibt viele gute Gründe, sich mit dem Thema Feministische Internationale zu beschäftigen, darüber nachzudenken und zu diskutieren. Welche nennst du?
Alex Wischnewski: Es gibt sehr viele, starke und selbstbewusste feministische Ansätze. Überall auf der Welt. Das hat dafür gesorgt, dass der Feminismus auf die Tagesordnung kommt. Es wurde und wird viel versucht, ihn kleinzuhalten, unsichtbar zu machen. Das ist, angesichts der Bewegungen und Kämpfe weltweit aber einfach nicht mehr möglich. Auch die Flucht- und Migrationsbewegungen drängen auf einen neuen Internationalismus, der feministisch sein muss. Ich denke, dass feministische Bewegungen Antworten auf viele drängende Fragen geben. Sie gehen sehr weit über die sogenannten klassischen Frauenthemen hinaus. So ist etwa auch die «Fridays for Future»-Bewegung eindeutig eine feministische.
Aber wenn wir über eine Feministische Internationale reden, klingt es, als griffen wir nach den Sternen.
Natürlich greifen wir nach den Sternen. Und das sollten wir auch tun. Es gibt gerade sehr großes Potenzial dafür, ist aber kein Selbstläufer. Viele Herausforderungen sind global. Und auch wenn sie national unterschiedlich ausgeprägt sind, müssen die Antworten, die wir geben, auch global sein. Gerade steht die gegenseitige Inspiration und das solidarische aufeinander Bezug nehmen zwischen den Bewegungen im Vordergrund. Voneinander Wissen und lernen. Aber es gibt auch eine Suchbewegung nach etwas, das darüber hinausgeht. Da sind wir dran.
Das verlangt eine sehr große Offenheit. Wann ist dir das letzte Mal genau eine solche begegnet? Woran machst du diesen Optimismus, dass sie da ist, fest?
In der Organisierung des feministischen Streiks hier in Deutschland. Da ging und geht die Debatte darum: Brauchen wir eine Forderung oder vielleicht drei Forderungen, die wir alle vertreten? Und es ist schnell klar geworden, dass es so nicht geht. Unsere Fragen sind einfach zu unterschiedlich. Und es ist gut, dass das nicht nur postuliert wird, sondern dass wir darüber diskutieren. Die einen sagen, es geht um bessere Löhne in der Pflege, die anderen, es geht erst einmal darum, dass sie überhaupt arbeiten dürfen. Da einander zu verstehen und klarzumachen: Das hängt alles zusammen, wir gehören trotzdem zusammen, weil es immer um alle Verhältnisse geht. Das hat dazu geführt, dass es eine sehr lange Liste an Forderungen gab. Was dann andere nicht verstanden haben, also wurde weiterdiskutiert.
Im September wird die Stiftung ein internationales, feministisches Vernetzungstreffen, ein Festival, in Essen veranstalten. Auch das ein Versuch, in einer möglichst großen Breite über feministische Themen zu reden – sozusagen ohne Netz und doppelten Boden.
Unser Wunsch ist, eine Balance zwischen Breite und Zuspitzung hinzubekommen. Auch zu sagen, es ist heute schon sehr viel in Bewegung, aber oft unverbunden. Und wir brauchen Zeit, uns kennenzulernen, einander zuzuhören und nicht gleich mit vermeintlichen Lösungen zu kommen. Misstrauen muss abgebaut werden. Es ist ja nicht so, dass Feminist*innen sich aus Lust und Tollerei voneinander abgrenzen wollen.
Der Kapitalismus produziert jeden Tag Spaltungen. In welche Schule wir gehen, in welchen Gruppen wir uns bewegen, welches Vokabular wir benutzen, ob wir Armutserfahrung machen müssen oder nicht… Deshalb besteht auch Misstrauen. Die Menschen sind in so verschiedenen Welten unterwegs und das System sorgt dafür, dass die meisten ihre Welt kaum verlassen, ihr nicht entkommen können. Deshalb wollen wir auch ein Festival machen, keine Konferenz. Festival ist mehr Begegnung. Unser Wunsch ist, dadurch an starken Bündnissen zu bauen, um letztlich die Kräfteverhältnisse zu verschieben.
