News | Arbeit / Gewerkschaften - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Sozialökologischer Umbau - Spurwechsel - GK Zukunft Auto Umwelt Mobilität «Wo ist die Ladestation? Beim Aldi!»

Automobilindustrie und Transformation aus Sicht der Beschäftigten

Information

Öko-Strom vom Discounter? Ladestation für Elektrofahrzeuge
Öko-Strom vom Discounter? Ladestation für Elektrofahrzeuge CC BY-SA 4.0, Simon Mannweiler, via Wikimedia Commons

Sieben Beobachtungen aus Feldinterviews zum sozial-ökologischen Umbau der Mobilität[1]

Die globale Automobilindustrie steckt in tiefgreifenden Strukturveränderungen. Trends wie der Bedeutungsgewinn des elektrischen Antriebsstrangs, digitale Fahrassistenzsysteme, die Perspektive eines «autonomem Fahrens» markieren eine Zeitenwende. Die Entwicklung wird getrieben von einem komplexen Mix aus sich rasant veränderten globalen Marktbedürfnissen, politischem Druck nach Reduzierung der Feinstaub-, Stickoxid- und CO2-Emissionen sowie einer wachsenden gesellschaftlichen Kritik am automobilzentrierten Verkehrs- und Stadtentwicklungsmodell. Seit Mitte der 2010er Jahre steckt die traditionelle Leitindustrie des 20. Jahrhunderts in einem irreversiblen Prozess, der nicht nur das vorherrschende Verkehrsmodell, sondern auch die Art der industriellen Fertigung, Arbeits- und Fabrikorganisation, internationalen Arbeitsteilung und nicht zuletzt der gewerkschaftlichen Organisation großer Kernbereiche der Industriearbeiterschaft in Europa, Amerika und Asien tiefgreifend verändern wird.

Diese Situation stellt Automobilarbeitergewerkschaften weltweit vor schwere «Bewährungsproben» (Urban 2020) – insbesondere auch die deutsche IG Metall. Unterschiedlichen Szenarien zufolge könnte die Transformation der Automobilindustrie in Deutschland mit einem Verlust von 100.000 bis 450.000 Arbeitsplätzen einhergehen (bei insgesamt 820.000 Beschäftigten, inklusive Zulieferindustrie). Der IG Metall, die die Hochburg ihrer Organisationsmacht in den Werken der großen deutschen Automobilkonzerne Volkswagen, Daimler und BMW hat, droht durch diese Entwicklung ein gewaltiger Mitgliederschwund und ein noch größerer tarif- und gesellschaftspolitischer Bedeutungsverlust.

Für die IG Metall bedeutet diese Situation eine Gratwanderung: Einerseits muss sie die unmittelbaren ökonomischen Interessen ihrer Mitglieder verteidigen und versuchen, den drohenden Arbeitsplatzabbau zu verhindern. Andererseits unterstützt die Organisation ausdrücklich die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens. In ihrer Satzung ist der «Schutz der natürlichen Umwelt zur Sicherung der Existenz der Menschheit» als politisches Grundsatzziel verankert (IG Metall 2019). Zudem werden in der Organisation seit den 1980er Jahren Konzepte für eine sozial-ökologische Verkehrswende diskutiert und von relevanten Teilen der Mitgliedschaft unterstützt.

Wenn es zu Zielkonflikten zwischen unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen und politischen Grundsätzen kommt, ist normalerweise klar, wo die Prioritäten liegen. Und so sah es im Frühjahr 2020 ganz danach aus, also würde die IG Metall alle klima-, umwelt- und verkehrspolitischen Ziele über Bord werfen, um (vermeintlich) Arbeitsplätze in der Automobilindustrie zu retten. Als sich die SPD in der großen Koalition gegen eine Kaufprämie für PKW mit reinem Verbrennungsmotor aussprach, bewerteten Umweltbewegungen, aber auch große Teile der Öffentlichkeit, die Entscheidung positiv. Heftige Kritik gab es dagegen von der IG Metall-Spitze. Ihr Erster Vorsitzender, Jörg Hofmann, machte die Verweigerung der Kaufprämie für Benziner und Diesel gar für «einen massiven Vertrauensverlust der Beschäftigten gegenüber der Sozialdemokratie» verantwortlich (Augsburger Allgemeine vom 4.6.2020).

