News | Sozialökologischer Umbau - Klimagerechtigkeit Wie Ohnmacht erzeugt wird

Diese Mechanismen nutzt die deutsche Fracking-Industrie

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Jaqueline Buhk,

Ein Blick durch den Absperrzaun der Erdgasförderanlage Söhlingen Z 7
Ein Blick durch den Absperrzaun der Erdgasförderanlage Söhlingen Z 7 Foto: Jaqueline Buhk

Als vor etwa 10 Jahren die Fracking-Debatte aus den USA Deutschland erreichte, regte sich vermehrt Widerstand gegen die bisher unangefochtene Erdöl- und Erdgasindustrie. Besonders aktiv waren und sind lokale Bürger*inneninitiativen. Der Widerstand richtet sich gegen durch die Bohrungen ausgelöste Erdbeben, undichte Rohre, aus denen belastetes Lagerstättenwasser entweicht, und Emissionen, die ins Dorf ziehen. Die Menschen vor Ort sind dem zumeist ohne Vorwarnung ausgesetzt. Erdgasbohren ist ein lokales Phänomen, betroffen fühlen sich zumeist nur die Anwohner*innen in Niedersachsen direkt vor Ort.

Dieser Artikel basiert auf einer ethnografischen Feldforschung im Rahmen der Masterarbeit von Jaqueline Buhk in der Region Rotenburg (Wümme).

Das bundesweite Interesse ist entsprechend gering. Auf Landesebene bedeutet die Erdgasindustrie Arbeitsplätze, Förderzins und mögliche Wähler*innen-stimmen. Doch auch die lokale Politik - so wird mir zumindest in Teilen berichtet - hält sich bedeckt. «Alle Ereignisse werden einfach immer wieder, auch durch die umliegende Politik und Verwaltung, relativ niedrig gehalten», kritisiert etwa eine Aktivistin aus dem Landkreis Verden. Was macht das mit der betroffenen Bevölkerung? Wo fühlen sich Menschen ohnmächtig und wovon hängt dieses Ohnmachtsgefühl ab? Wo entstehen Handlungsspielräume der Ermächtigung? Und wie versuchen gewinnorientierte Unternehmen diese Handlungsspielräume wieder zu schließen?

Was ist Fracking

Hydraulic Fracturing oder «Fracking» ist ein Verfahren, bei dem unter Druck ein Gemisch aus Wasser und Chemikalien in tiefe Gesteinsschichten gepresst wird. Dabei entstehen Risse, die dafür sorgen, dass das eingeschlossene Erdgas in den Lagerstätten entweichen und an die Oberfläche befördert werden kann. Besonders in den USA wird Fracking massiv betrieben - mit weitreichenden Schäden für Umwelt und Bevölkerung. Auch in Deutschland wird seit den 1960er Jahren gefrackt. Der Großteil der Erdgasvorkommen liegt in Niedersachsen, wo etwa 98% des deutschen Gesamtvolumens gefördert wird. Das Niedersächsische Landesbergamt (LBEG) genehmigte 2011 zum letzten Mal eine Fracking-Maßnahme. Seit 2017 ist Fracking in unkonventionellen Lagerstätten, im Schiefer-, Ton- oder Kohleflötzgestein oberhalb 3000 Meter, verboten.

Narrative der Erdgasindustrie

Beobachten lässt sich Folgendes: Die in Deutschland frackenden Unternehmen nutzen ganz gezielt bestimmte diskursive Strategien und Praktiken, um ihre Macht zu erhalten. So dominieren bestimmte Narrative die Diskussion um die Legitimation der deutschen Erdgasindustrie: Die Bedeutung der Versorgungs-sicherheit, eine verringerte Abhängigkeit von anderen Nationen oder Erdgas als klimafreundliche Übergangsenergie in ein kohlenstoffarmes Deutschland sind Argumente, die fortwährend wiederholt werden. Gegenargumente gegen diese Narrative gibt es viele. Teil der Konzernstrategien ist es zudem, dass Probleme oder auftretende Vorfälle in politischen Sitzungen, in Dialogveranstaltungen oder in der direkten Konfrontation zwischen Unternehmen und Bürger*innen als Einzel- oder Erstfälle dargestellt werden. Risiken werden kleingeredet sowie technische oder geologische Sachverhalte vereinfacht und dadurch verzerrt. Kritische Stimmen der Bürger*innen werden unterminiert und klein gehalten, indem ihre Einwände als irrational und nicht ausreichend sachgerecht abgetan werden. «Es wird ausgenutzt, dass wir keine Experten sind», beklagt sich eine Bürgerin aus dem Landkreis Rotenburg. Die Strategie der Erdgasindustrie dahinter: Solange nichts bewiesen ist, gilt die Unschuldsvermutung.

