News | Warum Antifa? Folge 2

In dieser Interview-Reihe werden wir in loser Folge mit Menschen sprechen, die sich in Rheinland-Pfalz aktiv antifaschistisch engagieren. Wir fragen nach ihrer Motivation, nach dem Warum. Ob und was ein solches Engagement bringt, mit welchen Belastungen es einhergeht. Unser Anliegen ist es, antifaschistische Haltung und Handlung als das darzustellen, was sie unserer Ansicht nach sind und sein sollten: Menschenpflicht, selbstverständlich und alltäglich.

In dieser Interview-Reihe werden wir in loser Folge mit Menschen sprechen, die sich in Rheinland-Pfalz aktiv antifaschistisch engagieren. Wir fragen nach ihrer Motivation, nach dem Warum. Ob und was ein solches Engagement bringt, mit welchen Belastungen es einhergeht. Unser Anliegen ist es, antifaschistische Haltung und Handlung als das darzustellen, was sie unserer Ansicht nach sind und sein sollten: Menschenpflicht, selbstverständlich und alltäglich.

Im ersten Interview, das wir in fünf Folgen veröffentlichen werden, haben wir mit Holger Heim von  der Kurfürstlich Kurpfälzischen Antifa (kurz KKA) gesprochen. Heim ist seit seiner Jugend antifaschistisch positioniert und hat insbesondere im Kontext der rechten Mobilisierung in der Südpfalz dazu beigetragen, Antifa populär und sichtbar zu machen in der Region.

Eine kleine Biographie zur Person Holger Heim findet sich am Ende des Interviews.
 

Kontext zu den Ereignissen in Kandel

Am 27.12.2017 wurde die damals 15-jährige Mia V. von ihrem Ex-Freund Abdul D. in einem Drogeriemarkt im südpfälzischen Kandel ermordet. Bereits am 30.12.2017 gab es die erste Demonstration aus dem politisch rechten Spektrum im Ort, am 02.01.2018 folgte die rechtsextreme Mobilisierung „Der Marsch 2017“, camoufliert als „Frauenbündnis Kandel“ um Marco Kurz, mit einer ersten großen Demonstration. Einige Menschen versuchten friedlich mit bunten Regenschirmen als Symbol für ihre Anteilnahme und Hoffnung einen Gegenpol gegen den rechten Gewalthaufen zu bilden, was zu Bedrohungen, Beleidigungen und körperlichen Übergriffen durch die Rechten führte. Ab diesem Zeitpunkt war Holger Heim vor Ort und beteiligte sich an linken Protesten und Demonstrationen.

1. Die bekannte Hufeisentheorie (https://www.rosalux.de/publikation/id/5037/auf-ein-wort-extremismus?cHash=553d490fe7109d2dd44fc58eecb8b8ff) wurde spätestens seit den 1960er-Jahren in Deutschland angewendet, um eine Verschiebung des politischen Spektrums nach links zu verhindern bzw. die rechtskonservative angebliche "Mitte" zum Maß aller Dinge zu erklären.
In welcher Weise waren bzw. sind Deine antifaschistischen Tätigkeiten von dieser Staatsdoktrin beeinträchtigt?


