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Südafrika am Beginn der Coronaepidemie

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Quarantänemaßnahmen in Südafrika. Quelle: CC BY-ND 2.0, Government South Africa

Es läuft besser als erwartet. Denn befürchteten viele Beobachter*innen ein Scheitern der südafrikanischen Regierung in der Corona-Epidemie, sind ihr jetzt zu Beginn wichtige Anfangserfolge gelungen. Wie Gesundheitsminister Dr. Zweli Mkhize (ANC) am 2. April mitteilte, hat sich der Anstieg der Neudiagnosen signifikant verlangsamt. So waren Vergleich zum Vortag nur 82 mehr Personen positiv auf COVID-19 getestet worden. Insgesamt waren nach Angeben der National Institute for Communicable Diseases (NICD) 1.462 Menschen positiv getestet, während über 44.000 Tests durchgeführt wurden. Bisher wurden nur fünf Todesfälle registriert, auf Grund des sehr unterschiedlichen Testverhaltens der genaueste Vergleichsmaßstab. Zwar bieten diese Zahlen nur eine Momentaufnahme, geben aber Anlass zur Hoffnung.

Die Entscheidung von Präsident Ramaphosa, bereits bei erst 121 diagnostizierten Fällen, die global mit zu den schärfsten zu rechnenden Einschränkungen landesweit durchzusetzen, war beispielhaft vorbereitet und kommuniziert. Zunächst wurde der internationale Flugverkehr eingestellt und ein Einreisestopp verhängt, das ganze Land sieht sich seit dem vergangenen Freitag (27.3.2020) mit einer Ausgangssperre belegt. Alle nicht für die Versorgung wichtigen Industrien und Unternehmen sind geschlossen. Anders als in europäischen Ländern ist auch kein Aufenthalt im Freien, zum Beispiel mit dem Hund, erlaubt. Nur direkte Wege zum Einkaufen sind gestattet. Diese Maßnahmen waren vor allem auf die soziale Distanzierung und Verhinderung der weiteren Verbreitung unter der urbanen Mittelschicht ausgerichtet. Gleichzeitig kappten sie die mögliche Verbreitung aus diesen Gruppen in die Townships, da Hausangestellten («Domestic Workers») zum Beispiel nicht mehr zur Arbeit erscheinen konnten, auch wenn diese dadurch an vielen Stellen auf Lohn verzichten müssen – trotz einiger Kampagnen zur Lohnfortzahlung.

Es zeigt sich, dass die Regierung Ramaphosa bisher klar und strategisch eindeutig vorgeht. Sicherlich hilft dabei, dass der ANC aus seiner eigenen Geschichte gelernt zu haben scheint. Präsident Thabo Mbekis jahrelange Verweigerung von verfügbaren Therapien zur Behandlung von HIV/AIDS, weil er den Zusammenhang zwischen HIV und AIDS leugnete, gehört zu den größten Katastrophen in der Geschichte des Landes. Nach Einschätzung der WHO starben aufgrund des Versagens und der Leugnung etwa 300.000 Menschen. Ramaphosa hat offensichtlich entschieden, eine wissenschaftlich abgesicherte Strategie mit aller Kraft umzusetzen und die Fehler seines Vorgängers nicht zur wiederholen. Mit dem Arzt Mkhize, der als ehemaliger Premier von Kwa-Zulu Natal und Schatzmeister des ANC fachlich und politisch über eine Durchsetzungskraft verfügt, steht Ramaphosa ein fachlich versierter Gesundheitsminister zur Seite. Unbestritten ist, dass das nationale Institut für übertragbare Krankheiten, NICD, zu den besten Gesundheitseinrichtungen im Hinblick auf Epidemien gehört.

