News | Geschichte Frauenkampf in der Spanischen Revolution 1936

Die Gruppe Mujeres Libres (Freie Frauen)

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Vera Bianchi,

Am 18. Juli 1936 jährt sich zum 85. Mal der Beginn des Spanischen Bürgerkriegs und der Spanischen Revolution. Fast drei Jahre lang kämpften auf der republikanischen Seite Spanier*innen, Internationale Brigaden und andere Freiwillige aus vielen Ländern gegen den franquistischen Putsch, der sich gegen die am 16.2.1936 gewählte Mitte-Links-Regierung (Volksfront) richtete. Am 1. April 1939 siegten die von den faschistischen Mächten Deutschland und Italien unterstützten Franquisten.

Auf der republikanischen Seite griffen viele Menschen am 18. Juli 1936 nicht nur zu den Waffen, um die Republik zu verteidigen, sondern begannen gleichzeitig eine soziale Revolution – unter ihnen eine bis dahin wenig bekannte Gruppe: die Mujeres Libres, Freie Frauen, die in den ersten Monaten der Revolution auf 20.000 Mitglieder anwuchs.

Vera Bianchi ist Historikerin und lebt in Hamburg. Sie ist aktiv im Gesprächskreis Geschichteder RLS.

Gründung der Mujeres Libres

Die Mujeres Libres setzten sich aus zwei unterschiedlichen Vorläufergruppen zusammen: einer Gruppe in Barcelona und einer in Madrid. Die Gründerinnen waren jeweils Anarchistinnen, die in der CNT (Confederación Nacional del Trabajo, Nationaler Arbeitsbund, anarchosyndikalistische Gewerkschaft) oder anderen anarchistischen Zusammenhängen wie den Ateneos Libertarios (Libertären Zentren) organisiert waren.

Da Frauen nicht nur in der patriarchal organisierten und katholisch geprägten Gesellschaft Spaniens diskriminiert wurden, sondern auch in der auf Gleichberechtigung setzenden anarchistischen Bewegung herablassendes Verhalten von Männern erlebten, beschlossen Anarchistinnen sowohl in Madrid als auch in Barcelona, eine anarchistische Frauenorganisation zu gründen.

Die Gruppe in Barcelona wurde von Soledad Estorach (1915-1993), Conchita Liaño Gil (1916-2014) und anderen Anarchistinnen bereits 1934 unter dem Namen «Grupo Cultural Femenino CNT» (Kulturelle Frauengruppe CNT) gegründet. Die Gruppe in Madrid wurde von Lucía Sánchez Saornil (1895-1970), Mercedes Comaposada Guillén (1900-1994) und Amparo Poch y Gascón (1902-1968) im April 1936 als Redaktion der gleichnamigen Monatszeitschrift gegründet, die sich den Themen «Kultur und soziale Dokumentation» widmete.

Als die beiden Gruppen voneinander erfuhren, schlossen sie sich im September 1936 unter dem Namen Mujeres Libres zusammen.

Warum eine parallele Frauenorganisation?

Einer der Gründe für eine eigene Frauenorganisation liest sich auch nach 85 Jahren erschreckend aktuell: In Barcelona kamen zwar immer wieder Frauen zu den anarchistischen Versammlungen oder Veranstaltungen, fanden dort jedoch eine Atmosphäre vor, in der sie weder sprechen noch sich aktiv einbringen konnten, und gaben dann ihr Engagement wieder auf. Gleichzeitig fragten sich anarchistische Männer, warum sich so wenige Frauen in ihren Reihen engagierten.

Neben diesem Unwillen anarchistisch organisierter Männer, auf die Bedürfnisse von Anarchistinnen einzugehen, kam es auch zu offenem Sexismus wie zum Beispiel in Madrid, als Mercedes Comaposada Bildungskurse in der CNT anbot, bis sich Männer beschwerten, weil sie nicht von einer Frau gelehrt werden wollten.

Die Geschlechtertrennung durch eine Frauengruppe sollte temporär sein. Die Mujeres Libres wollten sich selbst und andere Arbeiterinnen bilden, ausbilden und ein Selbstbewusstsein entwickeln. Wenn viele der Frauen ausreichend Kenntnisse, Fähigkeiten und Selbstvertrauen in der anarchistischen Frauengruppe entwickelt hätten, um sich innerhalb der gemischtgeschlechtlichen anarchistischen Bewegung aktiv einbringen zu können, wäre eine zusätzliche Frauenorganisation nicht mehr nötig.

