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Beim Import von Lithium aus Südamerika setzt Deutschland auf eine privilegierte Stellung. Eine klimagerechte Politik ist indes nur mit einer radikalen Veränderung von Mobilität zu realisieren.

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Evelyn Linde ,

Förderung von Lithium im Salar de Uyuni
Förderung von Lithium im Salar de Uyuni CC BY-SA 2.0, Oton Barros via Flickr

«Diese Bäume hier würden ja nicht wachsen, wenn es kein Wasser gäbe. Ich meine wir sind hier nicht in der Wüste», antwortet Tesla-Chef Elon Musk bei einem Besuch in Grünheide auf die Frage, wie die Gigafactory Berlin-Brandenburg das Dürreproblem der Region berücksichtigt [1]. In Grünheide, einer kleinen Gemeinde südöstlich von Berlin, möchte Tesla ab Ende 2021 Elektro-Autos bauen. Neben der Autofabrik soll auch eine Batteriezellenfabrik entstehen. Autoindustrie und Politik versprechen: Mit der Elektrifizierung des Antriebs und Speicherung der Energie in leistungsfähigen Batterien werde Autofahren umwelt- und klimafreundlich. Auf wessen Kosten der gigantische Wasserbedarf einer Gigafabrik in einem Trinkwasserschutzgebiet geht, scheint für Musk kein Problem zu sein. Tesla baut auch ohne finale Hauptgenehmigung weiter.

Evelyn Linde ist Mitgründerin des F3_kollektivs und in dessen Projekt #digital_global im Bereich machtkritischer Bildungsarbeit zur Digitalisierung tätig. Sie ist außerdem aktiv in der Bewegung für Klimagerechtigkeit.

Das Lithium für die Batterien kommt allerdings aus der Wüste. Doch auch in der ariden Region des sogenannten Lithium-Dreiecks im Norden Chiles und Argentiniens und Süden Boliviens ist die Frage nach dem Wasser nicht beantwortet. «Der Begriff des Lithium-Dreiecks erzeugt das Bild von einer großen Wüstenlandschaft, die reich an Rohstoffen ist und in der es kein Leben gibt. Aber wir leben hier seit Jahrhunderten», sagt Jorge Muñoz Coca der Deutschen Welle. Er ist einer der Vorsitzenden der indigenen Gemeinde Soncor in der chilenischen Atacama-Wüste und kritisiert: «Die Bergbauunternehmen verletzen seit vielen Jahren unsere Menschenrechte. Sie verschmutzen die Umwelt, nehmen uns das Wasser, das wir für die Landwirtschaft brauchen und zerstören so unsere Kultur.»

Aktuell verhandelt Chile mit der Europäischen Union (EU) über ein bereits bestehendes Freihandelsabkommen, das 2003 in Kraft trat. Die EU importiert Lithium vor allem aus Chile, aktuell zum Nullzolltarif. In dem modernisierten Assoziierungsabkommen möchte die EU sich den Zugang zu dem Rohstoff noch besser sichern. In Chile wird befürchtet, dass ein solches Abkommen das Land in der Rolle des Rohstoff-Exporteurs gefangen hält und daran hindert eine eigene Batterieindustrie aufzubauen.

Politik für Batterien «Made in Europe»

Etwa 6.000 Tonnen Lithiumkarbonat wurden 2019 nach Deutschland importiert, davon kamen etwa 3.500 Tonnen aus Chile. Die Industrie und Bundesregierung bauen die Batteriezellfertigung in Deutschland aus. Dementsprechend erhöht sich der Bedarf nach Rohstoff-Importen. Die Deutsche Rohstoffagentur (DERA) der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) berechnet ausgehend von den bereits beschlossenen Produktionskapazitäten einen jährlichen Bedarf an Lithium von rund 7.000 Tonnen. In einem zweiten Szenario, bei dem von deutlich höheren Kapazitäten ausgegangen wird, nimmt die DERA einen Lithiumbedarf von rund 28.000 Tonnen an. Das entspräche circa 38 Prozent der globalen Förderung aus 2019. Selbst wenn diese Prognose nicht eintritt, zeigt sich: Deutschland wird wahrscheinlich einen beachtlichen Anteil der jährlichen globalen Bergwergproduktion importieren.