Eine globale Pandemie ist auch für wirtschaftlich starke und verwaltungstechnisch handlungsfähige Systeme schwer zu bewältigen. Vor diesem Hintergrund ist schon die Ausgangslage Südafrikas – die letzten 10 Jahre waren von der tiefen politischen Systemkrise der Zuma-Jahre geprägt - prekär. Das Land verfügt über nur begrenzte (finanzielle) Ressourcen. Entsprechend wichtig ist es, sie zielgenau, effektiv und schnell einzusetzen. Es sprechen gute Argumente schon jetzt dafür um festzustellen: Südafrika hat schneller und passgenauer auf die COVID19-Krise reagiert als viele Länder im globalen Norden. Trotzdem bleiben die Gefahren signifikant. Die südafrikanische Regierung selbst will die Erwartungen dämpfen und spricht von einer «Ruhe vor dem Sturm». Beides, sowohl die begonnen stabilisierenden Maßnahmen als auch die offenkundigen Risiken sind gewichtige Faktoren, um diverse Szenarien bis zum «Worst Case» zu betrachten. Szenarien, gerade aktuell, bleiben bis zu einem gewissen Maß spekulativ.

Notwendige Betrachtung von «Arenen»

Denn jede wirtschaftliche, soziale und kulturelle Einteilung der südafrikanischen Gesellschaft hat eine räumliche Dimension. Auch 26 Jahre nach der Apartheid wirken die Verwerfungen, die der weiße Rassismus wirtschaftlich, aber vor allem auch im Hinblick auf die soziale und öffentliche Infrastruktur hinterlassen hat, nach. Die Verfügbarkeit einer ausreichenden Gesundheitsversorgung divergiert stark zwischen wirtschaftlich starken Provinzen wie Gauteng und schwachen Provinzen wie dem ländlich geprägten Eastern Cape. An vielen Stellen muss man von Staatsversagen sprechen. Gerade auf der kommunalen Ebene gibt es eine grassierende Korruption und Versagen der staatlichen Institutionen. Gerade erst hat ein Gericht in einem Urteil zu der Stadt Grahamstown Maßstäbe formuliert, nach denen eine komplette Stadtverwaltung auf Antrag der Bürger*innen abgesetzt werden kann, wenn über Jahre Mittel systematisch veruntreut werden. Die Bekämpfung der Coronaepidemie in Südafrika ist zwar eine nationale Aufgabe, sie muss jedoch in den verschiedenen sozialen und räumlichen Arenen erfolgen und betrachtet werden.

Die Epidemie begann am 1. März mit der Diagnose des ersten Falles bei einem aus Mailand zurück gekehrten Südafrikaner. In den ersten zwei Wochen war die überwiegende Zahl der Neudiagnosen durch zurückgekehrte Reisende. Damit gehörten sie überwiegend zur Ober- und Mittelschicht, überwiegend wohnhaft in den urbanen Zentren wie Kapstadt, Johannesburg und Durban. Diese Gruppe verfügt über hinreichend finanzielle und «räumliche» Ressourcen, wie Häuser und Grundstücke.  Diese Ober- und Mittelschicht umfasst etwa sieben von 57 Millionen Südafrikaner*innen. Auf diese Gruppe, oder besser «Klasse», ist ein privates Gesundheitssystem ausgerichtet, dass qualitativ mit den besseren medizinischen Einrichtungen in Europa vergleichbar ist. In diesem System stehen zurzeit etwa 3.000 Intensivbetten zur Verfügung. Hinzu kommen etwa 1.200 Plätze in den staatlichen Kliniken. Insgesamt verfügt Südafrika über 1,8 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner, im Vergleich zu 12 in Frankreich oder 6 im Vereinigten Königreich.

Insgesamt lassen sich drei Arenen unterscheiden, die unterschiedliche politische Antworten erfordern: a) die wohlhabenden urbanen Wirtschaftszentren und Vororte; b) die urbanen Townships in unmittelbarer Nähe und ökonomischer Abhängigkeit von den Zentren. Die urbanen Townships sind von einer dramatisch größeren Vulnerabilität betroffen. Und c) die ländlichen, zum Teil extrem peripheren, Gebiete, in den jedoch etwa 35 Millionen Südafrikaner*innen leben. Die Maßnahmen der südafrikanischen Regierung fokussieren auf die ersten beiden Gruppen, wohl auch aus der Einsicht, dass diese durch staatliche Maßnahmen am einfachsten erreichbar sind. Ein flächendeckender Ausbruch im ländlichen Raum ist durch Verlangsamung der Binnenmigration zwar nicht zu verhindern, aber zumindest zu verzögern. Auch wenn es makaber klingt: Letztlicht ist die ländliche Bevölkerung ohnehin auf sich gestellt. Denn, wo kein Gesundheitssystem existiert, kann es auch nicht zusammenbrechen.

