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Indigene Gemeinschaften in Indien kämpfen für den Erhalt ihrer Ernährungssouveränität

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Odisha/Indien
Versuchsfelder der Organisation Living Farms in den Niyamagiri Bergen Zentral-Odishas Foto: Stefan Mentschel

Die Kondh leben im Bundesstaat Odisha an der Ostküste Indiens. Sie gehören zu den sogenannten Adivasi (sinngemäß: erste Bewohner*innen Indiens). Die Kondh betreiben traditionelle Landwirtschaft, ohne die Natur auszubeuten. Immer wieder gibt es Versuche seitens des Staates oder großer Konzerne, ihre Lebensweise zu unterminieren. Die mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Neu-Delhi kooperierende Grassroots-Organisation Living Farms unterstützt die Gemeinschaft dabei, eigenständig zu bleiben.
 

Die Autorin Johanna Albrecht studiert Soziologie und Ethnologie an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main. Im Sommer 2019 war sie Mitarbeiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Neu-Delhi.

Die indische Landwirtschaft steckt in einer Krise. 60 Prozent der indischen Bäuer*innen sind hoch verschuldet. Ein Grund dafür ist die Liberalisierung der Landwirtschaft. Im Bundesstaat Odisha im Osten des Landes arbeitet die Regierung etwa mit dem Saatgut-Riesen Monsanto zusammen, der inzwischen zum deutschen Bayer-Konzern gehört. Monsanto vertreibt Hybrid-Samen und Dünger – anfangs kostenlos. Die Ernte aus Monokulturen ist profitreicher als traditionelle Landwirtschaft und soll den Bauernfamilien aus der Armut helfen. Die Samen müssen allerdings jedes Jahr neu gekauft werden. Finanzielle Abhängigkeit und hohe Schulden sind die Folge. Aus diesem Grund haben sich in Indien in den letzten Jahren zehntausende Landwirte das Leben genommen.

Doch es gibt Ausnahmen: «Bei den Kondh hat es deswegen bislang keinen einzigen Selbstmord gegeben», erzählt Debjeet Sarangi, Gründer der Nichtregierungsorganisation Living Farms. Denn die Kondh sind nicht auf fremdes Saatgut angewiesen. Die Frauen sind hier für das Säen zuständig und nutzen in vielen ihrer Dörfer Saatgutbanken. Vor der Ernte können die Bäuerinnen hier Pflanzensamen erhalten. In einem der eng nebeneinanderstehenden Lehmhäuser werden zahlreiche Tontöpfe mit dem Saatgut aufbewahrt. Nach der Ernte bringen sie die Samen zurück, die sie haben.

Das System ist flexibel: Wenn die Ernte einer Familie schlecht ausfällt und sie der Bank nichts zurückgeben können, erhalten sie trotzdem neues Saatgut, denn die Dorfgemeinschaften halten zusammen. Dank Living Farms haben sie gelernt, wie sie das Saatgut umweltfreundlich und an die Umgebung angepasst vor Insekten schützen können. Die Bäuerin Tile Kolaka erzählt: «Am ersten Tag nach der Ernte legen wir die Samen in die Sonne, um sie zu trocknen. Am zweiten Tag kommen sie in die Töpfe. Wir legen bestimmte Blätter über die Samen, bevor wir die Töpfe verschließen. So können wir sicher sein, dass keine Insekten die Saat aufessen.» Living Farms hat außerdem viele Kondh-Dörfer miteinander vernetzt, damit sie Saatgut tauschen können und eine größere Auswahl haben. Die Verwaltung der Bank haben Jugendliche freiwillig übernommen – sie führen genau Buch darüber, welche Familie welche Pflanzensamen bekommen hat. Kondh sehen Saat nicht als eine kommerzielle Ware und kommen größtenteils ohne Geld aus. Aus dem Gewinn, den sie durch den Verkauf des Ernteüberschusses erzielen, kaufen sie sich auf dem Markt Kleidung, Salz, Fisch und Zwiebeln – ansonsten versorgen sie sich selbst.Um ihre Ernährungssouveränität nicht zu verlieren, verlässt sich die Mehrheit der Kondh auf traditionelle Methoden der Landwirtschaft. So werden auf den Feldern Mischkulturen angebaut: Um die 50 Pflanzenarten wachsen nebeneinander. Die Pflanzen schützen sich gegenseitig vor Insektenbefall, sodass keine Pestizide nötig sind – anders als bei Monokulturen. Seit hier die ersten Folgen des Klimawandels spürbar sind, hat sich ein weiterer Vorteil von Mischkulturen gezeigt: Einige der Pflanzen sind besonders hitzeresistent, einige halten besonders starken Regenfall gut aus und wieder andere können lange Trockenzeiten überstehen. Dadurch können sich die Familien darauf verlassen, dass ihnen nie eine ganze Ernte ausfällt. Und da die Ernte der verschiedenen Pflanzen in einem längeren Zeitraum von Oktober bis Januar geschieht, ist dafür gesorgt, dass es immer was zu essen gibt. Zudem ergänzen die Kondh ihre Ernährung durch Früchte, Wurzeln und Kräuter, die sie im Wald sammeln.