News | Soziale Erhaltungssatzung (Milieuschutzsatzung)

Die soziale Erhaltungssatzung (auch Milieuschutzsatzung genannt) ist ein Instrument zur Verlangsamung von Verdrängung durch bauliche Aufwertung, Abriss oder Nutzungsänderung von Wohngebäuden in einem begrenzten Geltungsbereich. Die soziale Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB wird für ein klar umgrenztes Quartier beschlossen, dessen soziale Zusammensetzung durch bauliche Aufwertung sehr stark verändert werden könnte. Bestimmte Bautätigkeiten und Nutzungsänderungen, die u.a. eine Verdrängung von Bewohner*innen zur Folge haben könnten, bedürfen dann einer Genehmigung durch die Kommune. So können Aufwertungsprozesse erschwert werden, die das soziale Gefüge im Quartier verändern und Menschen in prekäre Wohnsituationen drängen.

Ziele des Instruments

  • Verdrängung von Bewohner*innen eines Quartiers verlangsamen
  • Der Kommune ein Vorkaufsrecht zum Schutz der Sozialstruktur einräumen – kommunalen Grundbesitz ausbauen
  • Wohnraum und niedrige Mieten sichern
  • Einfluss auf Bebauung von Baulücken nehmen
  • Attraktivität eines Quartiers für stark renditeorientierte Investor*innen mindern


Wirkungsweise

Die Kommune verabschiedet eine soziale Erhaltungssatzung für Quartiere, deren spezifische soziale Zusammensetzung als erhaltenswert angesehen wird. Hierzu ist in der Regel ein vierstufiges Verfahren nötig: Zunächst wird in einer Voruntersuchung flächendeckend nach Quartieren gesucht, in denen es zu städtebaulich unerwünschten Verdrängungsprozessen durch bauliche Aufwertung kommen könnte. In einem zweiten Schritt wird ein Aufstellungsbeschluss zu den in Frage kommenden Quartieren gefasst. In einem dritten Schritt erfolgen sozialräumliche Untersuchungen in dem Quartier, für das eine soziale Erhaltungssatzung erstellt werden soll. Die Untersuchungen sollen eine valide Datengrundlage für einen Satzungsbeschluss sicherstellen. Schließlich fasst der Rat einen Beschluss über die Satzung.
Die soziale Erhaltungssatzung ist städtebaulich zu begründen. Als Gründe kommen etwa eine mögliche Verknappung von Wohnraum und Veränderungen der Nachfrage nach öffentlicher Infrastruktur in Frage. Im Geltungsbereich der Erhaltungssatzung müssen Rückbau (Abriss), Umbau und Nutzungsänderungen (auch Umwandlung von Mietwohnungen in Wohneigentum) von Wohngebäuden gesondert genehmigt werden. So hat die Verwaltung die Möglichkeit, die Genehmigung zu untersagen, wenn sie die soziale Zusammensetzung eines Quartiers durch eine solche Maßnahme gefährdet sieht. Das Baugesetzbuch regelt in § 172 Abs. 4 sechs Ausnahmefälle, in denen eine solche Genehmigung nicht untersagt werden darf, darunter zum Beispiel die bauliche Angleichung an einen durchschnittlichen Ausstattungsstandard. Um zu ermessen, welche baulichen Maßnahmen den geltenden Standard überschreiten, arbeiten viele Verwaltungen mit Kriterienkatalogen, die auf die jeweiligen Geltungsbereiche zugeschnitten sind. Eine Erhaltungssatzung kann eine unbefristete Geltungsdauer haben.
Die Kommune besitzt im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung ein Vorkaufsrecht nach § 24 BauGB, das spekulative Grundstückskäufe verhindern soll. Es ist ratsam, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Sollten Eigentümer*innen abwenden wollen, dass ihr Grundstück von der Kommune gekauft wird, müssten sie einen Vertrag verhandeln, in dem diverse wohnungspolitische Maßnahmen festgelegt werden können (städtebaulicher Vertrag).


Vorteile

  • Dieses Instrument kann genutzt werden, um Verdrängungsprozesse zu verlangsamen.
  • Soziale Erhaltungssatzungen können auch unbefristet gelten.
  • Die soziale Erhaltungssatzung ist auf ein ganzes Quartier angelegt, nicht auf einzelne Grundstücke.
  • Im Geltungsbereich kann die Kommune auf die Bebauung von Baulücken (§ 34 BauGB) Einfluss nehmen, was andernfalls nur schwer möglich ist.
  • Eine Milieuschutzsatzung kostet die Kommune, sobald sie erstellt ist, kein Geld.
  • Durch das Vorkaufsrecht kann die Kommune ihren Grundbesitz ausbauen.