Die Hauptbetroffenen leben in den extrem verdichteten urbanen Townships in sehr sozial prekärer Lage. Die Townships dienen häufig als Projektionsfläche für Ängste vor Staatszerfall, für Kriminalität und von Unruhen. Die friedliche Regenbogennation Südafrika war immer eher Versprechen als Realität. Viele Prognosen, die jetzt einen Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung vorhersagen, sollten die erstaunliche Widerstandsfähigkeit der südafrikanischen Gesellschaft berücksichtigen, die trotz enormer Ungleichheit, Gewalt und Perspektivlosigkeit eine funktionierende Demokratie hervorgebracht hat. Es ist hervorzuheben, welch eine hohe Bindewirkung die nun festgelegten Regeln im Land erzielen.

Die Altersstruktur Südafrikas ist sehr jung. Nur etwa acht Prozent der Bevölkerung sind über 60 Jahre alt, nur 2,5 Prozent über 70 Jahre. Die besonderen Risikogruppen sind die sozial vulnerablen Bevölkerungsteile in den urbanen Townships und Menschen mit Vorerkrankungen. Südafrika hat mit über sieben Millionen infizierten eine sehr hohe HIV-Inzidenz. Außerdem infizieren sich jedes Jahr etwa 400.000 Menschen mit Tuberkulose (TBC), einer schweren Lungenkrankheit. Nur etwa zweidrittel der HIV-Betroffenen hat überhaupt Zugang zu Antiretroviralen Medikamenten. Eine deutliche Mehrheit der Betroffenen ist schwarz und mit extremer Armut konfrontiert. Einen technischen Vorteil hat dies jedoch: Es stehen große Testkapazitäten zur Verfügung, die nun von TBC auf COVID19 umgewidmet werden können.

Die Entscheidung, Militär und Polizei gemeinsam zur Durchsetzung der Ausgangssperre einzusetzen ist ein in diesem Umfang und in dieser Dauer eine einmalige in der Geschichte Südafrikas nach der Befreiung 1994. Man könnte von einem Tabubruch sprechen – und es wird in den kommenden Wochen wichtig sein zu beobachten ob hieraus ein autoritärer Impuls entsteigt. In den ersten 48 Stunden der Ausgangssperre erschoss die Polizei drei Menschen – genauso viele, wie bisher an Coronavirus in Südafrika gestorben waren. Die Polizei ist eine der am wenigsten geachteten Institutionen des Landes, gekennzeichnet durch Brutalität und einem hohen Maß an Korruption. Die Entsendung des Militärs war kurzfristig eine Maßnahme zur Demonstration staatlichen Handlungsfähigkeit. Die zum Teil willkürliche Gewalt, die von Soldaten und Polizisten ausgeübt wurde, kann sich in den kommenden Tagen jedoch deutlich verstärken. Südafrikanische NROs haben bereits die ersten Klagen vor den offenen gebliebenen Gerichten eingereicht. Der oberste Richter hatte explizit für eine Öffnung wichtiger Gerichte gesorgt.

Wirkt der Hammer?

So weit, so gut: in den kommenden Wochen werden sich die unterschwelligen Spannungen und Spaltungen im Land und im politischen System deutlicher zu Tage treten. Zunächst einmal ist es beeindruckend, dass Südafrika ein solches Maß an Verbindlichkeit erreichen konnten, trotz seiner politischen Krise. Ramaphosa war eigentlich schwach in das Jahr gestartet. Die Probleme beim Energieversorger ESKOM und eine bereits eingetretene Rezession hatten die «Aufbruchsstimmung» zu Beginn seiner Machtübernahme verfliegen lassen. Offen waren bereits Nachfolgekämpfe im ANC feststellbar. Ramaphosa stützte sich nicht mehr auf eine stabile Mehrheit in den ANC Gremien. Hier scheint nun ein Burgfrieden eingekehrt zu sein. Die Dauer dieses Friedens wird auch von der Ausstiegsperspektive aus den nun getroffenen Maßnahmen und der Verteilung der Kosten abhängen.

