News | Kunst / Performance Ohne Treuhand kein Techno

«Wir wollen ‹abgewickelte› Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Techno-Dance-Floor holen und den Rave in die Akten und Erinnerungen.»

In TreuhandTechno erforscht das Theaterkollektiv PKRK aus künstlerischer Perspektive die ‹Abwicklung› ehemaliger DDR-Betriebe durch die Treuhand und das gleichzeitige Aufkommen der Technokultur in den 90er Jahren. TreuhandTechno wird von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert. Aufnahme der Performance «TreuhandTechno Apolda», Simon Strick

Ein Interview mit Susann Neuenfeldt und Anna Stiede zu ihrem Tanz-Recherche-Projekt TreuhandTechno

Ihr wollt Treuhand und Techno zusammenbringen - was haben die beiden gemeinsam - außer dem T als Anfangsbuchstaben?

Susann Neuendfeldt: Treuhand und Techno haben enorm viel gemeinsam. Techno entstand in den frühen 90er Jahren, in der Zeit, in der die Treuhand die ehemaligen DDR-Betriebe 'abwickelte'. Neben dieser zeitlichen Parallele gibt es viele konkrete Verbindungen: Dass in den leeren Maschinenhallen der abgewickelten VEBs die neuen Technoparties stattfanden. Dass mit der neuen Technomusik Maschinensounds produziert wurden, die zuvor in den Hallen bei der Arbeit zu hören waren oder, dass Materialbestände der still gelegten Betriebe als Deco für die aufkommenden Technoclubs gebraucht wurden. Das sind nur ein paar Beispiele. Neben diesen konkreten Verbindungen gibt es subtilere: Technotanzen ist eine Taktungsbewegung wie industrielle Maschinenarbeit. Beim Auflegen von Techno-Platten spielen die Hände der DJ*s eine wesentliche Rolle wie etwa bei der Feinarbeit an und mit einer Maschine. Technotanzen selbst war Arbeit, kulturelle Arbeit, mit der die mitunter harten Realitäten des Post-DDR-Alltags - Deindustrialisierung, kulturelle Abwertung und Auslöschung von Arbeitsbiographien ‹abgeschüttelt› und Parallelwelten erschaffen werden konnten. Eine weitere Gemeinsamkeit: Das rasante Tempo, mit denen die VEBs in den frühen 90ern abgewickelt wurden, fand eine Entsprechung im Techno, nämlich in den atemberaubend schnellen Beats der Musik. Und: Techno- und Treuhandgeschichte werden häufig von männlichen Protagonisten erzählt, auch das ist ein gemeinsames Phänomen.

Susann Neuenfeldt ist künstlerische Leiterin und Regisseurin des freien Theaterkollektiv Panzerkreuzer Rotkäppchen (PKRK).

Anna Stiede ist Performerin beim freien Theaterkollektiv Panzerkreuzer Rotkäppchen (PKRK).

Das Theaterkollektiv Panzerkreuzer Rotkäppchen (PKRK) setzt in seiner künstlerischen Arbeit auf lokale Gebundenheit und Zeitzeug*innenwissen.

Gab es einen konkreten Auslöser für euer Projekt? Was war die Grundidee und wie hat es sich entwickelt?

Anna Stiede: Am 4. November 2019 hatten wir auf dem Alexanderplatz Premiere mit einer anderen Performance: 4-11-89 - Theater der Revolution. Mit dem Kollektiv PKRK belebten wir die Großdemonstration der DDR vom 4.11.1989 an jenem Ort wieder. Wir wollten mit unserer Performance an diesen Moment eines offenen historischen Fensters erinnern. Zum Schluss stimmten alle Figuren einen schier nicht enden wollenden Tanz an.

Ein paar Tage später, am 9. November, diesem seltsamen historischen Tag und mitten im Premierenloch, bekam ich von unserer Regisseurin eine SMS, in der sie sinngemäß schrieb: «Wir machen weiter Theater – TreuhandTechno». Somit war die Idee geboren. Im darauffolgenden Winter und während des ersten Corona-Lockdowns sammelten wir Thesen, Gedanken und musikalische Spuren. Um das Technotanzen zu durchleuchten forschte unsere Choreographin Maike Möller-Engemann performativ. So stießen wir auf spannende Thesen, die wir in einem künstlerischen Forschungsprojekt durch den Osten ziehend bearbeiten wollten.

Zeitzeug*innen gesucht
Für sein aktuelles Projekt TreuhandTechno sucht das Theaterkollektiv Panzerkreuzer Rotkäppchen (PKRK) Zeitzeug*innen:

Ehemalige Beschäftigte von Ost-Berliner Betrieben, die durch die Treuhand ‹abgewickelt› wurden. Insbesondere Mitarbeiter*innen des VEB NARVA (Berliner Glühlampenwerk), aber auch anderer Ost-Betriebe.

