Die Diskussion, wer und was als gemeinnützig anzusehen ist, ist in der letzten Zeit wieder neu aufgeflammt. Nachdem Anfang des Jahres der Bundesfinanzhof entschieden hat, dass dem globalisierungskritischen Netzwerk attac zu Recht vom Finanzamt Frankfurt/Main die Gemeinnützigkeit aberkannt worden ist, entzog im Oktober 2019 das Berliner Finanzamt dem Kampagnennetzwerk campact! ebenfalls die Gemeinnützigkeit. Kurz darauf wurde bekannt, dass auch die soziokulturelle Einrichtung DemoZ in Ludwigsburg ihre Gemeinnützigkeit verloren hat. Ganz aktuell meldet jetzt die VVN-BdA die Aberkennung der Gemeinnützigkeit durch das Berliner Finanzamt. Gleichzeitig wird gerade diskutiert, ob Vereine, die nur Männer oder Frauen aufnehmen, gemeinnützig sein können.
In dem folgenden Artikel soll aufgezeigt werden, was Gemeinnützigkeit eigentlich bedeutet, wie die aktuelle Gesetzeslage ist, wo die Problemfälle liegen und welcher Änderungsbedarf besteht.
Peer Stolle ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in Berlin. Er ist neben der Strafverteidigung auch im Bereich des Polizei- und Versammlungsrechts tätig und vertritt öfter Mandant*innen gegen den Verfassungsschutz. Rechtsanwalt Stolle ist Mitglied im Vorstand des RAV e.V.
Gesetzeslage
Der Status der Gemeinnützigkeit, der in der Öffentlichkeit oft als allgemeines Gütesiegel verstanden wird, ist vor allem ein steuerrechtlicher Status. Mit der Anerkennung der Gemeinnützigkeit eines Vereins durch ein Finanzamt ist eine Vielzahl von steuerlichen und außersteuerlichen Vergünstigungen verbunden. So können Spenden von der Steuer abgesetzt werden. Der Verein kann von der Zahlung der Körperschafts- und Umsatzsteuer, bei Grundbesitz von der Grundsteuer freigestellt und bei Zuwendungen an den Verein von der Erbschaftssteuer freigestellt bzw. diese reduziert werden. Darüber hinaus ist der Status der Gemeinnützigkeit oft Voraussetzung, um durch die öffentliche Hand gefördert zu werden bzw. kostengünstigen/freien Zugang zu kommunalen oder staatlichen Räumen zu bekommen.
Gerade für kleinere, insbesondere ehrenamtlich betriebene Vereine ist die Anerkennung der Gemeinnützigkeit oft existenziell, da durch diese steuerlichen Vergünstigungen erst die Vereinsarbeit in finanzieller Hinsicht gewährleistet werden kann.
Als gemeinnützig anerkannt ist eine Vielzahl von Vereinen: neben Sport-, Gesangs- und Nachbarschaftsvereinen, Kindergärten, Religionsgemeinschaften, Einrichtungen der Gesundheitsversorgung etwa auch die politischen Stiftungen, sowie die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik oder die Blutfreitagsgemeinschaft Weingarten.
Voraussetzung für die Anerkennung als gemeinnützig ist die selbstlose Förderung der Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet. Was genau darunter zu verstehen ist, bestimmt ein 25 Punkte umfassender Katalog in § 52 Abs. 2 Abgabenordnung (AO). Dort finden sich als Zwecke beispielsweise die Jugend- und Altenhilfe, die Religion, die Wohlfahrtspflege, das traditionelle Brauchtum, der Sport, der Schutz der Ehe und Familie und vieles mehr. Diese Zwecke müssen sich sowohl aus der Satzung ergeben, als auch der tatsächlichen Vereinsarbeit entsprechen.
Diese kleine Übersicht lässt schon erkennen, dass es keine klare Tendenz gibt, was der Gesetzgeber unter Gemeinnützigkeit versteht. Es wird auch deutlich, dass eine Vielzahl der Zwecke, die dort genannt werden, aktuell eher eine untergeordnete Rolle spielen, wie Modellflug oder das Amateurfunken. Dagegen fehlen Vereinszwecke, wie Antidiskriminierung, Diversität, Menschenrechte, Klimaschutz, Bereitstellen von WLAN etc. Zwar findet sich im Gesetz die Klausel, dass Zwecke für gemeinnützig erklärt werden können, die nicht ausdrücklich genannt werden, aber vergleichbar die Allgemeinheit fördern. Trotzdem führt dieser Katalog zu immer wiederkehrenden Schwierigkeiten und Unsicherheiten.
Eine vor kurzem durchgeführte Studie hat untersucht, wie einheitlich die Praxis der Finanzämter bei der Erteilung der Gemeinnützigkeit ist. Bei einer Vielzahl von Finanzämtern wurden jeweils die gleichen drei fiktiven Vereinigungen angemeldet und beantragt, ihnen die Gemeinnützigkeit zu erteilen. Von ca. der Hälfte der Finanzämter wurde die Gemeinnützigkeit anerkannt; die anderen haben sie trotz gleichlautender Satzungen und Begründungen abgelehnt.
Problemfelder
Die Problemfelder bei der Erteilung der Gemeinnützigkeit sind nicht neu. Sie wurden lediglich durch den von attac geführten Rechtsstreit einer breiteren Öffentlichkeit bewusst. Im Folgenden sollen die Hauptproblemfelder dargestellt werden.