Tatsächlich ist das, was die Beschäftigten der Automobilindustrie selbst über Klimapolitik, Transformation und Verkehrswende denken, in der öffentlichen Debatte ein blinder Fleck. Dieser Artikel will helfen, diese Leerstelle zu füllen. Er basiert auf ersten Ergebnissen einer noch laufenden Studie, für die wir zahlreiche Interviews mit Beschäftigten von großen Automobilproduzenten, Zulieferern und Ausrüstern geführt haben.

Die Sicht der Beschäftigten der Automobilindustrie auf Themen wie Klimawandel, Transformation und Verkehrswende ist differenzierter, als die öffentliche Meinung nahelegt. Belegschaften, Gewerkschaftsmitglieder und ehrenamtliche Funktionäre sind keine Bastion von Verfechter*innen einer vorökologischen Industriepolitik. Wer sich auf eine Diskussion mit ihnen einlässt, findet Anknüpfungspunkte für eine Politik der sozial-ökologischen Mobilitätswende.

Beobachtung 1: 

Die Identifikation der Beschäftigten mit «ihren» Automobilunternehmen hat abgenommen – wie auch die Begeisterung für das Auto als solches.

Spätestens mit dem «Diesel-Skandal» 2015 sind die Unternehmen in eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise gerutscht – nicht nur gegenüber den Verbrauchern, sondern auch gegenüber den eigenen Beschäftigten. Nachgelassen hat aber auch die Begeisterung für das eigene Auto schlechthin. So konstatiert etwa ein IG Metall-Vertrauensmann bei Daimler Untertürkheim «ein gewandeltes Bewusstsein in der Belegschaft zum Verhältnis zum Auto [...] in den letzten 10/15 Jahren». Als Indikator nennt er, dass die Nachfrage nach Jahreswagen unter den Beschäftigten nicht mehr so hoch ist wie früher. Die Identifikation mit Mercedes habe abgenommen, sowohl was den Kauf als eigenes Auto angeht, auch was die Begeisterung für die Marke selbst. Ähnlich äußert sich ein Kollege von VW aus Sachsen, der unter den Beschäftigten einen «Kulturwandel» beobachtet. Viele insbesondere der Jüngeren würden heute grundsätzlich «ein entspannteres Reisen mit der Bahn» dem Zwang «selbst am Steuer sitzen zu müssen» vorziehen. Als Beispiel für die veränderte Einstellung berichtet er von einem Kollegen, der seinen Sohn bildlich gesprochen «zum Führerschein prügeln musste».

Als Gründe für diese Entwicklung werden der Diesel-Skandal 2015 genannt, als unangemessen hoch empfundene Dividendenausschüttungen trotz der Krise, Fehlentscheidungen des Managements auch hinsichtlich der Transformation, schmerzhafte Rationalisierungen der letzten Jahre sowie immer wieder die gesellschaftlich generell abnehmende Akzeptanz des autozentrierten Verkehrsmodells in der Gesellschaft.

Beobachtung 2: 

Konträr zu dem, was die Einlassungen einiger IG Metall-Spitzenfunktionäre und die mediale Darstellung nahelegten, gab und gibt es an der betrieblichen Basis keine verbreitete Forderung nach staatlichen Kaufanreizen für PKW mit reinem Verbrennungsmotor.

Im Gegenteil: Die sogenannte «Abwrackprämie» wird generell eher kritisch gesehen. Die Kritik führender IG Metall-Funktionäre an der SPD-Führung, die sich in der Großen Koalition gegen eine solche Prämie ausgesprochen hatte, stieß bei den Befragten größtenteils auf Unverständnis. Vor allem war das Thema kein «Aufreger» in den Belegschaften, wie es die Stellungnahmen hoher IG Metall-Funktionäre nahegelegt haben.