Die «Zukunfts- und Schlüsseltechnologie» Elektromobilität soll Deutschland «umweltschonende Wertschöpfung» bescheren. Deshalb verfolgt das Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) seit 2019 mit der Europäischen Kommission Projekte zur Forschung und Entwicklung in der Batteriezellfertigung. Ende Januar genehmigte die Kommission ein großes Projekt. Mit bis zu drei Milliarden Euro fördert das Bundesministerium für Wirtschaft nun die Batterie-Vorhaben von elf Unternehmen, darunter ACI Systems, BMW und Tesla. Das Ziel des Bundesministeriums sei von der Aufbereitung der Rohstoffe über die Batteriezellfertigung bis zum Recycling mit Batterien «Made in Europe» neue Maßstäbe bezüglich der Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit von Batterien zu setzen.

In der Rohstoffpolitik sucht man indessen vergeblich nach Tatendrang für neue Maßstäbe. Die zivilgesellschaftliche Initiative Lieferkettengesetz fordert neben einem verbindlichen gesetzlichen Rahmen für menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in den Wertschöpfungsketten von Unternehmen auch umweltbezogene Sorgfaltspflichten. Sollte die Regierung ihre Mobilitäts- und Rohstoffpolitik nicht fundamental ändern, verfestigen und vertiefen die «Zukunftstechnologien» historisch gewachsene globale Ungleichheiten. Hier wird deutlich, dass sich das «zukunftsweisende» jener Technologien vor allem auf Industrienationen im globalen Norden beschränkt.

In der Wertschöpfungskette entfallen circa zwei Drittel der Wertschöpfung auf die Herstellung der Batterie – auf den Bergbau jedoch nur ein Bruchteil. Mit Milliardeninvestitionen positioniert sich Deutschland im lukrativen Teil der Wertschöpfungskette, anstatt historischer Verantwortung gerecht zu werden und die Initiativen in den Abbauregionen zu unterstützen, die darauf abzielen, ihre durch koloniale Kontinuitäten bedingte Position auf dem Weltmarkt zu verändern. Gleichzeitig fehlt es an politischem Willen, transparente Lieferketten bis in die Abbauregionen durchzusetzen. Die Studie Performance-Check Automobilindustrie: Verantwortungsvoller Rohstoffbezug des parteiunabhängigen Vereins PowerShift und des entwicklungspolitischen Netzwerks INKOTA zeigt auf, dass Industrieinitiativen und Nachhaltigkeitsberichte der Auto-Hersteller bei Weitem nicht ausreichen, um Menschenrechte und Umweltschutz einzuhalten.

Verhandlungen über die Zukunftstechnologien nicht nur mit Chile

Im April 2008 erließ Boliviens Regierung ein Dekret, um eine eigene Mineralsalz-Industrie aufzubauen. Der Staat sollte die natürlichen Ressourcen des Salar de Uyuni, des größten bekannten Salzsees der Erde, selbstbestimmt fördern und verarbeiten. Dieses Ziel bedeutete, dass ein staatliches Unternehmen das Lithium auch industriell aufarbeitet und nicht nur den Rohstoff exportiert. Dafür sollten auch eigene Technologien entwickelt und Know-How in der Herstellung von Lithium-Batterien gewonnen werden – ein wichtiger Schritt, um der Abhängigkeit von Industrienationen aus dem globalen Norden etwas entgegenzusetzen.

Zehn Jahre später schloss das bolivianische Staatsunternehmen Yacimientos de Litio Bolivianos (YLB) mit dem deutschen Unternehmen ACI Systems Alemania (ACISA) einen Vertrag zur Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens. Bereits in der Forschungsphase arbeite die zuständige bolivianische Behörde mit zwei deutschen Unternehmen zusammen. Der Weg zu eigenen Technologien benötigt eine Vielzahl an Ressourcen, die global ungleich verteilt sind.

Ursprünglich plante ACISA Ende 2022 mit der industriellen Produktion von Lithiumhydroxid zu beginnen. In dem Vertrag des Joint-Ventures wurde so viel Restsole für die Anlage garantiert, dass rund 40.000 Tonnen Lithiumhydroxid pro Jahr gewonnen werden könnten. Davon sollten 80 bis 85 Prozent nach Deutschland beziehungsweise Europa exportiert werden. In dem Vertrag erhielt das Gemeinschaftsunternehmen außerdem das Recht, die Lithiumvorkommen für 70 Jahre abzubauen.

Aufgrund massiver Proteste gegen das Abkommen kündigte die bolivianische Seite unter der linken Regierung Evo Morales (MAS) jedoch Ende 2019 an, das Abkommen aufzuheben. Dieses Jahr hat die neue Regierung Boliviens unter Luis Arce, ebenfalls MAS, ACISA zu Gesprächen über die Fortsetzung des Projektes eingeladen. Laut Pressestelle von ACISA solle die lange Vertragslaufzeit von 70 Jahren verhandelt werden. ACISA verfolge das Ziel, das Projekt wiederzubeleben und fortzusetzen.

