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Junta und Widerstand in Myanmar

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Alexander Isele,

Demonstranten gegen Myanmars Junta verbrennen die Flagge der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN). Foto aufgenommen in Mandalay, Myanmar am 5. Juni 2021. Foto: picture alliance / REUTERS | Stringer .

Fast fünf Monate ist es nun her, dass das Militär in Myanmar geputscht hat, aber noch immer ist es der Junta nicht gelungen, die Kontrolle über das ganze Land zu gewinnen. Dies musste der Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Juntachef, Min Aung Hlaing, in einem Interview Ende Mai einräumen. Der Putschgeneral hat offensichtlich den Umfang und die Langlebigkeit des Widerstands gegen seinen die Demokratie aushebelnden Putsch nicht vorausgesehen.

Noch immer ist die Wut der Bevölkerung auf das Putschregime sehr groß, noch immer kommt es im ganzen Land zu Protesten, gegen die die Sicherheitskräfte ungebremst brutal vorgehen. Über 860 Zivilist*innen, darunter auch Kinder, wurden seit dem Putsch vom 1. Februar durch die Sicherheitskräfte getötet, mindestens 21 Personen zu Tode gefoltert, mehr als 4800 Zivilisten verhaftet. Mittlerweile werden sogar ganze Dörfer von den Streitkräften niedergebrannt, um protestierende Bewohner*innen zu bestrafen. Zahlreiche Flüchtlinge haben sich an die Grenze nach Thailand und über die Grenze nach Indien aufgemacht, wo eine weitere humanitäre Krise droht.

Am Rande des Zusammenbruchs

Wirtschaftlich und finanziell steht das Land am Rande des Zusammenbruchs, was viele der westlichen Investor*innen, die während des letzten Jahrzehnts in der Hoffnung auf einen demokratischen Übergang ins Land kamen, vertrieben hat. Die weitgehend «führerlose» «Bewegung des zivilen Ungehorsams» legt weiter mit Streiks in öffentlichen und privaten Sektoren wesentliche Bereiche des Staates lahm. Gewählte Abgeordnete, die in den Untergrund abgetaucht sind, haben eine Schattenregierung gewählt, die Beweise für Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch das Regime sichert und um internationale Anerkennung kämpft.

Mehrere der ethnischen bewaffneten Organisationen (EAOs) haben den Putsch verurteilt und sich auf die Seite der protestierenden Bevölkerung gestellt. Konflikte mit Rebellen gibt es im Vielvölkerstaat seit der Unabhängigkeit 1948; im Kern geht es darum, wie groß der Einfluss des Zentralstaates und der bamarischen Bevölkerungsmehrheit, die vor allem in den zentralen Ebenen von «Burma Proper» lebt, auf die bergigen «Grenzgebiete» ist, in denen ethnische Minderheiten für mehr Autonomie kämpfen. 2015 schloss die erste zivile Regierung ein landesweites Waffenstillstandsabkommen mit acht dieser EAOs; nachdem ihre Nationale Liga für Demokratie 2016 die Regierung übernommen hatte, führte Aung San Suu Kyi die Gespräche fort und begann Friedensverhandlungen mit diesen und weiteren, aber nicht mit allen, der etwa 20 EAOs. Allerdings stockten die Verhandlungen zuletzt. Für die neue Legislaturperiode, die am Tag des Putsches beginnen sollte, wurden neue Verhandlungsrunden erwartet. Stattdessen eskaliert nun der Bürgerkrieg nicht nur mit altbekannten ethnischen Armeen, sondern auch mit einer Vielzahl lokaler Kräfte in Gebieten, die seit Jahrzehnten keine Kämpfe mehr gesehen haben. Die Tatmadaw, wie das Militär in Myanmar heißt, antwortet mit brutalen Angriffen und sogar Luftschlägen. Derzeit scheinen weder das Putschregime noch die Widerstandsbewegung stark genug, den Machtkampf zu ihren Gunsten zu entscheiden. Die International Crisis Group warnte bereits vor einem Staatskollaps.