Das Meinungsspektrum unter den Interviewten reichte von vereinzelter moderater Befürwortung einer Kaufprämie für die modernsten und schadstoffärmsten Verbrenner als «Übergangslösung» zu entschiedener Ablehnung einer derartigen Prämie, weil sie «rückwärtsgewandt» sei und «den notwendigen Umbau der Automobilindustrie» verlangsame. Vielfach wurden «noch mehr Subventionen für die Autoindustrie» abgelehnt. In Bezug auf die Kritik hoher IG Metall-Funktionäre an der Entscheidung der SPD, äußerte ein interviewter Vertrauensmann: «Ich halte das für eine völlig kurzsichtige Haltung, die [...] davon gekennzeichnet ist, dass man die Betriebsratsfürsten der Automobilunternehmen irgendwie ruhig halten will.»

Auffällig war auch, dass die öffentliche Positionierung von Hofmann für die interviewten betrieblichen Funktionär*innen überraschend kam – die meisten hatten davon aus den Medien erfahren. Im Vorfeld habe es weder Informationen an die regionalen IG Metall-Geschäftsstellen, geschweige denn Diskussionen in den gewerkschaftlichen Gremien gegeben. Von den meisten Interviewten wurde dies als Affront und ernsthafter Mangel an innerorganisatorischer Demokratie und Kommunikation gesehen.

Beobachtung 3: 

In den Belegschaften gibt es erhebliche Skepsis gegenüber den Transformationsstrategien «ihrer» Unternehmen. Dem Management wird überwiegend schlicht nicht zugetraut, kluge Entscheidungen, die Lohn und Beschäftigung auch zukünftig sichern, zu treffen und umzusetzen.

Dieses Misstrauen speist sich aus einer Reihe unterschiedlicher Erfahrungen:

  • Das Engagement der Unternehmen in Bezug auf E-Mobilität war in den letzten Jahren wechselhaft – hier wird etwa die 2009 eingegangene und fünf Jahre später wieder aufgegebene Tesla-Beteiligung von Daimler genannt. Generell herrscht der Eindruck vor, dass notwendige Weichenstellungen verschlafen wurden. 
  • Aber auch, dass jetzt offenbar E-Mobilität als einzige Lösung präsentiert wird, stößt auf Skepsis. «Auf die Frage, was passiert, wenn die Elektro-Strategie versagt, gibt es keine Antwort», sagt ein Beschäftigter. Viele Beschäftigte haben Zweifel, dass in einem überschaubaren Zeitraum eine ausreichende Ladeinfrastruktur aufgebaut wird. Verbreitet wird auch auf ungelöste Umwelt- und Ressourcenprobleme der Batterieelektrik hingewiesen. 
  • Die von den Unternehmen verbreiteten Zukunftsversprechen einer smarten, ökologisch nachhaltigen und sauberen Mobilität werden von vielen Beschäftigten als unglaubwürdig betrachtet. Oft wird das an Alltagserfahrungen festgemacht: Etwa wenn das mittlere und höhere Management selbst immer noch «dicke Verbrenner» fährt oder es auf dem Firmenparkplatz keine Lademöglichkeiten für E-Autos gibt. Aufschlussreich ist folgender Dialog zweier Beschäftigter:

    «Bei Daimler mit 9.000 Beschäftigten gibt es einen Riesenparkplatz draußen und fünf Ladestationen bei der Geschäftsleitung. Und wo ist die Ladestation für die Masse, die draußen parkt?»

    «Beim Aldi!»

    «Keine einzige! Ja, beim Aldi. Die ganzen Fördergelder, ob das jetzt für E-Autos ist oder für Verbrenner, das sind einfach nur Gelder, die zu den Arbeitgebern geschoben werden und im Zweifelsfall in die Dividende hineingeschoben werden. Und wir alle bezahlen es. Aber was kriegen wir da dafür?»
  • Dazu kommen verschiedenste Frustrationen über Schwierigkeiten, die mit dem technologischen Wandel verbunden sind: Notwendige Qualifizierungen finden aufgrund von Produktivitätsvorgaben nicht statt, Softwareprobleme führen zu permanenten Stockungen in Produktionsabläufen usw.

