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Der historisch angelegte Film über die Antifa gehört ins Hier und Jetzt. Ein Interview mit Julia von Heinz

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Julia von Heinz
Julia von Heinz: «Ich habe Jahre gebraucht, um keinen Abschiedsschmerz mehr zu fühlen.» Sebastian Wells, Agentur Ostkreuz

Ende Oktober erscheint der Film «Und Morgen die ganze Welt» der renommierten Regisseurin Julia von Heinz. Es geht um die Antifa und ihren Widerstand gegen den Rechtsruck. Die frühere Antifa-Aktivistin Julia von Heinz liefert ein authentisches Panorama einer vielfältigen Sozialen Bewegung. Henning Obens, Referent für Digitale Kommunikation der Rosa-Luxemburg-Stiftung, sprach mit Julia von Heinz über die Entstehung des Films.

Henning Obens: «Die Antifa» geistert als Gespenst durch die öffentliche Debatte. Die Rechte hat hier ein gemeinsames Feindbild gefunden. Erst kürzlich hat US-Präsident Trump «die Antifa» als terroristische Organisation bezeichnet. Woher kam die Idee einen Film zu diesem Thema zu machen?

Julia von Heinz: Es ist interessant, dass nun dieser Begriff wieder hochgekommen ist. Denn ich muss sagen, vor drei Jahren — da war ich mit diesem Projekt auch schon beschäftigt — konnte es mir durchaus passieren, dass ich gefragt wurde: «Gibt es die Antifa überhaupt noch? Ist das nicht etwas aus den 1990er Jahren?» Die Antifa hat jetzt wieder eine Präsenz bekommen. Was heißt die Antifa? Antifa als Begriff hat wieder eine Präsenz bekommen. Da ist Trump nicht unschuldig dran. Aber tatsächlich habe ich das Gefühl, dass mehr Leute sich wieder antifaschistisch organisieren und engagieren und dass dadurch der Begriff erneut eine Relevanz hat. Mein Projekt war zunächst historisch angelegt gewesen. Mein Co-Autor, John Quester, und ich waren selbst in den 1990er Jahren in der Antifa. Und genau in die Zeit hatten wir unsere Filmerzählung gelegt, um dann vor einigen Jahren zu entscheiden, das macht gar keinen Sinn mehr. Der Film gehört ins Hier und Jetzt.

Der Film hat also einen langen Vorlauf, ja auch in eurer Entstehung und die aktuellen Bezüge sind ja unverkennbar. Ist der Film jetzt sogar noch aktueller als er es wäre in den 1990er Jahren?

Der Film ist heute noch aktueller. Es geht auf einer zweiten Ebene um die Schnittstelle, wo rechtsextreme Strukturen zu stark verbunden sind mit staatlichen Organen. Bei uns im Film — ohne es jetzt zu spoilern — kommt ja eine Hausdurchsuchung vor, nachdem die Bombe weg ist, was eigentlich kein Mensch wissen kann und wo klar ist: «Da müssen V-Leute mit im Spiel gewesen sein. Die werden es der Polizei gesagt haben.» Von diesen Verbindungen lesen wir heutzutage fast täglich: Sprengstoff und Waffen, die der Bundeswehr zuzuordnen sind, werden in rechtsextremen Strukturen gefunden; Informationen über politisch unliebsame Leute, die aus Polizeicomputern stammen; die rätselhafte Rolle des Verfassungsschutzes im NSU Prozess. Entweder wir erfahren mehr darüber, oder es nimmt rasant an Vorfällen zu.

Mich irritiert tatsächlich der Titel des Films. Er beschäftigt sich auf einer Seite mit der Antifa, und andererseits stammt er aus einem bekannten Nazilied: «Es zittern die morschen Knochen». Wie passt das zusammen?

Ich finde diese Irritation gut, weil ich bei dem Titel praktisch einmal um die Ecke denken muss. Also das, was Luisa und meine Protagonisten befürchten und was sie bekämpfen, ist: «Heute gehört ihnen Deutschland und morgen die ganze Welt». Das ist auch eine Angst, die mich wieder umtreibt, wenn ich sehe, wie rechte Bewegungen weltweit erstarken. Dass man dabei einmal um die Ecke denken muss: «Ist denn hiermit jetzt die Antifa selbst gemeint als Jugendbewegung? Nein, natürlich nicht!» Das finde ich gut. Ich habe zu viele Titel, die mir zu einfach sind. «Luisa, eine Frau geht ihren Weg» oder was auch immer (lacht). Man könnte den Titel einfacher machen, sodass man gar nicht darüber nachdenkt. Aber genau dieses Gespräch, was wir gerade führen, führe ich sehr gerne. Und deshalb habe ich mich für den Titel entschieden. Es gab aber natürlich auch noch Überlegungen, ob man aus einem linken Liedkontext einen Titel nimmt, zum Beispiel «In Erwägung unserer Schwäche» (Aus «Die Resolution der Kommunarden» Anmerkung d. Red.). Wäre jetzt mal ein Beispiel für einen schönen Titel. Aber dann hätte ich dieses Gespräch nicht geführt mit dir und würde nicht darauf zu sprechen kommen, wie weltweit der Rechtsruck passiert.