Auch die rechtlichen und bürokratischen Strukturen erzeugen Ohnmacht

Neben den diskursiven Strategien gibt es bürokratisch-institutionelle und rechtliche Strukturen, die es den betroffenen Menschen erschweren, dass ihre Bedenken ernst genommen und ihre Forderungen nach Sicherheit und Transparenz tatsächlich umgesetzt werden – und die so dazu beitragen, Ohnmachtsgefühle zu erzeugen. So ist es zwar in einer globalen arbeitsteiligen Welt gängige Praxis, dass Unternehmen für spezielle Dienstleistungen, z.B. eine Bohrung, eine Fracking-Maßnahme (hierbei wird ein Chemikalien-Wasser-Gemisch unter Druck ins Bohrloch gepresst), den Abtransport von Abfallsubstanzen oder die Reinigung von Anlagenteilen ein externes Unternehmen beauftragen. Eine solche Arbeitsteilung bedeutet allerdings auch, dass Verantwortung ausgelagert wird. Kontrolle ist in diesem Verhältnis nur eingeschränkt möglich, sodass Arbeiten Berichten von Bürger*inneninitiativen zufolge nicht unbedingt ordnungsgemäß ausgeführt werden. So berichtete ein Aktivist der Initiative Sauberes Trinkwasser, dass er beobachtet habe, wie auf dem Gelände eines Subunternehmens kontaminierte Rohre gereinigt wurden, ohne das dabei verwendete Reinigungswasser aufzufangen. Möglich ist das auch deshalb, weil die Subunternehmen den staatlichen Behörden keine Rechenschaft schulden, sondern lediglich ihren Auftraggebern, den Unternehmen. Diese arbeitsteiligen Geflechte zu entwirren und Verantwortlichkeiten zu benennen ist keine leichte Aufgabe für Aktivist*innen und trägt zu ihrem Gefühl der Ohnmacht bei. Verantwortung ist nicht greifbar und Zuständigkeiten unübersichtlich, was konkrete Kritik erschwert.

Noch ein weiterer Aspekt schränkt die Handlungsspielräume von Aktivist*innen ein. Die heute geltenden rechtlichen Regeln stammen zumeist noch aus den Anfängen der deutschen Öl- und Gasindustrie. Für eine die Versorgung sichernde Industrie und große Unternehmen gelten oft andere rechtliche Auflagen als für ein einfaches Kleinunternehmen. Diese Diskrepanz zeigen z.B. die Befugnisse der Erdgasindustrie in Wasserschutzgebieten und Wassereinzugsgebieten bohren und fracken zu dürfen, in denen Trinkwasser gefördert wird. Dies war bis zum Inkrafttreten des «Fracking-Gesetzes» von 2017 möglich. Wogegen kleinere landwirtschaftliche Betriebe höhere Auflagen in solchen Gebieten haben. Teilweise sind Auflagen nie festgelegt worden: Dem Landes-Raumordnungs-programm Niedersachsen (LROP) zufolge müssen wichtige Nutzungen des Raums ausgewiesen werden. Kritiker*innen bemängeln, dass bspw. der lokale Wasserförderverband Rotenburg-Land (WVV) die Nutzung der eigenen Leitungen ausweisen muss, die Gasindustrie, durch deren Leitungen belastetes Lagerstättenwasser fließt, allerdings davon ausgenommen ist.

Dass rechtliche Strukturen Ohnmacht erzeugen, verdeutlicht ein Vorfall im niedersächsischen Emlichheim im Sommer 2019. Damals wurde öffentlich, dass seit 2014 aus der Versenkbohrung EM 132 in der Grafschaft Bentheim im Bereich Grundwasser führender Schichten circa 220.000 m3 Lagerstättenwasser ausgetreten waren. Grund waren korrodierte Rohre. Eigentlich soll die Zementverfüllung einer Novelle des Bergrechts zufolge – insbesondere im Bereich Grundwasser führender Schichten – bis ans Ende des Förderrohrs reichen. In der EM 132 fehlt diese schützende Zementverfüllung. Die Bohrung wurde nämlich schon in den 1960ern abgeteuft und fällt daher nicht unter die rechtliche Novelle. Womit den Betroffenen die rechtliche Grundlage fehlt, gegen solche Schäden vorzugehen. Abgesehen davon, dass die Havarie lange nicht auffiel und weiter verschwiegen wurde, sorgen jene gesetzlichen Altlasten dafür, dass Menschen und Umwelt Schaden nehmen. Denn diese rechtlichen Lücken werden meist erst sichtbar, wenn bereits Vorfälle passiert sind, was die Handlungsfähigkeit der Betroffenen erschwert.