Beobachtung 4: 

Politischen Entscheidungsträgern und Verkehrsunternehmen, insbesondere der Deutschen Bahn, wird nicht zugetraut, eine tragfähige Verkehrswende auf den Weg zu bringen.

Auch bei Kolleg*innen, die einem Ausbau des ÖPNV und Bahnverkehrs aufgeschlossen gegenüberstehen, gibt es eine verbreitete Skepsis gegenüber der Verkehrspolitik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Als Begründung werden frustrierende eigene Erfahrungen mit den Unzulänglichkeiten dieser Verkehrsträger angeführt: Volle Straßen- und S-Bahnen zu Stoßzeiten, fehlende Anschlussverbindungen, keine Taktfahrpläne, Ausfälle und Verspätungen. Als abschreckendes Megasymbol für die Unfähigkeit deutscher Verkehrspolitik wurde in Stuttgart von mehreren Interviewten auf die Endlos-Baustelle «Stuttgart 21» verwiesen. Ein Kollege aus einem ostdeutschen Automobilwerk sagte: «Ich würde am liebsten alles mit Bus und Bahn fahren, aber es geht einfach nicht. Es gibt für meinen Arbeitsweg keine Verbindung in akzeptabler Zeit.»

Beobachtung 5: 

Der Transformationsstrategie der IG Metall dagegen fehlt es an betrieblicher Verankerung und Rückkopplung.

Strategische Leitlinien oder Diskussionen von der Vorstands- oder Bezirksleitungsebene der IG Metall finden nur selten ihren Weg in die betrieblichen Vertrauensleutegremien. Gleichzeitig fällt es auch in den gut organisierten Automobilunternehmen den betrieblichen Akteuren schwer, autonome, vom Management unabhängige Strategien zu entwickeln und mit der Belegschaft zu diskutieren.

Betriebliche Diskussionsrunden und Bildungsangebote, in denen in größerem Rahmen an autonomen, gewerkschaftlichen Transformationsstrategien gearbeitet wird, gibt es zwar hier und dort – sie bilden aber die Ausnahme. Die Regel ist vielmehr, dass die von uns befragten Funktionär*innen in ihren betrieblichen Gremien wie Vertrauensleutekörpern aber auch Betriebsräten enorme Schwierigkeiten haben, die komplizierte Gemengelage rund um die Themen Klimawandel und Transformation angemessen zu bearbeiten.

Die Gründe dafür sind komplex. Viele Interviewte verweisen auf den Druck, dem sich die Gremien angesichts permanenter Rationalisierungsanforderungen ausgeliefert sehen. Beispielhaft ist die Aussage eines Gewerkschafters eines LKW-Werkes aus Baden-Württemberg, man schaffe es nicht, das Thema Transformation offensiv anzugehen, «weil wir uns permanent von der Geschäftsleitung getrieben fühlen».

Zudem problematisieren viele Funktionär*innen eine weitgehende Entpolitisierung der Betriebsratsgremien. Diskussionen über gesellschaftspolitische Fragen fänden kaum statt, ebenso wenig eigenes Agenda-Setting, stattdessen dominiere eine Haltung des Co-Managements. Ein Mitglied einer Vertrauenskörperleitung meinte, um Strategien für ökologische Transformation und soziale Interessenpolitik zusammendenken zu können, müsse man «auch mal kritische Texte lesen». Viele Funktionär*innen seien aber «das Lesen nicht geübt», ebensowenig das kritische inhaltliche Diskutieren: «Die notwendige Debatte scheitert an Voraussetzungen und am Willen in der Fraktion, überhaupt zu diskutieren. Das ist bitter, denn wir laufen sehenden Auges in eine Katastrophe hinein.»

Genannt werden von den Interviewten aber auch demographische Gründe: So litten viele Gremien an Überalterung. Jüngere Kolleg*innen, die auch ein subjektives Interesse an Umweltthemen wie auch einer langfristig sicheren Arbeit (also einer nachhaltigen Transformationsstrategie) haben, sind in der Minderheit. Exemplarisch hier ein Zitat eines Vertrauenskörper-Leiters:

«Viele Jüngere dagegen sagen: Nein, wir wollen die notwendigen Diskussionen über neue Technologien oder Arbeitszeitmodelle ohne die ‹Alten› führen. Obwohl wir in [...] den Diskussionen und Schritten hin zur Transformation gut aufgestellt sind, sind wir immer noch zehn Jahre zu spät. Was es bei uns braucht, ist eine Revolte der jungen Garde, denn auch die Bildungsstrukturen sind überaltert.»