Präsident Luis Arce verfolgt mit einer Lithium-Agenda wieder das Ziel eine souveräne Position auf dem Weltmarkt einzunehmen. Bei einem Lithium-Symposium in La Paz Ende April veröffentlichte die YLB eine neue internationale Ausschreibung. Sicherlich wird Deutschland viel daran setzten sich bei der Ausschreibung gegen die Konkurrenz durchzusetzen und sich trotzdem mit dem neu verhandelten Joint Venture einen günstigen und direkten Zugriff auf das begehrte Lithium zu sichern. Auch Bolivien muss sich beeilen, da sich andere (etablierte) Anbieter eine gute Position auf dem Markt sichern wollen: Die erhöhte Nachfrage ließ den Lithiumpreis Ende 2015 in die Höhe schnellen. Nach einer Verdreifachung des Preises sank er jedoch wieder fast auf das Niveau von 2015, da mit massiven Investitionen das Angebot erhöht wurde. Seit Dezember 2020 steigt der Preis allerdings wieder. Die strahlend gezeichnete Zukunft der E-Mobilität bleibt umkämpft und es wird umso schwerer, etablierte Machtverhältnisse herauszufordern.

Für Klimagerechtigkeit braucht es eine Mobilitäts- und Rohstoffwende

Zurück nach Grünheide, wo das Model Y produziert werden soll: Für etwa 60.000 Euro oder mit «vollem Potential für autonomes Fahren», wie Tesla wirbt, für über 70.000 Euro mit über 200 km/h im E-SUV über neu gebaute Autobahnen rasen – soll so die Zukunft der Mobilität aussehen? Selbst wenn die Lithium-Batterie in dem E-SUV fair und nachhaltig wäre, kann die von Industrie und Bundesregierung verfolgte Mobilitätspolitik nicht zu globaler (Klima-)Gerechtigkeit führen, wie es beispielhaft die verheerenden Konsequenzen für Natur und Menschen im Lithium-Dreieck Bolivien, Chiles und Argentiniens deutlich machen. Gerechte Mobilität für Alle sieht anders aus.

Bloß den Antrieb zu ändern, löst keine Probleme. Das individuelle Autofahren muss radikal reduziert werden. Neben den am Lithium dargelegten Ungleichheiten gibt es zahlreiche weitere Gründe, die mit Umweltbelastung, Umweltrassismus, Klassen und Gender-Ungleichheiten zusammenhängen. An dieser Stelle werden nur zwei weitere Aspekte mit globalen Auswirkungen skizziert:

Auch ein E-Auto, insbesondere ein E-SUV, besteht größtenteils aus Stahl und Aluminium. Entlang der Wertschöpfungskette eines Autos macht die Produktion dieser Metalle einen hohen Anteil der CO2-Emissionen aus (laut Daimler ca. 60 Prozent). Um das Klima zu schützen, müsste also die Produktion von Autos stark reduziert werden.

Für die Auto-Industrie geht die Umstellung auf E-Mobilität Hand in Hand mit dem autonomen Fahren – das kostet bei Tesla rund 10.000 Euro extra. Neben Datenschutz und dem massiven Energiebedarf für die damit verbundenen Datenmengen zählen schon heute zu den externalisierten Kosten auch die Arbeitsbedingungen der Menschen, die autonomes Fahren möglich machen: Click-Arbeiter*innen, also Menschen, die von zuhause an ihrem Computer für Plattform-Unternehmen Aufgaben bearbeiten, produzieren zu oft sehr geringen Löhnen Trainingsdaten für die Algorithmen. Für die von der Auto-Industrie genutzten Plattformen arbeiten beispielweise viele Menschen aus Venezuela.

Aufgrund all dieser sozial-ökologischen Probleme fordern zivilgesellschaftliche Initiativen wie der Arbeitskreis Rohstoffe und soziale Bewegungen eine Mobilitätswende, die mit einer Rohstoffwende Hand in Hand geht. Autofreie Innenstädte, der Ausbau von Fahrrad- und Fußwegen sowie dem öffentlicher Personennahverkehr, Car-Sharing, keine neuen Autobahnen und Flughäfen, Produktdesign für eine Kreislaufwirtschaft und vieles mehr – für volle Fahrt in Richtung eines Guten Lebens für Alle und Klimagerechtigkeit gibt es genug Vorschläge, für die Menschen an vielen Orten politisch kämpfen.