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Warum sich YouTuber*innen für bessere Arbeitsbedingungen organisieren und was das mit der Zukunft von Internet-Plattformen zu tun hat

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Christiane Benner (IG Metall) und Jörg Sprave (Gründer der Youtubers Union). Screenshot des Videos «Attention YouTube: The Clock is ticking!» vom YouTube-Kanal von JoergSprave.

Im Sommer 2019 ging eine ungewöhnliche Meldung durch die Presse. Die Industriegewerkschaft IG Metall verkündete ihr vermutlich erstes Bündnis mit einer Facebook-Gruppe. Zusammen mit der YouTubers Union, einer 15.000-köpfigen Netzbewegung, gab die größte Gewerkschaft Europas eine Kampagne gegen die Arbeitsbedingungen auf YouTube bekannt. Unter großem Medienecho wurden Forderungen verkündet, Kampagnenvideos veröffentlicht und ein Countdown als Druckmittel geschaltet.

Eine ungewöhnliche Kooperation

Verwunderlich schien an der Mitteilung nicht nur, dass sich eine Gewerkschaft der Metall- und Elektroindustrie für die Belange von YouTuber*innen einsetzt. Auch die Frage der Arbeitsbedingungen schien ungewöhnlich: YouTube ist nicht als Arbeitsort, sondern als bunte Social-Media Plattform bekannt. Erstaunlich wirkte auch Jörg Sprave, 53-jährige Symbolfigur und Gründer der YouTubers Union. Spraves Kanal, der über zwei Millionen Abonnenten um sich versammelt, umweht nicht die Atmosphäre transnationaler Arbeitskonflikte. Die Videos, die Sprave vor einer Holzhütte im hessischen Odenwald aufnimmt, drehen sich um den Bau riesiger Steinschleudern und haben Comedy-Charakter.

Auf einen zweiten Blick liegt die Kampagne jedoch näher. Die Google-Tochter YouTube hat sich im letzten Jahrzehnt zu einer riesigen Arbeitsplattform entwickelt - über 100.000 Menschen verdienen heute auf der Plattform mit Content-Produktion ihren Lebensunterhalt. Die Website hat sich in einen digitalen Marktplatz verwandelt, auf dem YouTuber*innen um die Aufmerksamkeit ihres Publikums buhlen. Wer viele Aufrufe generiert, bekommt dabei Werbe-Einnahmen von YouTube ausbezahlt. Die Hobby-Ästhetik der Plattform verdeckt dabei die verschärften Arbeitsbedingungen, unter denen dieser Wettbewerb stattfindet.

Prekäre Arbeitsbedingungen auf YouTube

Wer auf YouTube Erfolg haben möchte, muss sich heute den kaum durchschaubaren Regeln von YouTube‘s «Recommendation Engine» anpassen – einem algorithmischen Empfehlungssystem, dessen Parameter sich täglich ändern können. Die Wahl der Titel-Stichworte, die Anzahl neuer Videos pro Woche und selbst die Verwendung von Umgangssprache kann sich dabei auf den Erfolg eines Kanals auswirken. Wer dabei als «nicht werbefreundlich» eingestuft wird, kann in wenigen Wochen sein Einkommen verlieren.

Valentin Niebler ist Soziologe und forscht zu Konflikten in der Plattformökonomie. Er ist Mitglied des Zentrums für emanzipatorische Technikforschung (ZET).

Während die eng getakteten Regeln auf YouTube verstärkt einem Fließband für Kreativarbeit gleichen, ist das Arbeitsverhältnis der «Creators» von Regellosigkeit geprägt. Als formal Selbstständige besitzen sie weder ein Recht, falsche Sanktionen anzufechten, noch haben sie Ansprüche auf soziale Absicherung. Die Abwehr von Willkür und Prekarität erfolgt nach den Regeln eines entsicherten, digitalen Kapitalismus: Fehlentscheidungen werden erst korrigiert, wenn genügend Nutzer*innen auf Twitter Alarm schlagen, interne Abläufe laufen ins Nichts. Wer einen Krankheitsfall erlebt, kann schnell aus dem Geschäft sein, der psychische Druck ist mitunter hoch. Nur wer sich diesen Bedingungen anpasst, kann auf YouTube profitieren.

Einkommensausfall ohne Warnung

Jörg Sprave, Symbolfigur und Gründer der YouTubers Union, war von dieser Entwicklung selbst betroffen. Nachdem sein Kanal im Frühjahr 2017 als «Waffen-Content» eingestuft wurde, sank sein Einkommen aus Videowerbung von 6000 auf 1500 Dollar im Monat. Genauso ging es anderen YouTuber*innen: wer vom Algorithmus als problematisch eingestuft wurde, konnte sogar seinen Kanal verlieren. Grobe Fehlentscheidungen sind dabei weit verbreitet. In diesem Jahr wurde bekannt, dass Wörter wie ‚gay‘ und ‚trans‘ im Videotitel zur Einschränkung der Werbequalifizierung führen können – eine Dynamik die zeigt, wie weit entfernt von der selbsterklärten Neutralität digitale Plattformen sind.

Spätestens mit den schärferen Content-Kontrollen, die YouTube seit 2017 durchführt, wurde die gemeinsame Organisierung für YouTuber*innen zum Thema. Im Frühjahr 2018 rief Sprave daher die YouTubers Union als Facebook-Gruppe ins Leben, mehr als 15.000 Nutzer*innen traten bei. Nicht alle davon sind selbst Creators; bewusst wurden auch die Nutzer*innen der Plattform eingeladen, von deren Traffic YouTube’s Geschäftsmodell lebt.

Gründung 2018 mit 15.000 Mitgliedern

Obwohl die Facebook-Gruppe als Form neu ist, ähnelt die Praxis der Gruppe auch einer klassischen Organisierung: sie stimmt über gemeinsame Forderungen ab, organisiert Mitgliederbefragungen, sogar digitale Mitgliedsausweise werden zeitweise ausgegeben. Als Sprave ein Video über YouTube’s Empfehlungsalgorithmus veröffentlicht, reagiert das Unternehmen. Auf Einladung reist er zu Treffen mit YouTube nach Zürich und ins Silicon Valley, bringt die Anliegen der Gruppe vor. Mehr als Lippenbekenntnisse erntet er aber nicht. Die Schwächen der YouTubers Union werden dabei schnell klar: sie hat kein rechtliches Mandat und ist auf informelle Gespräche angewiesen. YouTube vermeidet strategisch, mit der Gruppe kollektiv zu verhandeln.