Häufig fühlen sich die betrieblichen Gremien allein gelassen von der IG Metall. Zwar werden bestimmte Initiativen des Vorstands begrüßt, wie etwa der Transformationsatlas [2] (IG Metall 2019b). Aber auch in diesem konkreten Beispiel wird die fehlende Rückkoppelung kritisiert: «Ja, war keine dumme Idee prinzipiell, aber wie halt Vieles: Schön, dass man es gemacht hat. Aber was ist jetzt?»

Das gilt umso mehr für alternative, linke Konzepte, die in der IG Metall diskutiert werden. Noch viel weniger als die Positionen von Vorstand und Bezirksleitungen finden sie den Weg in Vertrauensleutegremien geschweige denn in die Diskussionsräume der Beschäftigten.

Gelegentlich wird die verengte Ausrichtung der IG Metall-Spitze auf den Elektroantrieb problematisiert:

«Wir gehen in die E-Mobilität und das ist die Lösung. Das sagen die Manager und das sagt auch unsere Spitze. Die sind gar nicht an dem Punkt (angekommen), dass Mobilität oder auch gesellschaftliches Zusammenleben mehr Dezentralisierung weg von dieser Stadtplanung, die Megacities und so weiter [erfordert].»

Zugleich wird dies als Herausforderung für die aktive gewerkschaftliche Basis der Branche gesehen:

«Wahrscheinlich müssen wir an der Kante Diskussionskreise initiieren, die das durchaus mal ein bissel mehr in die Breite bringen, diese Debatte.»

Beobachtung 6: 

Politisch weitergehende Forderungen nach Konversion der Automobilproduktion werden überwiegend skeptisch gesehen, aber nicht grundsätzlich zurückgewiesen. Eine differenzierte Diskussion ist möglich.

Einige Betriebe sind hochgradig spezialisiert. Hier glauben die Interviewten nicht, dass mit den Maschinen alternative Produkte gefertigt werden können. Andere Standorte sind dagegen so aufgestellt, dass «jede metallverarbeitende Industrie denkbar wäre, von der Technologie und vom Know-how her». Zweifel gibt es hinsichtlich der bei einer Konversion zu erwartenden Beschäftigungseffekte: «Wenn du Individualmobilität in Kollektivmobilität wandelst, wirst du das Beschäftigungsvolumen dort nicht haben.» Ein Kollege aus einem Fertigungswerk für Stadtbusse verwies dagegen auf den hohe Arbeitskräftebedarf in der eher manufakturartigen Produktion von Bussen: «Das ist hochqualifiziert, hohe Entgeltgruppen. Jeder Bus ist wie ein Einfamilienhaus. Jeder Kunde will einen anderen Bus, ganz individuell. Und so ähnlich ist das auch bei der Straßenbahn.» In einem großen Automobilwerk in Baden-Württemberg gab es früher bereits Erfahrungen mit der Produktion von Schienenfahrzeugen, in einem weiteren mit dem Bau von Fahrrädern. Hier wird aus der Belegschaft auch immer wieder der Wunsch geäußert, diese Produktion wieder aufzunehmen.

Als vielleicht kritischster Punkt beim Thema Konversion (vgl. Candeias u.a. 2011) wird gesehen, dass nahezu jede denkbare Beschäftigungsalternative in der Realität mit erheblichen Lohnverlusten einherzugehen droht:

«Das Problem wird schon sein, da letztendlich was zu finden, wo […] du die Beschäftigungen erhalten kannst von der Größenordnung und auch die Einkommen [...]. Unser Ziel muss es sein, Einkommen weiterhin zu erhalten. Also ich will […] von dem Kuchen nicht noch mehr Richtung Arbeitgeber abgeben, sondern behalten. Und das ist eine ganz schwierige Debatte [...]. So richtig funktioniert hat es [...] bei der damaligen Konversionsdebatte bei Kohle und Stahl ja auch nicht. Also von wegen, die Dienstleistungsunternehmen, die da alle wie Pilze aus dem Boden schießen sollten. Das war dann doch nicht so. Sondern es war erst mal Massenarbeitslosigkeit.»