Erfolgreicher Bürger*innen-Protest

Bürger*innen-Initiativen haben durchaus Erfolge zu vermelden. Erst im Herbst 2018 erfahren die Bewohner*innen der Gemeinde Ottersberg von dem bereits konkreten Vorhaben des Konzerns Wintershall DEA, seismische Messungen zur Auffindung von Erdgaslagerstätten in der Region Unterweser durchzuführen. In kürzester Zeit werden Bewohner*innen der Region mobilisiert und die Bürger*inneninitiative NoMoorGas gegründet. Ihr Zeichen des Protests: das rote X, das bald überall in der Region zu sehen ist. Ziel der Bürger*inneninitiative ist es zu verhindern, dass die Erdgasindustrie auch in dieser Region Fuß fasst. Ihr Widerstand war erfolgreich. Im Herbst 2020 verkündet das Unternehmen sich aus der Region zurückzuziehen. Sollte es zu einem erneuten Versuch kommen, wird es sicher erneut Widerstand geben. NoMoorGas hat gezeigt, dass sich die betroffenen Menschen schnell mobilisieren und effektive Gegenstrategien entwickeln können. 2021 soll erneut verhandelt werden, inwiefern Fracking in Deutschland wieder erlaubt werden wird.

Problematisch ist auch, dass das Niedersächsische Landesbergamt (LBEG) zwar Genehmigungen ausstellt und den Bohrlochbergbau überwacht. D.h. Das Amt kontrolliert zwar, hat aber nicht die Funktion zu intervenieren oder sicher-zustellen, dass Auflagen umgesetzt werden. Die Kontrollfunktionen der Behörde sind im Laufe der Jahre immer weiter abgebaut und immer mehr in die Hände der Unternehmen selbst gelegt worden. Damit fehlen den Bürger*innen Ansprechpersonen für ihre Anliegen. Das Vertrauen in die staatliche Institution Bergamt hat unter den Bürger*innen dementsprechend gelitten. Ein Gefühl der Ohnmacht entsteht hier dadurch, dass die bei staatlichen Institutionen erwarteten Kontrollfunktionen nicht vorhanden oder nicht ausreichend sind.

Das Niedersächsische Umweltinformationsgesetz (NUIG) ermöglicht Bürger*innen, umweltbezogene Informationen durch Anfragen zu erhalten. Nur so können diese an öffentlichen Entscheidungsverfahren teilnehmen und Handlungsspielräume ausweiten. In meinen Gesprächen mit Aktivist*innen höre ich allerdings vermehrt frustrierte Worte darüber, dass die Beantwortung der Anfragen zu lange dauert und teilweise je nach Umfang der Anfrage auch noch Geld kostet – obwohl der Aufwand als «Anwält*innen der Umwelt» zu agieren allein auf freiwilligem Engagement beruht. Hinzu kommt, dass die von den Behörden erteilten Antworten meist wenig zufriedenstellend sind. Das liegt auch an der Sprachbarriere zwischen den unterschiedlichen Akteur*innen. Da trifft zuweilen eine informell-emotionale Sprache auf eine formal-gesetzliche und oft schwer verständliche Sprache. All dies sind zusätzliche Barrieren, die Bürger*innen überwinden müssen, um handlungsfähig zu sein.

Partizipationsmöglichkeiten ausbauen

Das Engagement von Bürger*innen, Aktivist*innen und Initiativen ist besonders wichtig für eine demokratische Gesellschaft. Besonders dort, wo Strukturen eingefahren sind und wenig hinterfragt werden, machen sie Unsichtbares sichtbar und setzen wichtige Themen auf die politische Tagesordnung. Der Druck aus der Zivilgesellschaft ist ein wichtiger Motor zur Veränderung von Strukturen und Praktiken. Um Bürger*innen zu ermächtigen, müssen Partizipationsmöglichkeiten wie das Niedersächsische Umweltinformationsgesetz weiter ausgebaut und mit finanziellen und personellen Ressourcen unterlegt werden, z.B. mit mehr Personal in der Bearbeitung von Anfragen oder etwa projektbezogenen Förderungen für lokale Bürger*inneninitiativen. Zudem fordern Aktivist*innen mehr Transparenz und Ansprechpersonen vor Ort. Damit aus ihrer Ohnmacht Ermächtigung wird, werden Betroffene zu Expert*innen. Sie ermächtigen sich, indem sie sich vernetzen und organisieren. Sie kreieren einen Gegendiskurs und sorgen dafür, dass die Strategien und Praktiken der Konzerne offenbart werden, um so Handlungsspielräume zu öffnen.