Nachteile

  • Die soziale Erhaltungssatzung kann nur indirekt auf die soziale Zusammensetzung eines Quartiers Einfluss nehmen.
  • Die soziale Erhaltungssatzung kann nur für einzelne Quartiere beschlossen werden. Hierbei kann aber die Größe dieser Quartiere variieren.
  • Wohnungen, die ortsüblichen Standards nicht genügen, und bauliche Veränderungen, die dazu dienen, dass die Gebäude gesetzlichen Mindeststandards genügen, sind von der Genehmigungspflicht ausgenommen.
  • Die Wirksamkeit des Instruments steht und fällt mit dem Problembewusstsein derjenigen Stellen in der Kommune, die die Anträge für bauliche Veränderungen, Rückbauten und Nutzungsänderungen bearbeiten.
  • Eine soziale Erhaltungssatzung kann keine Mieterhöhungen bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete und keine Mietsteigerungen für Modernisierungen verhindern und hat keinen Einfluss auf die Höhe der Miete bei Neuvermietung.
  • Hausbesitzer*innen können vor Inkrafttreten der Erhaltungssatzung Maßnahmen durchführen, die nach Inkrafttreten genehmigungspflichtig wären. Diese Gefahr ist nicht unerheblich, denn die Verabschiedung einer Erhaltungssatzung ist ein sehr langwieriges Verfahren.


Fallbeispiel

In der Stadt München wurden 1987 die ersten sozialen Erhaltungssatzungen eingeführt, nachdem die Stadt ein Rechtsgutachten erstellen lassen und sich mit anderen Städten über deren Erfahrungen ausgetauscht hatte. Mittlerweile ist die Geltungsdauer der Erhaltungssatzungen auf fünf Jahre festgelegt. Vor Ablauf der Geltungsdauer wird überprüft, ob die Satzungsgebiete noch der Satzung bedürfen und ob der Geltungsbereich modifiziert werden sollte. 1996 gab es achtundzwanzig Gebiete mit sozialer Erhaltungssatzung in München, in denen ca. 22 % der Wohnbevölkerung der Stadt wohnten. 2017 wohnten immerhin noch 17 % der Wohnbevölkerung in Milieuschutzgebieten.
Zur Ermittlung des Aufwertungs- und Verdrängungspotentials erfasst die Stadt verschiedene Indikatoren für einzelne Quartiere. Hierzu zählen ältere Geschossbauten und der Anteil verdrängungsanfälliger Bevölkerungsgruppen. Um den Milieuschutz effektiver gestalten zu können, setzte sich die Stadt München nach eigenen Angaben seit 1988 bei der Landesregierung für die Einführung eines Umwandlungsvorbehalts ein. 2014 wurde dieser für die Dauer von fünf Jahren eingeführt. Von 2014 bis 2016 wurden knapp 25 % der Anträge auf Genehmigung der Begründung von Wohn- oder Teileigentum genehmigt, mithin in vielen Fällen der Verkauf von Wohnungen verhindert. In den meisten Fällen, in denen es in Münchner Erhaltungssatzungsgebieten zum Verkauf von Wohnungen kam, wurden Abwendungserklärungen verfasst – es kam nur in kleinerem Umfang zur Ausübung des Vorkaufsrechts zugunsten kommunaler Wohnungsbaugesellschaften. Die Stadt bietet zudem Beratungsgespräche für Eigentümer*innen an, die ihre Wohnungen in Milieuschutzgebieten verkaufen wollen.
Die Stadt selbst argumentiert, dass Aufwertung, Verdrängung und spekulative Umwandlung durch Milieuschutzsatzungen abgemildert und verlangsamt werden können, dies allein aber nicht zur Bewältigung der Wohnraumproblematik ausreichend sei.