Beobachtung 7: 

Grundsätzlich stehen viele der interviewten betrieblichen Gewerkschaftsfunktionär*innen den inhaltlichen Vorschlägen eines «Green New Deal» der LINKEN (Riexinger 2020; Candeias 2020) aufgeschlossen gegenüber. Sie sind aber skeptisch sowohl in Bezug auf die Perspektive einer politisch-praktischen Umsetzung wie auch hinsichtlich der Möglichkeiten, größere Teile ihrer Belegschaften für ein solches Programm zu gewinnen.

Als zwei Haupthindernisse werden dabei einerseits unzureichende Alternativen zum PKW (schlechter Zustand des ÖPNV) als auch mangelhafte politische Kommunikation und Dialogbereitschaft der gesellschaftlichen Linken und der Umweltbewegung genannt. Ein Argument, das immer wieder von vielen Interviewten vorgebracht wurde, lautet: Damit der Öffentliche Nahverkehr von der Mehrheit unserer Kolleg*innen als Alternative zum Automobil angenommen wird, muss das Angebot deutlich attraktiver werden – und zwar in der Praxis. Ein politisches Versprechen überzeugt niemanden, betont ein Beschäftigter aus Niedersachsen:

«Es ist [...] ein Problem, […] mit einer Utopie an Leute heranzutreten, die eine reale Belastung haben. […] Es muss erstmal etwas Faktisches da sein, ansonsten appelliere ich an Vertrauen in eine Regierung, um das es aktuell nicht so stark bestellt ist.»

Die gleiche Argumentation wird in Bezug auf mögliche Beschäftigungsperspektiven in anderen Branchen vorgebracht:

«Wenn der Busfahrer trotz eines ausgebauten Nahverkehrsnetzes nur zehn Euro die Stunde verdient, kann ich das keinem meiner Kollegen, die mindestens 30 Euro verdienen, präsentieren. Da liegt die Crux.»

Als politischen Vorschlag für eine Lösung dieses Problems bringt der Kollege eine Kooperation von IG Metall und ver.di ins Gespräch, um  auf eine Stärkung der Tarifbindung und Löhne im Dienstleistungssektor hinzuwirken. Der DGB müsse sein politisches Gewicht nutzen, «dass er mal den IGM-Vorstand mit dem von ver.di zusammenbringt, denn es muss von allen Gewerkschaften aktiv in den Betrieben flankiert werden».

Eher kritisch sehen viele der Interviewten die politische Herangehensweise der gesellschaftlichen Linken und der Umweltbewegung. Politische Initiativen und Attitüden werden als «ungeschickt», «belehrend» und «von oben herab» wahrgenommen. Als Beispiel «wie man es nicht macht», führte ein Interviewter die Anekdote an, wie eine Parlamentarierin der LINKEN den Betriebsrat eines Automobilherstellers aufforderte, eine Kampagne gegen SUVs zu unterstützen.

Sinnvoller wäre es stattdessen, die Partei DIE LINKE würde sich darum bemühen, «eine Vertrauensebene zu schaffen in einer politischen Debatte um die Frage Mobilität und wie müsste sie aussehen, damit sie auch so umwelt- und nachhaltig und passt», betont ein baden-württembergischer Vertrauensmann und Betriebsrat.

Um dies zu erreichen «muss ich in die Diskussion mit Menschen um die ganzheitliche Geschichte gehen, nicht nur Verkehr. Du musst auch den Leuten zeigen, ich bin für euch da in der Frage, in der Frage, in der Frage. [...] wenn ich in einer Betriebszeitung nur von meinen politischen Fernzielen schreiben würde, dann wird die  [...] nicht ernstgenommen [...] Du musst dich (..) in die Niederungen bewegen, dich auch um Themen kümmern, die nicht dein politisches Fernziel berühren, damit du das Vertrauen gewinnst bei den Menschen. Sonst wird sich nichts ändern.»