Ausweitung zur regionalen Krise

Der Konflikt im Land hat sich in kürzester Zeit zu einer regionalen Krise ausgeweitet. Die Vereinten Nationen riefen bereits wiederholt zu einem Ende der Gewalt auf, bei der Vollversammlung am 19. Juni stimmten 119 Länder für ein Waffenembargo, das allerdings nicht bindend ist. Belarus stimmte dagegen und 36 Länder enthielten sich, darunter China und Russland sowie Thailand, Brunei, Laos und Kambodscha als Mitglieder der Gemeinschaft südostasiatischer Staaten (ASEAN). Darüber hinaus verhinderte China bislang eine scharfe Verurteilung des Regimes im UN-Sicherheitsrat. Der chinesische Außenminister Wang Yi versicherte seinem Amtskollegen des Putschregimes Wunna Maung Maung Lwin auf dem ASEAN-China-Gipfel in chinesischen Chongqing am 8. Juni, dass die bilateralen Beziehungen nicht beeinträchtigt würden. Den Putsch umschrieb Wang als «Veränderungen in Myanmars innerer und äußerer Situation». Mit diesem Schritt hat China die Junta faktisch anerkannt.

Die Reaktionen der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union fielen gegenteilig aus; beide erklärten ihre Unterstützung für die Protestbewegung und verhängten Sanktionen gegen das Putschregime. Die Regionalmächte Indien und Japan halten sich derweil zurück, auch weil sie Myanmar nicht weiter in die Arme Chinas treiben wollen. Thailand wiederum ist sehr stark von den Erdgasimporten aus Myanmar abhängig, weshalb Kritik am Putsch aus dem Nachbarland ausbleibt. Der Rest der ASEAN-Staaten demonstriert einmal mehr die eigene Unfähigkeit, regionale Krisen zu lösen.

Dabei hatten sowohl China als auch die USA und die EU ihre Hoffnung auf die Staatengemeinschaft gesetzt. ASEANs diplomatische Initiative zur Lösung der Krise verpuffte aber. Der Fünf-Punkte-Plan zur Lösung der Krise erwies sich, unmittelbar nachdem er am 14. April in Jakarta mit Min Aung Hlain ausgehandelt wurde, als bedeutungslos. Der Putschgeneral ignoriert ihn einfach. Eine ASEAN-Delegation besuchte zwar Anfang Juni Myanmar, heraus kam dabei aber nichts. Kritische Worte sind fast nur noch aus Indonesien zu vernehmen, wo die Regierung weiterhin den sofortigen Stopp der Gewalt und die Freilassung aller politischer Gefangener fordert.

Sicherheitsexpert*innen und andere Beobachter*innen argumentieren, dass weder ziviler Ungehorsam noch bewaffneter Kampf das Militär zu Fall bringen könnten. Dies könne nur ein Riss innerhalb des Militärs bewirken, für den es aber kaum Anzeichen gibt. Und so eskaliert der laufende Machtkampf und weitet sich zu einer regionalen Krise aus, die droht, auch die Supermächte China und die USA in die Konfrontation hereinzuziehen.

Chinas geostrategische Interessen

Für Chinas geostrategische Interessen besitzt Stabilität in Myanmar eine immens große Bedeutung. Durch Myanmar besitzt die Volksrepublik nämlich einen direkten Zugang zum Indischen Ozean, und eine Gas- und Ölpipeline erlaubt es, die umstrittenen Gewässer des Südchinesischen Meeres und den Engpass der Straße von Malakka zu umgehen. Peking befürchtet, dass diese im Fall eines Konflikts mit den USA blockiert werden könnte.

Dabei ist die Nähe Chinas zum Putschregime nicht ohne Fallstricke. Denn Pekings unerschütterliche Unterstützung für das Regime, besonders die diplomatische Unterstützung im UN-Sicherheitsrat, erregt den Zorn der Öffentlichkeit Myanmars. In den Tagen nach dem Coup breitete sich im Land eine antichinesische Stimmung aus, die täglich zu Protesten vor der chinesischen Botschaft in Rangun und anderen chinesischen Einrichtungen führte. Chinesische Fabriken wurden in Brand gesteckt und in einem Fall sogar mit einem Sprengstoffanschlag angegriffen. Dazu gibt es Drohungen, die Öl- und Gaspipeline zwischen China und Myanmar anzugreifen.