Die “Hufeisentheorie”, nach der “linker” und rechter Extremismus gleich schlimm seien, scheint tief in der bürgerlichen Gesellschaft, von rechts bis links, verwurzelt zu sein.
Ich wehre mich allerdings dagegen, diese sogenannte “Theorie” von Reaktionären, Konservativen und Neoliberalen als Theorie im politikwissenschaftlichen Sinne zu bezeichnen.
Es ist ein ideologisch motiviertes Werkzeug der Reaktionären, Konservativen und Neoliberalen im pseudowissenschaftlichen Kleid, das alleine ideologisch motiviert ist und dazu dient, linke, humanistische, fortschrittliche und die Menschenrechte bedingungslos akzeptierende Politikansätze zu diskreditieren, zu delegitimieren und letztendlich zu kriminalisieren.
Gleichzeitig gibt dieses Werkzeug Reaktionären, Konservativen und Neoliberalen die Mittel in die Hand, den diesen Kreisen innewohnenden Extremismus (der Mitte) zu kaschieren und wo dies nicht möglich ist, als “alternativlos” und im Vergleich “harmlos” darzustellen.
Ein Beispiel: in den Berichten von Landes- und Bundesverfassungsschutz werden antikapitalistische Bestrebungen als “verfassungsfeindlich” dargestellt, obwohl diese Wirtschaftsform im Grundgesetz nirgendwo festgeschrieben steht. So wird man als Verfechter einer demokratischen und gemeinwohlorientierten Wirtschaftsform, der kapitalistische Mechanismen als gesellschaftsschädlich betrachtet, zum Linksextremisten.
Und als solcher “Linksextremist”, der Humanismus, Menschenrechte und Demokratie fordert, wird man gleichgesetzt mit Menschen, die Rassismus, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit - ich spare mir jetzt die ganzen weiteren fascho-Widerwärtigkeiten - predigen.
“Ihr Linken seid doch genauso schlimm, wie die Rechten” ist ein oft gehörter Satz am Rande von Demos. Als bekennender und aktiver Antifaschist steht man unter dem Generalverdacht gewalttätig und damit potenziell kriminell zu sein. Und mit Gewalttätern und Kriminellen will der gemeine Bürger nichts zu tun haben (und mancher freut sich diebisch, wenn er seiner Schwarzarbeit nachgehen kann, seine Versicherung betrügen kann, dem Finanzamt ein Schnippchen schlagen kann, oder sonstwie einen Vorteil auf Kosten der Allgemeinheit erzielt).
Konkret habe ich das in Kandel erlebt, wo insbesondere die dortige CDU, aber auch einige Vertreter*innen von FDP, SPD, Grünen und auch der LINKEN ihre Vorbehalte gegen “die Antifa” mit Hufeisenwürfen verbanden, und eine Zusammenarbeit mit “der Antifa” nicht nur konsequent ablehnten, sondern, hier war die CDU mit ihrem Vorsitzenden und nunmehrigen Kandeler Bürgermeister besonders reaktionär, “die Antifa” zu der “eigentlichen Gefahr” für Kandel erkor - basierend vor allen Dingen auf dem von Polizei, konservativen und reaktionären Medien und verantwortlichen Politikern gezeichneten Bild des G-20-Gipfels in Hamburg.
Die zahlreichen Übergriffe von Nazis aus den Kundgebungen von “Kandel ist überall” und dem “Frauenbündnis Kandel” mit Waffen und mit Körperverletzungen wurden von diesen Reaktionären nicht verurteilt - der Wurf von zwei Böllern aus unserer Demo heraus wurde hingegen als Bombenattentat skandalisiert.
Die Hufeisenideologie bot der nach Macht strebenden CDU in Kandel die Möglichkeit, alles und jeden zu diskreditieren, der sich nicht von uns distanzierte - und sie hatte damit Erfolg. Die Grünen gingen eine Koalition mit der CDU ein und gaben eine Wahlempfehlung für den CDU-Vorsitzenden beim zweiten Wahlgang zur Wahl des Ortsbürgermeisters ab.
Dass dieser CDU-Ortsbürgermeister mit einem offensichtlichen Rechtsextremisten gemeinsam eine Kandel-Facebook-Gruppe administriert, ist ein Treppenwitz dieser Geschichte.


2. Gibt es für Dich im Rückblick auf die Anfänge Deiner Aktivitäten so etwas wie einen Zündfunken, ein auslösendes Moment,
vielleicht auch eine Person oder Personenkreis, der Dich aktiviert hat?


Ich stamme aus einem sozialdemokratisch geprägten Elternhaus.
Auch wenn meine Eltern kaum über Politik redeten, so wusste ich von ihnen, dass sie SPD wählen und dass mein Vater 1972 in die SPD eingetreten war, wenn auch nicht aktiv war. Natürlich kam jeden Monat der “Vorwärts” ins Haus, den ich, auch wenn ich anfangs wenig verstand, immer gelesen habe. So kam es, dass, je älter ich wurde, ich mich immer mehr mit der SPD und ihrer Geschichte beschäftigt habe. Dies führte auch zwangsläufig dazu, dass ich mich mit dem Nationalsozialismus beschäftigte.
Insbesondere die Verweigerung der SPD zum Ermächtigungsgesetz der Nazis hatte mir imponiert.   
Letztlich war auslösender Moment für mein sozialdemokratisches und auch antifaschistisches Engagement mein Geschichtslehrer in der zehnten Klasse, der sich ständig negativ über “die Sozen” ausließ, und seine Bewunderung für “den Führer” nur schlecht kaschieren konnte, auch wenn er vorgab CDU-Mitglied zu sein. Er war der Grund für meinen Eintritt in die SPD und für eine Beschwerde meinerseits beim Schuldirektor - auch CDU-Mitglied - die letztlich erfolglos blieb.