Bewertung des Instruments

Soziale Erhaltungssatzungen stellen ein aussichtsreiches Instrument dar, um Verdrängungsprozesse zu verlangsamen. Dabei ist zu beachten, dass Erhaltungssatzungen immer städtebaulich begründet werden müssen. Eine solche städtebauliche Begründung kann der Erhalt einer bestimmten Bevölkerungszusammensetzung sein, die der Nutzung öffentlicher Räume im Quartier besonders zugutekomme. Aber auch Probleme mit der Bereitstellung von sozialem Wohnraum sind ein hinreichender städtebaulicher Grund.
Ein großes Problem der sozialen Erhaltungssatzungen ist, dass sie meist dann am lautesten gefordert werden, wenn eine akute Verdrängungsgefahr besteht. Eine typische Situation ist der Kauf großer Wohnungsbestände durch börsennotierte Unternehmen. In solchen Situationen ist eine soziale Erhaltungssatzung zwar angebracht, sie sollte jedoch besser früher verabschiedet werden, zumal der Aufstellungsbeschluss zeitintensiv ist. Soziale Erhaltungssatzungen können jedoch auch eine abschreckende Wirkung auf stark renditeorientierte Investor*innen ausüben.
Anderen Instrumenten hat die soziale Erhaltungssatzung voraus, dass sie auf ganze Quartiere und unbefristet anwendbar ist. So wird es der Kommune beispielsweise ermöglicht, auf die Bebauung von Baulücken nach § 34 BauGB Einfluss zu nehmen, die andernfalls ohne sozialpolitische Vorgaben bebaut werden könnten. Um darüber hinaus den Milieuschutzsatzungen zu ausreichender Wirksamkeit zu verhelfen, muss eine Kommune das Vorkaufsrecht ausüben können und wollen. Auf der niedersächsischen Landesebene ist eine Umwandlungsverordnung nach § 172 Abs. 1 Satz 4 BauGB erstrebenswert, die die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in Gebieten mit sozialer Erhaltungssatzung erschweren und somit den sozialen Erhaltungssatzungen zu mehr Wirksamkeit verhelfen würde. Solche Umwandlungsverordnungen gibt es schon in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und (als Umwandlungsvorbehalt) in Hamburg. Aber auch Umwandlungsverordnungen stehen in der Kritik, da diese nur für einige Jahre gelten, hierdurch Luxussanierungen also nur aufgeschoben werden.
Der Name „Soziale Erhaltungssatzung“ sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hierbei nicht um ein Instrument des Mieter*innenschutzes handelt. Das Recht, die Mieten zu erhöhen, wird nicht eingeschränkt. Es wird lediglich erschwert, solche Baumaßnahmen durchzuführen, die eine Mieterhöhung zur Folge hätten. Entsprechend sind besonders solche Wohnungen von zulässigen Mieterhöhungen bedroht, die keine Belegungsbindung haben, deren Miete unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt und bei denen ein Modernisierungsstau vorliegt. Folglich können auch im Geltungsbereich von sozialen Erhaltungssatzungen Mieter*innen verdrängt werden.


Literatur

  • Gemeinsamer Antrag von SPD-Fraktion und Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen (2019): Antrag Nr. 15-2722/2019. Durchführung einer stadtweiten Voruntersuchung zur Einrichtung einer sozialen Erhaltungssatzung. Hannover. Online verfügbar unter: https://e-government.hannover-stadt.de.
  • Holm, Andrej; Köper, Paul (2016): Vertiefende Untersuchung für den Erlass einer Sozialen Erhaltungssatzung im Bezirk Mitte von Berlin. Stadtraum: Wedding. INPOLIS UCE GmbH in Kooperation mit dem Institut für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin im Auftrag des Bezirksamts Mitte von Berlin. Berlin. Online verfügbar unter: https://www.sowi.hu-berlin.de.
  • Landeshauptstadt München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung (2017): Erhaltungssatzungen in München. 30 Jahre Milieuschutz (1987 – 2017). München. Online verfügbar unter: https://www.muenchen.de.
  • Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg (2018): Umwandlungsverordnung. Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen: Nur mit Genehmigung. Online verfügbar unter: https://wm.baden-wuerttemberg.de.
  • Roth, Andrea (2018): Die Wirksamkeit des Einsatzes der sozialen Erhaltungssatzung in Verbindung mit dem Umwandlungsvorbehalt gegen die städtische Gentrifizierung. Eine sinnvolle Alternative für die hessische Kommune Frankfurt am Main? Bachelorarbeit. Mühlheim am Main. Online verfügbar unter: https://www.hfpv.de.

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