Der chinesische Einfluss in Myanmar ist seit dem Putsch gewachsen. Auch zeigt sich die Junta zunehmend bereit, wirtschaftliche Konzessionen zu machen, um im Gegenzug Devisen und Legitimität zu erhalten. Wichtige Posten im Steuerungskomitee der „Neuen Seidenstraßen-Initiative» wurden mit Personen aus dem Umfeld der Junta besetzt, so dass Peking sich in diesem Rahmen um den China-Myanmar-Wirtschaftskorridor (CMEC) keine Sorgen mehr machen muss. Die Umsetzung der CMEC-Projekte, wie etwa der Tiefseehafen der Kyaukphyu-Sonderwirtschaftszone, ist so für China gesichert. Möglich scheint auch, dass umstrittene Wasserkraftprojekte an thailändische und chinesische Firmen vergeben werden, von denen vor allem letztere profitieren – und nicht die Bevölkerung Myanmars. Der Umstand, dass wichtige Posten im „Staatsverwaltungsrat», wie die Junta sich nennt, jetzt mit Personen besetzt wurden, die China nahestehen, deutet darauf hin, dass die Putschisten von Anfang an darauf abzielten, Rückendeckung aus China zu bekommen.

Das kam nicht von ungefähr, denn das Verhältnis zwischen Peking und Rangun war schon unter der im Zuge des Putsches inhaftierten und mittlerweile wegen angeblicher Korruption angeklagten Staatsrätin und somit De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi gut. Verbessert hatte es sich insbesondere nach der Weigerung Pekings, das Militär für die – vom Westen scharf kritisierten – Verbrechen an den Rohingya zu verurteilen. Erst im Januar 2020 besuchte Chinas Präsident Xi Jinping Myanmar und vereinbarte zahlreiche Investitionsabkommen. Unter der Vorgängerregierung von Thein Sein – dem Ex-General, der der ersten zivilen Regierung nach dem Ende der fast ein halbes Jahrhundert andauernden Militärdiktatur vorstand – hatte sich das Verhältnis merklich abgekühlt. Vor allem der Stopp des Myitsone-Staudammprojekts, der den Protesten aus der Bevölkerung nachgab, verärgerte Peking.

Der langjährige Myanmar-Beobachter Bertil Lindner argumentiert, dass die Sorge der obersten Befehlshaber vor einer zu großen Abhängigkeit Myanmars von China und die Notwendigkeit, diese durch verbesserte Beziehungen zum Westen auszugleichen, zur Öffnung der Gesellschaft in den Jahren 2011-2012 führte. Die Beziehungen zum Westen verschlechterten sich dann wieder mit der Vertreibung von Hunderttausenden Rohingya 2017 – während sich jene zu China verbesserten. Dies unterstreicht, dass das Militär keinen einheitlichen Block darstellt, sondern dass es durchaus Fraktionen und Strömungen gibt, die mit Blick auf die Auslandsbeziehungen unterschiedliche Prioritäten setzen.

Indische Sorgen

Die beiden Regionalmächte Japan und Indien haben sich dem Westen nicht angeschlossen, um den Putsch scharf zu verurteilen oder neue Sanktionen zu verhängen. Dennoch befürchten sie einen wachsenden chinesischen Einfluss im Land. Dabei ist es vor allem Indien, das als Nachbarland direkt von der Krise betroffen ist. Mindestens 21 000 Menschen sollen bereits aus Myanmar in den nordöstlichen Bundesstaat Mizoram geflohen sein, und auch in Manipur kommen täglich Flüchtlinge an. Beide Bundesstaaten grenzen an Myanmar, und weil ihre Mehrheitsbevölkerung eng mit den Chins auf der anderen Seite der Grenze verwandt ist, ignorieren die lokalen Behörden die Appelle aus Neu-Delhi, keine Flüchtlinge aus Myanmar aufzunehmen.