Techno-Akteur*innen, die den Aufstieg der Berliner Techno-Kultur in den 90er Jahren mitgestaltet bzw. miterlebt haben, wie DJ*s, Produzent*innen, Technotänzer*innen und -liebhaber*innen.

Wer Geschichten aber auch Alltagswissen zu Treuhandabwicklungen und Technokultur in den 90er Jahren mit PKRK in einem geschützten Raum teilen möchte, ist herzlich eingeladen, sich bei dem Kollektiv zu melden. Das Kollektiv interessiert sich besonders für weibliche Perspektiven. Die Ergebnisse dieser Recherchen werden in eine begehbare Installation einfließen, die das Kollektiv im Juni im Club //:about blank fur Besucherinnen und Besucher präsentiert.

Kontakt:
Email: richardp@pkrk.de oder telefonisch oder per sms: 0152 1373 3859

Was wollt ihr mit euren Recherchen und eurer Performancearbeit erreichen?

Susann Neuendfeldt: Wir wollen die zahlreichen Verbindungen von Techno und Treuhand offen legen. Wir wollen zwei Ost-Generationen miteinander in einen performativen Dialog auf Augenhöhe treten lassen: die Technoprotagonist*innen und die Treuhandabgewickelten aus den 90er Jahren. Wir wollen die männlich dominierten Techno- und Treuhandgeschichten um weibliche Perspektiven erweitern und eine weibliche Gegengeschichte schreiben. Wir wollen zeigen: «Ohne Treuhand kein Techno». Auch wenn das eine gewagte These ist; die Vielzahl unserer Recherchen sprechen dafür.

Und es ist an der Zeit, die diversen Verbindungen zwischen Treuhand und Techno ins kulturelle Gedächtnis zu bringen. Gerade jetzt, wo die Treuhand-Akten frei gegeben werden. Jetzt, wo die Technoclubs ums Überleben kämpfen, wie die DDR-Betriebe damals, jetzt, wo der Bundestag über den kulturellen Wert der Technoclubs debattiert. Und nicht zuletzt: Wir wollen ‹abgewickelte› Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Techno-Dance-Floor holen und den Rave in die Akten und Erinnerungen. Deshalb freuen wir uns sehr, dass TreuhandTechno Berlin vom Hauptstadtkulturfonds und der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert wird.

In TreuhandTechno erforscht das Theaterkollektiv PKRK aus künstlerischer Perspektive die ‹Abwicklung› ehemaliger DDR-Betriebe durch die Treuhand und das gleichzeitige Aufkommen der Technokultur in den 90er Jahren.

TreuhandTechno wird von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert.

Ihr hattet bereits erste Performances in Apolda - welche Erfahrungen habt ihr dort gemacht - mit den Beteiligten und dem Publikum?

Anna Stiede: In Apolda wurde die DDR-Textilindustrie, die das Herzstück der Arbeiter*innenstadt war, 1990 in einer Geschwindigkeit abgewickelt, dass mir selbst beim Recherchieren und Nachfragen ganz schwindelig wurde. Wir suchten Textilarbeiter*innen und Technoliebhaber*innen, interviewten sie, luden sie zu Begegnungsformaten  ein. Im Oktober 2020 ist es uns sogar gelungen beide Generationen zum Technotanzen vor der zerfallenden Fabrikkulisse des Apoldaer Eiermannbaus zu bewegen. In unserer Produktionszeit suchten wir außerdem alte Textilmaschinen, um deren Sounds kennenzulernen. Durch die enge Arbeit mit lokalen Protagonist*innen, den Textilmaschinen und der Lokalpresse haben wir eine Auseinandersetzung um jene Zeit angeregt und kulturelle Begegnung geschaffen, die die Stadt gut gebrauchen kann. Wir stießen auf einen großen Redebedarf. Ehemalige Stricker machten uns große Geschenke: Herr Stock – zu DDR-Zeiten regional als absoluter Maschinenexperte bekannt, musste 1990 den Abtransport funktionsfähiger Maschinen hautnah mit ansehen. In unserer Performance baute er live eine alte Handstrickmaschine auf und brachte sie zum wirken. Herr Burkhardt, der heute als ‹David, der Stricker› gerne durch die Stadtgeschichte führt, teilte mit uns ein bisher unveröffentlichtes Schreiben eines investitionsgewillten Unternehmers an die Treuhand. Die Treuhand lehnte diese Geschäftsidee und das mitgebrachte Kapital jedoch beständig ab. «Apolda hätte ein anderes Apolda werden können» sagte er und schmetterte uns für unsere Wiederbelebungsarbeit der Lokalgeschichte dankend, ein Lied entgegen. Das bleibt für uns alle unvergessen.