Der Begriff Internationale ist schön belegt, weil es den Internationalismus beinhaltet. Zugleich steckt da auch das Institutionalisierte drin. Ist das vielleicht doch zu schnell, jetzt schon über eine Feministische Internationale zu reden?
Ich finde es wichtig, eine Perspektive zu haben. Deshalb sollten wir auch von Feministischer Internationale sprechen. Als Bewegung wohin. Im Werden also. Gleichzeitig schließen wir ja an eine historische Entwicklung an, ohne die wir nicht hier wären, wo wir sind. Auch wenn die Sozialistische Fraueninternationale nicht den feministischen Anspruch einlösen konnte, den ich heute formuliere. Wir haben historischen Grund, auf den wir bauen können. Aber wir suchen nach etwas Neuem.
Wichtig ist zu sagen, dass wir nicht mehr ganz am Anfang stehen, aber noch nicht angekommen sind in einer, bei einer Feministischen Internationale.
Wo stehen wir genau?
Das ist unterschiedlich. In Lateinamerika ist man ganz woanders. In Argentinien ist die Frauenbewegung gegenwärtig die größte, radikalste und aktivste antikapitalistische Bewegung. Sie können aber nur so stark sein, weil sie auf eine jahrzehntelange Organisierungsarbeit aufbauen. Zum 33. bundesweiten Frauentreffen letztes Jahr kamen 70.000 Frauen. Dieses Jahr werden 1.000.000 Teilnehmerinnen erwartet. Da sind wir in Deutschland nicht, obwohl auch hier feministische Bewegungen stärker geworden sind. Aber wir kommen jetzt hier nach 30 Jahren institutionalisiertem Feminismus erst wieder in die Gänge und auf die Straße. Und müssen vergessene Erfahrungen ausgraben. Was bis vor Kurzem wenige wussten: 1994 gab es schon einmal einen Frauenstreik in Deutschland.
Aber sind die aktuellen feministischen Mobilisierungen nicht vor allem Abwehrkämpfe?
Es ist falsch, das so zu sehen. Ja, in Polen war der Kampf gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts auf den ersten Blick ein Abwehrkampf. Aber in Argentinien wird für ein neues Recht gestritten. Das wiederum ist möglich und deshalb so stark, weil es vorher die Streikbewegung gegen Femizide gegeben hat, also gegen Angriffe auf weibliches Leben. Und auch in Polen wurden Netzwerke dadurch angestoßen. Die Frage ist doch, was aus den Kämpfen vorangetrieben wird, in welches Projekt sie eingebunden sind.
Vieles, was wir heute beobachten, sind auch Abwehrkämpfe des Patriarchats gegen einen erstarkenden Feminismus.
Patriarchat und Kapitalismus werden oft als zwei unabhängig voneinander existierende Formen der Frauenunterdrückung betrachtet. Trotzdem scheint es richtig, gegenwärtig die beiden Begriffe Patriarchat und Kapitalismus zusammenzudenken.
Das stimmt und das meine ich mit klassenpolitischem Feminismus. Die ganzen Debatten um Care und Care Revolution spiegeln das wieder. Eine Kritik an der geschlechtlichen Zuteilung und Abwertung von Tätigkeiten, auf denen der Kapitalismus aber beruht und die so nur durch das Patriarchat möglich ist. Aber Sorgetätigkeiten als Dienstleistungen sind häufig teuer und nur besser Verdienenden zugänglich. Manche lagern die Sorge auch an migrantische, sozial marginalisierte Frauen aus. Auch das muss ein klassenpolitischer Feminismus in den Blick nehmen.
Wenn wir heute überlegen, wie wir Verhältnisse umstoßen wollen, müssen wir über einen ganz spezifischen Kapitalismus reden. Der hat sich natürlich auch eine bestimmte Diversität einverleibt, schlägt daraus Kapital, hat es marktförmig gemacht. Dadurch hat sich auch das Patriarchat verändert, auch wenn es natürlich nicht verschwunden ist. Eine feministische Ökonomiekritik und ein klassenpolitischer Feminismus auf der Höhe der Zeit, das brauchen wir. Auch, um uns nicht zu verrennen und zu verzetteln.
Das Gespräch führten Kathrin Gerlof und Anne Schindler.