(Allgemein-)politische Tätigkeit
Hauptkonfliktpunkt ist die Frage, inwieweit (allgemein-)politische Tätigkeiten und Zwecksetzungen unter das Gemeinnützigkeitsrecht fallen. In dem Katalog werden allgemein-politische Zwecksetzungen nicht ausdrücklich unter den anerkannten Zwecken aufgeführt. Als Anfang des 20. Jahrhunderts das Gemeinnützigkeitsrecht eingeführt wurde, herrschte der Gedanke vor, dass damit Träger und Zwecke der allgemeinen Wohlfahrtspflege steuerlich begünstigt werden sollten. Die Behandlung (allgemein-)politischer Fragestellungen sollte stattdessen den Parteien vorbehalten bleiben. Politik und Gemeinnützigkeit sollte sich – vereinfacht gesagt – gegenseitig ausschließen.
Mit der in den letzten Jahrzehnten zunehmenden Bedeutung der Zivilgesellschaft und ihrer Akteur*innen ist die Grenze zwischen Politik und Gemeinnützigkeit brüchiger geworden. So findet zum einen der Schwerpunkt der politischen Willensbildung nicht mehr in Parteien statt, sondern in ganz unterschiedlichen Institutionen und Organisationen. Zum anderen sind die Sphären der traditionellen Gemeinnützigkeit und der Allgemein- bzw. Tagespolitik nicht einfach voneinander zu trennen, da die Politik sämtliche Lebensbereiche durchdringt.
Dementsprechend bestehen enorme Abgrenzungsschwierigkeiten, wann noch ein Tätigwerden eines Vereins im Sinne eines gemeinnützigen Satzungszwecks vorliegt und wann schon eine (allgemein-)politische Tätigkeit anzunehmen ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, der letztinstanzlich über solche Streitfragen entscheidet, sind die einzelnen gemeinnützigen Zwecke (wie beispielsweise Jugendhilfe, Umweltschutz, Kunst und Kultur) gesellschaftspolitisch determiniert und auch selbst Gegenstände parteilicher oder staatlicher Politik. Aus diesem Grund muss es den gemeinnützigen Körperschaften möglich sein, politischen Äußerungen in dem Bereich zu tätigen, die von dem satzungsgemäßen Zweck mit umfasst sind. So kann ein Verein, der sich mit Kernenergie beschäftigt, sich zu den die Kernenergie betreffenden politischen Fragestellungen äußern.
Daraus folgt, dass nach Ansicht des Bundesfinanzhofes keine Gemeinnützigkeit mehr gegeben ist, wenn politische Äußerungen getätigt werden, die über diesen Zweck hinausgehen (BFH, Urteil vom 09.02.2011 – I R 19/10) bzw. nicht mehr parteipolitisch neutral sind.
Diese Abgrenzung ist häufig schwierig. Wann bezieht sich eine politische Äußerung noch auf den satzungsgemäßen Zweck, wann geht sie darüber hinaus? Hier ist eine weite Interpretation von den Finanzämtern zu fordern; in Zweifelsfällen sollte für die Gemeinnützigkeit entschieden werden. So kann und muss sich zum Beispiel auch ein Sport- und/oder Kulturverein etwa zu Rassismus oder Geschlechterdiskriminierung äußern dürfen, ohne dadurch seinen Status als gemeinnützig zu gefährden. Diskriminierungen und Abwertungen treffen auch immer die eigene Mitgliedschaft, so dass entsprechendes Engagement vom Satzungszweck, etwa der Jugendhilfe, auch mit umfasst ist. Zudem handelt es sich dabei um kein spezifisch parteipolitisches Engagement.
Schwieriger wird es, wenn politische Zwecke den Hauptteil der Vereinstätigkeiten ausmachen. Für attac und campact! spielte diese Problematik die entscheidende Rolle. So hat der Bundesfinanzhof (BFH) in Bezug auf attac ausgeführt, dass dieser Verein sich ständig zu unterschiedlichen tagespolitischen Themen äußere. «Wer politische Zwecke», so der BFH, «durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck i.S. von § 52 AO. Eine gemeinnützige Körperschaft darf sich in dieser Weise nur betätigen, wenn dies der Verfolgung eines der in § 52 Abs. 2 AO ausdrücklich genannten Zwecke dient.»
Politische Bildung
Probleme gibt es auch immer wieder bei der Zuordnung der politischen Bildung zur Gemeinnützigkeit. In der Liste der anerkannten Zwecke findet sich unter Nr. 7 auch die Volks- und Berufsbildung. Vom Bundesfinanzhof anerkannt gehört dazu auch die politische Bildung (Urteil v. 23.09.1999 – XI R 63/98). Sie zielt auf die Schaffung und Förderung politischer Wahrnehmungsfähigkeit und politischem Verantwortungsbewusstsein sowie auf die Diskussion politischer Fragen ab. Mit ihr können auch Lösungsvorschläge für tagespolitische Fragestellungen erarbeitet werden. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofes ist politische Bildung aber nur dann gemeinnützig, wenn sie in «geistiger Offenheit» erfolge. Die Grenze der noch als gemeinnützig anerkennungsfähigen politischen Bildung liege demnach dann vor, wenn es sich um «einseitige Agitation, die unkritische Indoktrination oder die parteipolitisch motivierte Einflussnahme» handelt.
Im attac-Urteil vertritt der Bundesfinanzhof sogar, dass es an der Gemeinnützigkeit fehle, wenn die politische Bildung eingesetzt werde, um die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen. Die sei bei attac der Fall.
Eben dort liegt das Problem. Wenn man noch nachvollziehen kann, dass Agitation, Indoktrination und Parteipolitik von der Gemeinnützigkeit ausgeschlossen werden sollen, geht das Kriterium der Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu weit. Politische Bildung sollte parteipolitisch neutral sein, aber nicht wertneutral. Eine politische Bildung, die nicht (zumindest auch) auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinung abzielt, ist fast nicht denkbar, auf jeden Fall nicht sauber abgrenzbar.