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Die saudisch-chinesische Zusammenarbeit reicht viel tiefer als die jüngst bekannt gewordene Atomkraft-Kooperation. Minderheiten- und Arbeiter*innenrechte bleiben dabei außen vor – auf beiden Seiten.

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Chinas Präsident Xi Jinping und der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman
Chinas Präsident Xi Jinping und der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman: Pragmatiker auf dem Weg zu einer strategischen Kooperation?

  Foto rechts: U.S. Department of State from United States / Public domain – Montage: RLS, CC BY 2.0, Foto links: Palácio do Planalto, via Flickr

Die Nachricht schlug ein wie, nun ja, eine Bombe: Saudi-Arabien und China arbeiten gemeinsam an der Anreicherung von Uran für das saudische Atomprogramm, schrieb das Wall Street Journal Anfang August. Schnell wurde die Kooperation zum Aufregerthema: Droht – neben der Gefahr einer saudischen Atombombe – eine unheilige Allianz zwischen den beiden Mächten?

Tatsache ist: Bereits im August 2012 haben Riad und Peking ein Memorandum unterzeichnet, das eine bilaterale Kooperation hinsichtlich der friedlichen Nutzung von Nuklearenergie festschreibt. Lange Zeit wurde die generelle Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten recht eindimensional beschrieben: Saudi-Arabien hat das Öl, China will es haben, beide profitieren. Doch die Beziehung hat mehrere, durchaus tiefgehende Dimensionen – und sie hat eine bedeutende regional- und geopolitische Komponente.

Christopher Resch arbeitet als freier Journalist vor allem zu Themen aus Westasien und Nordafrika und ist Herausgeber des Bandes «Medienfreiheit in Ägypten» (2015). Zuvor war er für das Goethe-Institut in Ägypten und Saudi-Arabien tätig.

Bis Mitte der 1980er-Jahre hatte Riad die Volksrepublik China nicht einmal anerkannt und stattdessen die nicht sozialistisch, sondern nationalistisch orientierte Regierung von Taiwan unterstützt. Das änderte sich Mitte der 1980er, zur Zeit des Iran-Irak-Kriegs, als die Saudis händeringend nach einem Raketenabwehrsystem suchten, das sie sowohl gegen Iran als auch gegen Israel positionieren wollten. Vor allem mit Blick auf Israel hielten sich die üblichen Waffenlieferanten – vor allem die USA und Großbritannien – zurück. China sprang ein und ebnete den Weg für die Aufnahme offizieller diplomatischer Beziehungen im Sommer 1990.

Das Fundament der saudisch-chinesischen Beziehungen bildete demnach von Beginn an ein gewisser Pragmatismus. In der Folge stiegen Jahr für Jahr die saudischen Ölverkäufe nach Peking. Bis zum ersten großen Ölpreisverfall ab 2014 stillte die chinesische Industrie ihren Ölhunger vorrangig aus Saudi-Arabien, anschließend holten Russland und jüngst auch die USA stark auf. Dennoch beschlossen König Salman und Präsident Xi Jinping noch 2017 ein ganzes Paket von Wirtschaftsdeals im Wert von 65 Milliarden Dollar, mit gegenseitigen Investitionen vor allem, aber nicht nur, im Energiesektor.

Dass die Beziehungen weit über reines Handeltreiben hinausgewachsen sind, zeigen mehrere Beispiele: Auf militärischer Ebene wurde der Bau einer chinesischen Drohnenfabrik angekündigt, ohnehin ist Riad ein fleißiger Käufer der ferngesteuerten fliegenden Waffen aus China. Zwar hat die Covid-19-Pandemie und der damit einhergehende zweite große Ölpreisverfall dafür gesorgt, dass die Saudis den Bau eines zehn Milliarden Dollar teuren Raffinerie-Komplexes in China gestoppt haben. Trotzdem geht die Zusammenarbeit weiter, und zwar gerade Pandemie-bedingt: Schon im April hat Riad in Peking neun Millionen Covid-19-Tests, sechs Testlabore und die Entsendung von 500 chinesischen Techniker*innen beauftragt.

Verlässlich sind die Beziehungen der beiden Staaten auch, weil man gegenseitig kaum kritische Fragen befürchten muss, etwa zur Lage der Menschenrechte. Muhammad bin Salman, der oft mit «MBS» abgekürzte saudische Kronprinz, bekräftigte Anfang 2019 das Recht Pekings, «Antiterrormaßnahmen durchzuführen» – und zwar in Bezug auf die chinesische Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren. Angesichts des erwartbaren Aufschreis in der globalen muslimischen Gemeinde ein sehr deutliches Zeichen für den beinharten Pragmatismus, der in der saudischen Regierung vorherrscht.

Im Gegenzug dazu kann sich MBS sicher sein, dass die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul im Oktober 2018 zumindest durch China kaum auf die Tagesordnung gebracht wird. Wenig verwunderlich, dass Riad auch das global mehrheitlich als hochproblematisch bewertete Sicherheitsgesetz für Hongkong vom Juni 2020 unterstützte, als einer von 53 Staaten.

Manche Beobachter bezweifeln zwar, dass die saudisch-chinesische Partnerschaft von einer stringenten Strategie geleitet sei. Dies könnte sich jedoch gerade ändern, denn mit der saudischen «Vision 2030» und der chinesischen «Belt and Road Initiative» haben beide Staaten sehr wesensgleiche Großvorhaben begonnen, die eine strategische Kooperation erwarten lassen. Erste Verträge sind bereits unterzeichnet, etwa zum Aufbau eines chinesischen Industrieparks in Jazan am Roten Meer. Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass auf solchen Großbaustellen die Rechte von Arbeiter*innen nicht viel zählen – eine traurige Ironie der Geschichte, dass Saudi-Arabien und China hier Hand in Hand gehen.

Die verstärkte Zusammenarbeit der beiden Staaten ist ein weiteres Zeichen dafür, dass vieles in der derzeitigen geopolitischen Architektur im Wandel begriffen ist. China betätigt sich allgemein viel stärker in der Region Westasien, es unterhält neben Saudi-Arabien auch enge Beziehungen zu Iran, die historisch sogar noch weiter zurück reichen als zu Riad. Manch optimistische*r Beobachter*in hoffte gar, Peking könne eine Annäherung zwischen den beiden konkurrierenden Regionalmächten vermitteln.

Der saudische Ankerpunkt in Richtung Osten ist traditionell Pakistan – doch in der Beziehung dieser beiden Staaten knirscht es derzeit, was beide Staaten noch stärker in Richtung China schauen lässt. Die USA wiederum verliert unter Trump weiter ihr Image als engagierter, verlässlicher strategischer Partner. Trotz der wachsenden Kooperation mit China kann es sich Saudi-Arabien jedoch nicht leisten, die USA zu verlieren – selbst wenn im Herbst Joe Biden als Trumps Nachfolger gewählt werden sollte. Der hatte Saudi-Arabien als «Paria» bezeichnet. Klar ist: Solche Töne wird man sich in Riad von den verlässlichen chinesischen Freunden wohl kaum anhören müssen. Die stellen nur selten kritische Fragen.