News | Parteien / Wahlanalysen - Türkei Wie geht es weiter mit der HDP?

Die linke Oppositionspartei in Zeiten von Autokratie und Nationalismus

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Ismail Küpeli,

Kundgebung der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Istanbul, 18. Juni 2020
Kundgebung der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Istanbul, 18. Juni 2020 picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Emrah Gurel

Auf einem ersten Blick scheint die Demokratische Partei der Völker (HDP) sich trotz massiver staatlicher Repression und weitgehender politischen Marginalisierung gut in der Türkei behaupten zu können. Obwohl Tausende Mitglieder der Partei festgenommen und zahlreiche HDP-Bürgermeister*innen abgesetzt und durch staatliche Zwangsverwalter ersetzt wurden, schaffte es die HDP, ihre Stimmenanteile bei den Wahlen halbwegs zu halten. Dennoch wächst innerhalb der Partei die Kritik am bisherigen politischen Kurs.

Streitpunkt ist vor allem der Selbstanspruch der HDP als eine linke Partei für die gesamte Türkei über ethnische, religiöse und kulturelle Grenzen fungieren. Seit ihrer Gründung im Jahr 2012 betont die HDP diesen Ansatz. Damit unterscheidet sie sich auch von ihren Vorläufer*innen, wie etwa der «Partei der demokratischen Gesellschaft» (DTP). Während die DTP und andere kurdische Parteien sich primär als die Interessenvertretung der kurdischen Bevölkerung verstanden, versuchte sich die HDP zuallererst als eine linke Partei der gesamten Türkei zu etablieren. Tatsächlich fehlte bis dahin eine solche Partei, sowohl auf der Straße wie auch im Parlament, wenn man von relativ erfolglosen Parteigründungen der türkischen Linken, wie etwa der «Partei der Freiheit und Solidarität» (ÖDP) absieht. Die HDP konnte erfolgreich diese Lücke schließen und viele linke Aktivist*innen im Westen der Türkei, die mehrheitlich türkisch ist, für sich gewinnen. Die unmittelbare kurdische Vorläuferpartei «Partei des Friedens und der Demokratie» (BDP) wurde zur «Demokratische Partei der Regionen» (DBP) unbenannt und so zu einer regionalen Teilpartei der HDP für die kurdischen Gebiete der Türkei umgewandelt, wodurch der Charakter als Interessenvertretung der kurdischen Bevölkerung zu einem Teilaspekt der HDP wurde. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2015 erreichte die HDP mit dieser Strategie 13,1 Prozent der Stimmen, was gleichzeitig bedeutete, dass die Regierungspartei AKP nicht länger die Mehrheit im Parlament besaß. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte man von einer ungebrochenen Erfolgsgeschichte der HDP sprechen können.

Als aber die Regierungspartei AKP auf die Ergebnisse der Parlamentswahlen im Juni 2015 mit einer nationalistischen Stimmungsmache gegen die HDP und der Entfachung eines Krieges in den kurdischen Gebieten der Türkei reagierte, begannen die Probleme für die HDP zu wachsen. Die leichten Verluste bei den folgenden Parlamentswahlen waren dabei weniger entscheidend als die Tatsache, dass die übrigen Oppositionsparteien es nicht schafften, sich mit der HDP auf einen gemeinsamen Kurs gegen die Regierungspolitik der AKP zu einigen. Vielmehr ließen sich fast alle relevanten türkischen Parteien, einschließlich der kemalistischen CHP, auf die nationalistische Mobilisierung der Regierung ein. Weder wurden die illegitimen Angriffen auf Mitglieder und Büros der HDP kritisiert, noch der Krieg in den kurdischen Gebieten verurteilt. Aber auch viele Linksliberale im Westen der Türkei bezogen nicht hörbar Position gegen den Krieg und für die Interessen der kurdischen Bevölkerung – sie schwiegen. Damit schien der Ansatz der HDP als linke und progressive Brücke zwischen der türkischen und der kurdischen Bevölkerung zu fungieren, gescheitert zu sein. Sowohl die Mitglieder als auch die Wähler*innen der HDP waren trotz Bemühungen der Partei weiterhin mit einer deutlichen Mehrheit kurdisch und die Attraktivität der HDP im Westen schien eingedämmt zu sein. Aufgrund der Repression seitens der Regierung und der Ablehnung seitens der türkischen Oppositionsparteien wurde die HDP auch im Parlament marginalisiert.

Diese Situation, die seit dem Wiederaufflammen des Krieges in den kurdischen Gebieten im Herbst 2015 herrscht, führte zu kontroversen Debatten über den zukünftigen Kurs innerhalb der Partei. Eine erste und kaum überraschende Diskussion betraf die Teilnahme der HDP an den Wahlen. Dabei konnten sich die Befürworter*innen eines Wahlboykotts nicht durchsetzen, die darauf verwiesen, dass demokratische Wahlen in Zeiten von Krieg und einer sich etablierenden Autokratie unmöglich sind. Aber die Skepsis gegen die Teilnahme an Wahlen blieb ebenso wie die Forderung nach politischen Strukturen und Aktivitäten, die sich nicht auf Parlamentswahlen fokussieren. Die zweite Debatte, die bis heute nicht gänzlich entschieden ist, betrifft wiederum den Selbstanspruch der HDP, eine Partei für die gesamte Türkei zu sein. Die Ablehnung seitens fast aller relevanten türkischen Parteien und die Ignoranz in der westtürkischen Gesellschaft gegenüber den Interessen und Forderungen der kurdischen Bevölkerung, führte innerhalb der HDP zu der Frage, ob die Partei sich nicht doch lieber auf die Rolle als Interessenvertretung der kurdischen Bevölkerung konzentrieren sollte. Dabei spielt auch die Annahme eine Rolle, dass die kurdische Bevölkerung in gesellschaftspolitischen Fragen ähnlich konservativ sei wie die Restbevölkerung der Türkei, und die linken und progressiven Politiken der HDP dort höchstens widerwillig akzeptiert werden würden. Insbesondere der ehemalige HDP-Abgeordnete Altan Tan vertritt diese These und hat damit seinen Parteiaustritt begründet. Andere HDP-Politiker, wie etwa der ehemalige Abgeordnete Ziya Pir, kritisieren, dass die HDP ihre Kräfte für eine Demokratisierung der gesamten Türkei verwende und dabei die genuinen Interessen der kurdischen Bevölkerung zu kurz kämen. Zuletzt hatte sich diese Debatte im Rahmen einer deutschsprachigen Fachtagung am 30. Januar 2021 entzündet, an der verschiedene HDP-Politiker*innen teilgenommen hatten.

Ein Bild steht dabei symbolisch für die Haltung der türkischen Oppositionsparteien gegenüber der HDP: Bei der Pressekonferenz nach einem Besuch der HDP-Parteispitze in der CHP-Parteizentrale trat der HDP-Co-Vorsitzender Mithat Sancar alleine vor die Kameras der Medien – während der CHP-Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu nicht zu sehen war. Angesichts der Tatsache, dass die Bemühungen der HDP für eine gemeinsame Politik von den übrigen Oppositionsparteien ignoriert oder abgelehnt werden, wird die Debatte darüber, ob die HDP weiterhin eine Partei der gesamten Türkei sein will oder doch stärker eine Interessenvertretung der kurdischen Bevölkerung, vorerst nicht aufhören.