Dennoch, bei einem längeren Verlauf der Corona-Pandemie wird es jedoch kritisch: 50 Millionen Südafrikaner*innen leben in finanziell hoch prekären Situationen, ohne Rücklagen und abhängig von täglichen Einkommen. Südafrika befand sich schon vor dem Virus in einer Rezession und kämpfte mit einer Arbeitslosigkeit von etwa 30 Prozent. Nur zwei von neun Provinzen – Gauteng und Western Cape -  haben mehr Beschäftigte als Arbeitslose. Einen über vier 4 Wochen am Stück andauernden Lockdown kann sich Südafrika nicht leisten. Da nützt es auch nicht, dass immerhin die Versorgungsengpässe in den Townships durch eine Sicherung der Lieferungen an kleine Läden und Märkte beseitigt wurden. Der Rand hat hingegen bereits erheblich abgewertet und die staatlichen Unterstützungsprogramme für die kleine und mittelständische Wirtschaft, zeigen, dass es keine fiskalische Feuerkraft gibt. Der Finanzminister spricht bereits von einem IMF-Programm.

Das nun in ganz Gauteng aufgefahrene mobile Testprogramm mit über 10.000 Testern zeigt, dass die Regierung vor allem in den wirtschaftlich relevanten Zentren schnell wieder eine Normalisierung, so weit wie möglich, herbeiführen will. Mittelfristig bestehen jedoch große Risiken für einzelne Wirtschaftsbereiche. Die Hauptreisesaison nach Südafrika war gerade abgeschlossen, aber die gesamte touristische Dienstleistungsbranche muss nun vor dem nächsten Sommer bangen. Die sich abzeichnende globale Rezession wird auch auf Südafrika gravierende Folgen haben.

Südafrika ist eine extrem gewalttätige Gesellschaft. Erste Berichte zeigen einen Rückgang der Mord- und Gewaltkriminalität. Dabei spielt insbesondere Verkaufsverbot von Alkohol eine Rolle, da die meisten der etwa 60 täglichen Morddelikte alkoholisiert und in spontanen Auseinandersetzungen begangen werden. Gleichzeitig gab es bereits in der ersten Woche 78.000 Anrufe bei der Polizei wegen häuslicher Gewalt, vor allem gegen Frauen.

Positiv ist, dass sich in dieser Krise viele Probleme Südafrikas im globalen Vergleich relativieren werden. Hatte bisher Südafrika mit dem Konkurs seiner staatlichen Fluggesellschaft zu kämpfen, steht nun auch die Verstaatlichung großer Fluggesellschaften wie Lufthansa auf der politischen Agenda. Es zeigt sich schon jetzt, dass es ohne global angelegte Programme nicht gehen wird – der Einbruch ist zu stark und zu viele Länder stehen vor dem Staatszerfall. Die sich nun abzeichnende neue Rolle des Staates als Investor, der Fokus auf eine globale Gesundheitspolitik, die Deglobalisierung der Produktionsketten -  all dies sind auch Optionen für Südafrika aus der Falle eines «Middle Income Countries» mittelfristig zu entkommen und einen arbeitskraftintensiven Entwicklungsstaat aufzubauen.

Zunächst geht es aber ums Überleben: In den kommenden zehn Tagen wird sich zeigen, ob die Ausweitung der Tests funktioniert und die Steigerung der internen Übertragungsrate eingedämmt werden. Dann könnten begrenzte Kapazitäten ausreichen. Früher als später stehen jedoch Verteilungskonflikte und Prioritätensetzung an, die das Risiko beinhalten, den aktuellen Moment der nationalen Einheit zu beenden. Noch gar nicht betrachtet ist der regionale Kontext: der Staatszerfall in Zimbabwe ist das größte regionale Risiko. Die bereits jetzt vorhandenen xenophoben Tendenzen werden sich bei der Ankunft von «Gesundheitsflüchtlingen», wie es bereits heißt, noch deutlich verstärken.

Der Hammer, also die erste Reaktion hat einigermaßen gut funktioniert, jetzt kommt aber die lange Phase in der Verlässlichkeit, Nachhaltigkeit, aber eben auch Hoffnung benötigt wird.

Stand: 02.04.2020