News | Staat / Demokratie - Partizipation / Bürgerrechte - Osteuropa Beginn einer politischen Wende

In Belarus sind Neuwahlen und ein friedlicher Machtwechsel möglich.

Minsk am 23. August: Die Proteste gegen Lukaschenko und die gefälschten Präsidentschaftswahlen in Belarus dauern an. CC BY-SA 3.0, Homoatrox / Wikimedia Commons

Ereignisse entwickeln sich selten nach Vorgabe externer Analysten. In den zwei Wochen nach der durch Lukaschenkos Machtapparat gefälschten Präsidentschaftswahl in Belarus am 9. August überdauerte kaum eine der dramatischen Voraussagen den nächsten Tag.

Die Opposition in Belarus erwies sich als klüger, besonnener und handlungsfähiger, als man ihr nach den ersten Tumulten und gewalttätigen Reaktionen der Staatsmacht aus Ost und West zubilligte, trotz ihrer politischen Differenziertheit. Insofern kann und wird in Belarus entscheidend werden, ob und wie weit sie sich eigenständig entwickeln darf und kann.

Kerstin Kaiser leitet das Moskauer Auslandsbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Zahlen und Prozente der Wahl selbst lohnen keine Analyse. Das angebliche Wahlergebnis von über 80 Prozent für den «ewigen» Präsidenten Alexander Lukaschenko, der für diesen Status vor langer Zeit schon die Verfassung des Landes außer Kraft gesetzt hatte, ist bekannt und unglaubwürdig, weil offensichtlich gefälscht. Das ist Konsens, international wie unter der Bevölkerung von Belarus. Jedoch bezweifeln selbst Kritiker und Gegner der jetzigen Macht, dass ein Sieg von Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja belegbar wäre.

Bei Ereignissen in ehemaligen Republiken der UdSSR und an den Grenzen zur heutigen Russländischen Föderation versperren leider jahrzehntelang gepflegte Klischees und eindimensionale Analysen möglicher Entwicklungspfade auch seriösen Berichterstatter*innen den Blick auf Ursachen, Motive und Lösungsvorschläge der jeweils innergesellschaftlichen Opposition. Die Situation in Belarus ist eine gute Gelegenheit, um diesen Ballast abzuwerfen.

Die erst kurz vor dem Knall des Wahlbetrugs aufgewachten Beobachter*innen spekulierten tagelang über die Aufgaben der EU gegenüber Belarus, beschworen einen erneuten Maidan und bringen Putins «Interventionsgelüste» ins Spiel. Mögliche Interessen, Widersprüche, Entwicklungen in der Gesellschaft von Belarus und die Durchsetzungsmöglichkeiten der oppositionellen Forderungen wurden praktisch nur in dieser Klammer gedacht.

Opposition und Zivilgesellschaft - bis hin zu vorher offenen Unterstützer*innen Lukaschenkos –  reagierten währenddessen auf die staatlichen Gewaltexzesse der Nachwahl-Woche mit Aufrufen und friedlichen Demonstrationen gegen gewaltsame Lösungen. Die vorher kaum bekannten oppositionellen Kräfte traten entschieden, selbstbewusst und eher nachdenklich auf die politische Bühne.