Im Chin-Staat ist der bewaffnete Konflikt zwischen dem Militär und lokalen Widerstandskräften seit dem Putsch eskaliert. Es gibt Grund zur Sorge, dass sich der Bürgerkrieg auf das indische Territorium ausweiten könnte. Denn in der Vergangenheit fanden Rebellen aus dem Nordosten Indiens Zuflucht in Myanmars Grenzgebiet, von wo aus sie Überfälle auf indisches Gebiet unternahmen. Die Situation wird für Neu-Delhi dadurch weiter verkompliziert, dass China früher Naga-, Manipuri- und Assam-Widerstandsgruppen unterstützte und diese Unterstützung wiederaufnehmen könnte – besonders, nachdem Indien im Oktober des vergangenen Jahres einen Handelspakt mit Taiwan unterzeichnete, das von Peking als abtrünnige Provinz betrachtet wird. Schließlich will Indien auch das Militär in Myanmar nicht verprellen, mit dem es in der jüngeren Vergangenheit die Beziehungen verbesserte, unter anderem durch den Verkauf eines U-Bootes.

Die Rolle der Vereinigten Staaten

In Myanmar stehen sich, wie in der Region insgesamt, China und die USA gegenüber. Im Juni gab die US Agency for Global Media bekannt, dass ihre beiden Mediennetzwerke, Voice of America und Radio Free Asia, einen neuen 24-Stunden-Videokanal für Myanmar ins Leben rufen, der per Satellit direkt empfangen werden kann und auf diese Weise eine Antwort auf die Abschaltung unabhängiger Medien und die zeitweilige Blockade der Mobiltelefone durch die Junta sein soll. Auch erhalten zivilgesellschaftliche Organisationen innerhalb des Landes und im Exil vermutlich Unterstützung aus Washington.

Allerdings hat Präsident Joe Biden die Hoffnungen vieler Menschen in Myanmar dennoch enttäuscht. Auf der Suche nach internationalen Verbündeten setzte die Protestbewegung ganz offen auf die USA, die Vereinten Nationen und die ASEAN, die in den 2000er Jahren für die Doktrin der «Responsibility to Protect» (R2P) geworben hatten. Bei den Protesten in Yangon waren Schilder zu sehen, die direkt um militärische Intervention baten.

Die neue Biden-Regierung, die nur elf Tage vor dem Putsch in Myanmar an die Macht kam, schien dafür durchaus geeignet. Ein Indiz hierfür war die Ernennung von Samantha Power zur Leiterin von USAID. In ihrem Buch aus dem Jahr 2002, «A Problem from Hell: America in the Age of Genocide» (Ein Problem aus der Hölle: Amerika im Zeitalter des Völkermords), sah Power die USA als die «unentbehrliche Nation», die in einzigartiger Weise in der Lage sei, humanitäre Bedürfnisse zu bewerten und Völkermord zu verhindern. Damit trug sie zur Geburt der R2P-Doktrin maßgeblich bei. Als Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat von US-Präsident Barack Obama und später als US-Botschafterin bei der UNO befürwortete Power dann die «humanitären» Invasionen in Libyen und Syrien.

Dass die Vereinigten Staaten keine militärische Drohkulisse gegen das Putschregime aufbauen, heißt allerdings nicht, dass sie sich vollständig heraushalten. Eine Hilfe für Demokratie und Menschenrechte wäre es bereits, wenn sich die USA für freien Internetzugang, den Schutz von Flüchtlingen und die Unterstützung demokratischer Bewegungen einsetzten. Gerade eine Unterstützung der Generation Z mit ihrer Technikaffinität und der Fähigkeit, Informationen zu finden und zu bewerten, würde die Widerstandsbewegung stärken. Möglich bleibt auch, dass die USA die Regierung der Nationalen Einheit anerkennt, die sich im Untergrund versteckt hält.

Die Menschen in Myanmar sind heute mit der ganzen Welt verbunden. Die modernen Kommunikationsmittel helfen der jungen, widerständigen Generation, die Wirtschaft des Landes in einer Weise zu treffen, von der ihre Vorgänger in den Jahren 1988 und 2006 nur träumen konnten. So kann das Putschregime von innen her unter Druck gesetzt werden – durchaus mit Erfolg, wie die Reaktionen der Junta demonstrieren. Das bedeutet zwar nicht unbedingt, dass die Opposition sich letztlich wird durchsetzen können; aber dass der Ausgang des Konflikts auch fünf Monate nach dem Putsch immer noch offen ist, zeigt ihre Macht – und ihr Durchhaltevermögen.