3. Antifaschismus und Kapitalismuskritik sind untrennbar miteinander verbunden. In der Theorie jedenfalls. In der Praxis liegt es immer wieder sehr am einzelnen Menschen (Sozialisation, Bildung, Alltag) wie sehr diese Verknüpfung sich dann auch niederschlägt. Welche Rolle spielt die Kritik am vorherrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystem für Dich?

Ich habe den Eindruck, in der derzeitigen gesellschaftlichen Situation, in der rechtsextremistisches Gedankengut in der Gesellschaft wieder salonfähig und parlamentarisch anschlussfähig zu werden scheint, ist das Engagement derzeitig hauptsächlich auf den Erhalt des Status Quo ausgerichtet.
Das ist letztlich bedauerlich, denn linke gesellschaftliche und wirtschaftliche Konzepte und - ja auch - Utopien, sind meines erachtens die besseren Argumente gegen Faschismus und Nationalismus, als der bloße Erhalt des Status Quo.
Wie sehr der Status Quo sowohl an den Erfordernissen als auch Möglichkeiten der Menschheit und des Planeten vorbeigeht, beweist nicht zuletzt die Corona-Epidemie und deren wirtschaftlichen wie sozialen Folgen.

4. Die aktuelle, global geführte Debatte um Rassismus und Polizeigewalt, die im Zuge der #blacklivesmatter-Proteste entstanden ist, sorgte auch für eine fragwürdige Ehrung "der Antifa", seit Donald Trump diese zur treibenden Kraft hinter den Demonstrationen und Protesten erklärte.
Auch in Deutschland gab und gibt es immer wieder massive Repressions-Maßnahmen mit dem Ziel Antifaschismus zu kriminalisieren, so beispielsweise bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg, bei #Endegelände oder jüngst in Leipzig, wo mit Connewitz/Leipzig Süd ein ganzer Stadtteil von der sächsischen Polizei unter den Generalverdacht gestellt wird, nur von Linksextremem bewohnt zu sein. Diese Show of Force ist in Deutschland noch nicht ganz so durchmilitarisiert wie in den USA, aber die Entwicklung ist ähnlich. Macht Dir das Sorgen? Welche Ideen hast Du zum Umgang damit?


Ob die Polizei in Deutschland weniger durchmilitarisiert ist als in den USA, kann ich nicht beurteilen.
Die weitere Militarisierung der Polizei in Deutschland ist jedoch in vollem Gange.
Dies manifestiert sich in der Aus- und Aufrüstung, im Auftreten, in der Einsatzkonzeption, in der Aufgabenstellung und nicht zuletzt in der Ausbildung.
Dass wir mittlerweile Polizeigesetze haben, die der Polizei zunehmend Sonderrechte zubilligt, neue Straftatsbestände zum Nachteil der Bevölkerung schafft, Polizisten einen juristischen Sonderstatus schafft, ist in dieser Kombination natürlich höchst bedenklich.
Dass ausgerechnet Grüne bei der Schaffung dieser Sonderrechte sich zum willfährigen Erfüllungsgehilfen von Law-and-Order-Politikern machen, ist ein politischer Offenbarungseid.
Und ja, natürlich macht mir das Sorgen.
Schon in den Verfassungsschutzberichten machen sich die neuen Polizeigesetze bemerkbar. Wie schnell aus einem Abwehrreflex jetzt eine Straftat wird, dürfte wohl allen antifaschistisch Aktiven geläufig sein.
Dies alles macht antifaschistischen Protest zunehmend schwer, wenn man nicht bewusst in Kauf nehmen will, mit Polizei und Justiz in Konflikt zu kommen.
Diese Entwicklung erfordert Konsequenzen mindestens in zweierlei Hinsicht.
Zum einen bedürfen die Polizeigesetze dringend einer Überprüfung durch das Bundesverfassungs- gericht.
Zum anderen muss sich Antifaschistischer Protest weiterentwickeln. Neben der klassischen Gegendemo, die immer nur Reaktion auf Faschos ist, müssen meines Erachtens vermehrt Aktionsformen gefunden und genutzt werden, die antifaschistische Vorstellungen und antifaschistische Kultur offensiv in die Gesellschaft tragen. Der Antifaschismus muss mehr Themen selbst setzen, statt auf die mediale und durch Parteien vorgegebene Themensetzung zu reagieren. Statt in einer Abwehrhaltung zu verharren, muss Antifaschismus in die Offensive gehen. Das alljährlich stattfindende antifaschistische Straßenfest in Heidelberg ist hierfür meines Erachtens eines von vielen guten Beispielen.