Ganz zu Beginn des Filmes diskutieren die Protagonisten das Widerstandsrecht §20 Absatz 4 im Grundgesetz und das irritiert auch so ein bisschen. Ist die These, dass sich die wahren Verfassungspatriot*innen heute in der Antifa sammeln?

Ich finde interessant, dass dieses Widerstandsrecht nicht umsonst in unserem Grundgesetz verankert ist und ich stelle fest, dass dies  gar nicht so viele Menschen wissen. Es ist nicht vielen Menschen klar, dass dieser Artikel 20 existiert. Ich richte mich ja auch an jüngere Zuschauer — und will das zum Thema zu machen. Auch unser Schulmaterial zum Film thematisiert das. Und dann finde ich natürlich wieder zweispältig, dass auch Rechte den «Widerstandsparagraphen» gerne für sich auslegen.

Bei den Corona-Protesten zum Beispiel gerade.

Absolut. Auch diese Leute, die zuletzt den Reichstag stürmen wollten, berufen sich aufs Widerstandsrecht. Wieder ein Thema, über das man nachdenken muss und was man nicht einfach wegkonsumieren kann.

Ich finde, der Film zeigt eine recht sensible Innenansicht der Antifa-Aktivist*innen und ihre Motive sich gegen Nazis zur Wehr zu setzen, aber auch ihre Kontroversen um Strategien und Mittel angesichts der rechten Bedrohung. Die Dialoge wirken authentisch und nicht so hölzern wie in der öffentlichen Debatte häufig, wieso wird die Antifa-Bewegung in der Öffentlichkeit häufig so schablonenhaft und dämonisierend gezeichnet?

Ich habe etliche Filme gesehen, die die Antifa zumindest streifen. Das Problem ist, dass niemand aus der Antifa Filmemacher geworden ist. Es gibt ein paar Leute, die sind dokumentarisch unterwegs und die haben auch hier und da was gefilmt oder versucht mal zu bestimmten Themen Filme zu machen. Es gibt ja die Antifa ja noch nicht so lange.

Die erste Antifa Jugendfront ist 1987 gegründet worden und die AA/BO (Antifaschistische Aktion / Bundesweite Organisation), in deren Ortsgruppe ich war, in der Antifa Bonn-Rhein-Sieg, ist glaube ich 1991 gegründet worden. Sprich, wer hat denn überhaupt die Möglichkeit aus der Antifa heraus zu erzählen? Das sind ganz Wenige. Ich bin jetzt an einem Punkt, wo ich eine Finanzierung stemmen kann, ich bin Regisseurin geworden. Aber wer ist da sonst noch? Insofern ist es immer eine Außensicht und da gibt es leicht Klischees. Was es häufiger gibt, sind Bücher zum Thema. Also mehr Leute haben es zumindest geschafft, im Wort Dinge über die Antifa zu publizieren, die die Antifa in ihrer Vielschichtigkeit zeigen. Ich wünschte mir, es wären mehr Filmemacher aus der Antifa heraus gekommen.

Ist ja auch nicht immer so populär, das Bild als Medium in der Antifa …

Ja, stimmt (lacht). Eine gewisse Öffentlichkeitsscheue gibt es auch.

Du hast eine Figur im Film aufgemacht, die heißt «Alfa», die Persönlichkeit oder den Archetypen des «Antifa-Mackers» aus gutem Hause. Welche Rolle spielt toxische Männlichkeit in dieser Bewegung?

Ich glaube zum Glück weniger als zu meiner Zeit. Ich würde sagen in den 90er Jahren haben wir patriarchale Strukturen noch unbewusst sehr stark reproduziert innerhalb der Antifa. Subkulturelle Bewegungen leben stark von informellen Hierarchien und auch oft von männlich geprägten. Und bei militanten Bewegungen ist das nochmal verschärft der Fall. Ich habe aber, weil wir ja natürlich unseren Film in die Jetzt-Zeit gelegt haben und entsprechend auch Antifas von heute getroffen haben, zumindest mit Freude festgestellt, dass es ein ganz starkes Bewusstsein dafür gibt.

Aber auch wir hatten damals schon ein Bewusstsein darüber. Wir hatten zum Beispiel auf unserem Plenum eine quotierte Rednerliste und waren damit, finde ich, vor fünfundzwanzig Jahren unserer Zeit voraus. Worüber wir aber damals nicht gesprochen haben, ist, wie viel, vor allem für Frauen, es eine Möglichkeit war, sich mit einem wichtigen Mann innerhalb dieser Gruppe zu verbinden, um Teil gewisser Informationsstrukturen und Teil der Gruppe zu sein. Darüber haben wir uns erst Jahre später wirklich ausgetauscht. Und das wollten wir aber im Film zum Thema machen. Er heißt ja auch nicht umsonst «Alfa».

Das klopft auch an der Vordertür, muss man sagen ...

Der Film ist ja nicht nur für Antifas gemacht, sondern wir wollten dieses Thema auch für Außenstehende in aller Deutlichkeit ansprechen. Aber ich stelle wirklich fest, Machotum in der linken Szene wird weniger. «MeToo» ist auch in der Antifa angekommen.