Um Diskussionen mit den Kolleg*innen über die Notwendigkeit einer Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs anzustoßen, empfiehlt ein anderer Vertrauensmann aus Baden-Württemberg, sich stärker aktiv mit den Pendler*innen zu solidarisieren:

«Anders ist es, wenn man mit so etwas wie der Verbilligung des Öffentlichen Nahverkehrs einsteigt. Das interessiert die Leute. Dann kann man auch im zweiten Nebensatz sagen, dass dieser Schritt auch dazu führen soll, dass die Leute ihr Auto zuhause lassen, um das Klima zu schonen. Dann ist man allerdings schon in Diskussionen.»

Ansprachen dagegen, die mit Forderung nach einem baldigen Ende des Verbrenners oder einer Halbierung der Automobilproduktion beginnen, seien – wenn auch inhaltlich berechtigt richtig – politisch nicht zielführend: «Da kannst du gleich die Segel streichen, da hast du keine Chance.»

 
Alles in allem zeigt sich nach unserem Eindruck, dass es möglich und lohnend ist, mit den Beschäftigten in der Automobilindustrie – insbesondere mit der gewerkschaftlichen Basis in den Betrieben – in produktive Diskussionen um einen sozial-ökologische Mobilitätswende einzusteigen. Man sollte sich allerdings darüber klar sein, dass es dabei darum geht, «dicke Bretter zu bohren» (Candeias/Krull 2020). Und: Um eine Chance zu haben, dass dies gelingt, müssen sich nicht nur die Automobilarbeiter*innen bewegen – auch DIE LINKE, muss die Art und Weise ihrer politischen Interaktion und Kommunikation überdenken. Wenn beide Seiten zu einem echten Dialog bereit sind, muss ein gesellschaftliches Bündnis für einen «Green New Deal» keine ferne Utopie bleiben.

Literatur

 


[1] Im Rahmen einer Studie zur sozial-ökologischen Mobilitätswende erforschen die Autoren im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Sicht von gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten auf Themen wie Klimapolitik, Transformation und Verkehrswende. Die qualitative Erhebung ist noch nicht abgeschlossen. Bisher wurden 30 Interviews mit Beschäftigten unterschiedlicher verkehrsmittelprozierender Unternehmen geführt, darunter OEMs der Automobilindustrie, Zulieferer und Ausrüster, aber auch Bus- , LKW- und Schienenfahrzeugproduzenten. Methodisch kamen sowohl Gruppendiskussionen wie auch leitfadengestützte Einzelinterviews zum Einsatz. Beim Großteil der Interviewten handelt es sich um betriebliche Gewerkschaftsfunktionär*innen aus der «zweiten Reihe», d.h. Vertrauensleute, Mitglieder von Betriebsräten und/oder Aktive in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Die Studie ist qualitativ-explorativ angelegt, ihre Befunde können also nicht repräsentativ sein. Trotzdem liefert sie aus unserer Sicht bewerkenswerte Einblicke in das, was in den Betrieben über die oben genannten Themen gedacht und diskutiert wird.

[2] Betriebsräte aus 1.964 Betrieben mit mehr als 1,7 Mio. Beschäftigten beteiligten sich Frühjahr 2019 an der vom IG Metall-Vorstand initiierten Erstellung betrieblicher «Transformationsatlanten». Grundlage für in Kooperation mit dem Institut für angewandte Arbeitswissenschaft erstellte betriebliche Analyse war ein Fragenkatalog mit 93 Einzelfragen zu insgesamt zehn Fragenkomplexen. Für jeden Betrieb wurde ein Transformationsatlas erstellt, der in Bezug auf den Transformationsprozess Chancen- und Risikopotentiale ermittelt. Erklärtes Ziel der Initiative war es, Hinweise zur Erarbeitung von Handlungsempfehlungen für eine soziale und gerechte Gestaltung der Transformation zu liefern.