Zum Symposium «Brennende Zeitfragen - Rosa Luxemburg aktuell und relevant» am 19. Februar 2015 konnte die langjährige Leiterin des Israel-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Angelika Timm, zum Abschluss ihrer Tätigkeit in Israel prominente Gäste und ausgewiesene Kenner der Thematik begrüßen. Etwa 150 Personen waren der Einladung in das Beit Sokolov in Tel Aviv gefolgt.
Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (DIE LINKE) würdigte in ihrer Grußansprache die Tätigkeit des Israel-Büros insbesondere bei der Vermittlung linken politischen Gedankenguts sowie der Schriften Rosa Luxemburgs.
Mit dem im Verlaufe der Tagung vorgestellten Buch mit ausgewählten Schriften Rosa Luxemburgs auf Hebräisch folgte die Stiftung einer während der spontanen israelischen Sozialproteste 2011 entstandenen Idee. Hauptthemen des Bandes sind die soziale Frage, Reform oder Revolution sowie Krieg und Frieden, wie Giora Rosen, Herausgeber der Kav-Adom-Reihe des Verlags Hakibbutz, Tel Aviv, hervorhob.
Moshe Zuckermann, Professor an der Universität Tel Aviv sprach zum Thema «Aktuelle Gedanken über eine historische Persönlichkeit» und erläuterte, warum aus seiner Sicht Rosa Luxemburgs Ideen heute für Israel relevant sind. Sie trügen wegen ihrer Kapitalismuskritik dazu bei, Wege aus der innergesellschaftlichen Krise zu finden. Rosa Luxemburg sei eine prinzipielle Gegnerin von Militarismus und Krieg sowie Verfechterin von aktiver (nicht nur formaler) Demokratie. Es sei im Übrigen kein Zufall, dass während der Sozialproteste 2011 nicht nur nicht über die Okkupation und die Siedlungspolitik gesprochen wurde, sondern auch keine Kapitalismuskritik erfolgte. Da es vor allem Proteste von Angehörigen des Mittelstands waren, sei das nicht verwunderlich.
Eine erste Diskussionsrunde befasste sich mit dem Thema «Sozialreform oder Revolution?» Eva Illouz, Soziologin an der Hebräischen Universität von Jerusalem und Präsidentin der Bezalel Academy of Art and Design fragte, warum die Bevölkerung in Israel so viel Dinge hinnimmt ohne Widerstand zu leisten. Warum – so fragte sie – erhielten nach der Ermordung Jizchak Rabins nicht dessen Partei bei den folgenden Parlamentswahlen die meisten Stimmen, sondern Rabins Gegner? Das wäre in jedem anderen Land der Fall gewesen. Als linker Intellektueller habe man eine Verantwortung, seine Stimme in der Öffentlichkeit hören zu lassen. Es gäbe keine Demokratie, die nicht auf den universellen Werten der Menschen- und Bürgerrechte basiert. In der israelischen Gesellschaft jedoch spielten universelle Werte kaum eine Rolle. Es gäbe einen Partikularismus der Überzeugungen. Der Nationalismus dominiere gegenüber universellen Werten. Dafür gäbe es historische Gründe. Ein Intellektueller müsse jedoch jederzeit die Verbreitung universeller Werte anstreben.
Dov Khenin, Jurist, Politikwissenschaftler und Knessetabgeordneter von Chadasch sprach über Sozialismus und Kommunismus als Vision. Ohne die sozialistische oder kommunistische Vision gäbe es keinen Weg, um positive gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen. Der Sozialismus Rosa Luxemburgs sei jedoch wegen seiner Kapitalismuskritik mehr als eine Vision, er ist real. Im Mittelpunkt der Schriften Rosa Luxemburgs stünde das Verhältnis von Sozialismus und Demokratie.
In einer zweiten Diskussionsrunde zum Thema «Krieg und Frieden» sprach zunächst die Psychologin Nabila Espanioly, Psychologin und arabisch-palästinensische Israelin, seit 25 Jahren Aktivistin in der Friedensbewegung. Die sozialen Proteste 2011 hätten nicht die soziale Lage mit der Okkupation in Verbindung gebracht. Zudem gingen Leute, die mit der aktuellen Situation nicht einverstanden sind, lieber nach Berlin als hier für soziale Veränderungen zu kämpfen. Die Einheit der Demokraten sei wichtig. Gerade in der Peripherie wurde der Zusammenhang zwischen sozialen und politischen Fragen hergestellt. Dort demonstrierten jüdische und arabische Israelis gemeinsam.
Gideon Levy, Journalist bei der hebräischen Tagesszeitung Haaretz, sagte, der letzte Gazakrieg 2014 sei die schwierigste Phase in seinem Leben gewesen. Keine einzige Lehre wurde aus den vorangegangenen Kriegen gezogen. Die Hauptfrage sei nicht Krieg oder Frieden, sondern die Herstellung von Gerechtigkeit und internationalem Recht. Die Okkupation müsse enden - ob mit einem Friedensschluss oder ohne. Levy glaubt nicht, dass Veränderungen aus der israelischen Gesellschaft selbst kommen werden. Unser Lebensstandard sei zu hoch. Die israelische Linke werde immer stärker durch die immer mächtiger werdende Rechte delegitimiert.
Die Demokratie erodiert. Während des Gazakriegs haben sich erstmals Linke gefürchtet, zu Demonstrationen zu gehen. «Links» wurde zu einem Schimpfwort. Rechte hätten «Tod den Linken» gerufen und Demonstranten auch physisch bedroht. Die größte Gefahr für Israel sei die weitere Erosion der Demokratie, denn Presse- und Meinungsfreiheit sind nach wie vor unser größter Schatz.
Florian Weis, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung, hob in seinem Schlusswort den hohen intellektuellen Anspruch der Diskussionsveranstaltungen des RLS-Israelbüros hervor und verwies auf die Veranstaltung zur Büroeröffnung im März 2009, die ebenfalls dem Wirken Rosa Luxemburgs und der deutschen Linken gewidmet war. In den nunmehr sechs Jahren seiner Tätigkeit habe sich das Büro zu einer anerkannten und gut besuchten Einrichtung der politischen Bildung in Tel Aviv entwickelt.
Am Abend nach der Buchpräsentation fand ein Empfang in den Räumen der RLS statt. Während der Veranstaltung würdigten Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, der deutsche Botschafter in Israel Andreas Michaelis, Prof. Moshe Zimmermann (Jerusalem) und Florian Weis die Leistung der scheidenden Büroleiterin Angelika Timm und dankten ihr für Ihre langjährige hervorragende Arbeit an der Spitze ein deutschen politischen Stiftung in Israel. Insbesondere ihre Kontakte zu zahlreichen NGO’s sowie ihre umfangreiche Kooperation mit Universitäten und Hochschulen des Landes haben die Arbeit geprägt und sollten weiter fortgeführt werden. Als Nachfolger von Angelika Timm als Leiter des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Israel wurde Tsafrir Cohen in sein Amt eingeführt.