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Vom Wahlerfolg Sinn Féins und vom Ende des alten «two-and-a-half-party system»

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Sinn Féin will work for Irish Unity
Kommt nach dem Wahlsieg in Irland der Verwirklichung der alten Idee, über eine Regierungsbeteiligung in Dublin und Belfast zur irischen Einigung zu gelangen, einen Schritt näher: Präsidentin von Sinn Féin, Mary Lou McDonald (Metropolitan Arts Centre, Belfast, Juli 2019). picture alliance / empics

Der Wahlerfolg Sinn Féins bei den Wahlen in Irland am 8. Februar 2020 scheint auf den ersten Blick überraschend. Nimmt man die innerparteiliche Entwicklung von Sinn Féin und den politischen Kontext in dem die Wahlen in Irland stattfanden, näher in den Blick, zeigt sich, dass der Wunsch nach einer linken Alternative zur Regierung von Leo Varadkar nicht von ungefähr kam. Wie sich jedoch Sinn Féin bei einer Regierungsbildung positionieren kann, hängt maßgeblich davon ab, ob sich entweder die zersplitterte Linke zumindest taktisch einen lässt oder eine der beiden alteingesessen Parteien Fin Gael oder Fianna Fáil auf Regierungsbeteiligung einlässt. Beide Möglichkeiten stellen Sinn Féin jedoch vor große Herausforderungen.

Florian Weis ist Referent für Migration und Demokratie im Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Johanna Bussemer ist Referatsleiterin Europa und Referentin für London in der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Die Entwicklung Sinn Féins zum irischen Wahlsieger 2020

Der Erfolg von Sinn Féin (SF) bei den vorgezogenen irischen Parlamentswahlen hat auch außerhalb Irlands und Großbritanniens relativ große Aufmerksamkeit erfahren. Diese geht einher mit Verwunderung darüber, wie Leo Varadkar, der amtierende Premierminister (Taoiseach) der seit 2011 regierenden Mitte-Rechts-Partei Fine Gael (FG) so eindeutig verlieren konnte, wo er doch in der für Irland so wichtigen Brexit-Frage als ein kompetenter und durchsetzungsstarker irischer Interessenvertreter gegenüber Boris Johnson und der EU in Erscheinung trat. Auch scheint er, der erste offen schwule Premierminister, Sohn eines indischen Einwanderers, den spektakulären Modernisierungsschub der irischen Gesellschaft ideal zu verkörpern, der sich in den beiden Volksabstimmungen der letzten Jahre mit Ergebnissen von weit über 60 Prozent für die Zulassung der Ehe von homosexuellen Paaren und für die Streichung des Abtreibungsverbotes aus der Verfassung ausdrückte. Schließlich schien auch die ökonomische Entwicklung Varadkar in die Karten zu spielen – hat Irland doch, oberflächlich betrachtet, die tiefe Krise nach 2008 mittlerweile weit besser überstanden als etwa Griechenland, Spanien und auch Portugal. Warum also haben sowohl FG als auch ihr ewiger Kontrahent Fianna Fáil (FF) an Stimmen und mehr noch an Sitzen verloren? Wie ist der auf den ersten Blick vielleicht überraschende Wahlerfolg von Sinn Fein zu erklären?

Hierfür gibt es verschiedene Ursachen. Zum einen hat Leo Varadkar diesen gesellschaftlichen Modernisierungsschub zwar vielleicht verkörpert, aber nicht geschaffen oder auch nur wesentlich vorangebracht. Dieser geht vielmehr auf langfristige kulturelle Veränderungen und auf das Wirken von zivilgesellschaftlichen Gruppen und sozialen Bewegungen zurück, denen sich Parteien, allen voran Sinn Fėin und linke Gruppen, unterstützend anschlossen. Hier sind insbesondere die Kampagnen für das Recht auf die «Homo-Ehe» und gegen das Abtreibungsverbot zu nennen. Fine Gael und Fianna Fáil hatten an diesen den geringsten Anteil. Neu entsteht in Irland, Dublin ist zurzeit im Hinblick auf Mieten die viertteuerste Stadt Europas, eine lebendige Bewegung rund um das Thema «Housing», nachdem vor einigen Jahren die «Right2Water»-Kampagne bereits sehr erfolgreich war.