5. Der Betrieb/Arbeitsplatz in Deutschland, undemokratisch wie er ohnehin organisiert ist, der eine Keimzelle des Rassismus und rechtsextremer Ideologie bildet. Wer kennt nicht die scharfe Diskussion mit Kolleg*Innen, die die neueste Hetze aus der BILD oder aus anderen Schwurbelmedien in der Pause wiederholen?! Hast Du Empfehlungen an die Leser*Innen, wie mit solchen
Situationen umzugehen ist am Arbeitsplatz? Was hat für Dich schon funktioniert?


Ein schwieriges Thema. Oftmals fehlen sowohl die Zeit, als auch die notwendigen Informationen, um die populistische Hetze von Bild und Co. in der kürze der Zeit zu entkräften. Hinzu kommt allzu oft auch ein gewisses Bildungsdefizit bei Menschen, die diese Hetze für bare Münze nehmen, was einen emanzipatorischen Diskurs unmöglich macht. Gerade in vielen kleinen Betrieben hat man zusätzlich das Problem, dass die  Vorgesetzten oder die Chefs auch so ticken. Ganz schnell kann Widerspruch dann berufliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Eine Blaupause dafür, wie man reagieren soll, gibt es nicht.
Dennoch sollte man am Arbeitsplatz jeglicher Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit widersprechen - ich habe das auch selbst immer getan. Bei einigen Kolleg*innen hat das immerhin dazu geführt, dass sie sich in meiner Gegenwart mit solcher Hetze zurückgehalten haben.
Bei nur wenigen ist es gelungen, dass bestimmte, zum Beispiel antisemitische, Argumentationsmuster nicht mehr genutzt wurden.

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Zur Person:
Holger Heim, geboren 1967 in Mannheim wuchs in Schwetzingen auf.

1985 trat er in die SPD ein, wo er bis 1999 in verschiedenen Funktionen (u.a. als Kreisvorsitzender der SPD-Rhein-Neckar) tätig war. Zudem war er Mitglied der Jungsozialisten, sowie im Ortsverein Schwetzingen auf Kreis- und Landesebene aktiv. Für zwei Jahre war Heim in Funktion Bezirksvorstand der AWO Baden.
Seit 1999 ist er in keiner Partei mehr Mitglied.

Heim machte eine Ausbildung zum Kaufmann im Groß- und Einzelhandel und arbeitete nach Leistung seines Ersatzdienstes als Lagerleiter, später im Außendienst. Freiberuflich arbeitete er als Discjockey, wechselte dann in die Gastronomie, wo er zunächst als Betriebsleiter, später als selbständiger Gastronom tätig war.
Holger Heim über sich selbst und seine antifaschistische Praxis:
„Seit meiner politischen Aktivwerdung ist antifaschistisches Engagement in wechselnder Intensität Bestandteil meiner Aktivitäten. Schon die Verweigerung des Kriegsdienstes war antifaschistisch motiviert.
Seit 2015/2016 hat sich mein Engagement wieder intensiviert und zunächst auf Facebook beschränkt. Seit 2017 organisiere (und beteilige) ich mit vielen Mitstreiter*innen unter dem Label “KKA” (Kurfürstlich Kurpfälzische Antifa) öffentliche Aktionen gegen Faschisten in der Metropolregion Rhein-Neckar, wobei die Vorder- und Südpfalz den geografischen Schwerpunkt der Aktionen bilden.
Aber auch in Nordbaden, Rheinhessen, und an vielen anderen Orten beteiligten wir uns als “KKA” an öffentlichen Aktionen gegen Faschisten, so auch zum Beispiel in Chemnitz, Trier, Koblenz und Hanau.“