Ziele der Mujeres Libres

Nach unserem heutigen Verständnis bezeichnen wir die Mujeres Libres als Anarchafeministinnen, aber abgesehen davon, dass dies eine Wortschöpfung aus den 1970ern ist, nannte sich die Gruppe nie feministisch, denn damit war zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Spanien nur der in ihren Augen «bürgerliche» Kampf für das Frauenwahlrecht konnotiert. Die Mujeres Libres jedoch waren Anarchistinnen und strebten eine herrschaftsfreie Gesellschaft für alle Menschen an, keine Verbesserung für nur einzelne Menschen innerhalb des gesellschaftlichen Status Quo. Im September 1937 gab sich die Nationalföderation der Mujeres Libres eine Satzung, in der gleich zu Beginn festgehalten wird, dass sich die Gruppe den Zielen der CNT und der FAI (Federación Anarquista Ibérica, Anarchistische Iberische Föderation) verpflichtet fühlt. Zur Erreichung einer herrschaftsfreien Gesellschaft will die Gruppe beitragen, indem sie die Frauen aus der dreifachen Sklaverei befreit: Sklaverei der Unwissenheit, Sklaverei der Frau und Sklaverei der Arbeiterin («esclavitud de la ignorancia, esclavitud de mujer y esclavitud productora»; aus der Satzung). Gegen die Unwissenheit organisieren die Mujeres Libres Bildungskurse und Vorträge. Viele Spanierinnen aus der Arbeiterklasse gingen damals nur sechs Jahre zur Schule – und auch das nur unregelmäßig, wenn ihre Arbeitskraft im Haushalt gebraucht wurde –, und traten mit 12 Jahren ungelernt ins Berufsleben ein. Gegen die Unterdrückung als Frau und als Arbeiterin setzten die Mujeres Libres den «doppelten Kampf»: zum einen gemeinsam mit den anarchistischen Männern gegen die kapitalistische Ausbeutung, zum anderen nur mit Frauen gegen die patriarchale Unterdrückung.

Ihre kurzfristigen Ziele auf dem Weg zu einer freien Gesellschaft nannten die Mujeres Libres «captación» und «capacitación»: Das erste bedeutet, Frauen für den Anarchismus zu begeistern und für die anarchistische Bewegung zu gewinnen, und das zweite, Frauen zu befähigen, d.h. durch Bildung in die Lage zu versetzen, selbstbewusst zu leben, politisch aktiv zu sein und für sich selbst sorgen zu können.

Aktivitäten der Mujeres Libres

Mindestens 20.000 Frauen engagierten sich in über 170 Ortsgruppen der Mujeres Libres im gesamten republikanischen Gebiet; mehrere lokale Gruppen gab es in Madrid, Barcelona und Valencia, wo die Gruppen auch eigene Räume hatten. In anderen Orten konnten sie die Vereinslokale der CNT für ihre Versammlungen und Kurse nutzen.

Die vielen unterschiedlichen Aktivitäten, die Mujeres Libres-Gruppen während der knapp drei Jahre ihres Bestehens unternahmen, können in vier große Bereiche zusammengefasst werden: Bildung, Kindererziehung, Unterstützung von Prostituierten und Kampf gegen die franquistischen Putschisten.

Das breite Bildungsangebot der Mujeres Libres richtete sich nicht nur an Mitglieder, sondern an alle Frauen, und einzige Bedingung für die Teilnahme war das Interesse am Lernen. Neben Kursen in Alphabetisierung und Allgemeinbildung bekamen Frauen Einblicke in Soziologie, Wirtschaft und gewerkschaftliche Organisierung. In Kursen z.B. für Maschineschreiben, Schneidern, Landwirtschaft und Geflügelzucht qualifizierten sie sich beruflich. Es gab zudem die Ausbildung als Krankenschwester und Kindergärtnerin, unterstützt durch Praktika. Auch die Zeitschrift Mujeres Libres, deren 13 Ausgaben zwischen Mai 1936 und Oktober 1938 erschienen, trug zur Erhöhung der Allgemeinbildung von Frauen bei. In Barcelona gründeten Mujeres Libres die erste Fahrschule für Frauen, und in vielen Orten organisierten sie einen gemeinsamen Mittagstisch, um Frauen von der täglichen Care-Arbeit für ihre Kinder oder ältere Angehörige zu entlasten.

Im Bereich der Kindererziehung setzten die Mujeres Libres bereits vor der Geburt an und boten Kurse zur «bewussten Mutterschaft» an, in denen sie den werdenden Müttern nahebrachten, dass Kindergroßziehen nicht nur das Versorgen mit Essen und Kleidung bedeutet, sondern das Stärken einer autonomen Persönlichkeit. In ihren beiden Geburtskliniken in Katalonien führten die Mujeres Libres Vorsorgeuntersuchungen für Babys und Kleinkinder ein, weit bevor diese von staatlicher Seite aus angeboten wurden.

Die Mujeres Libres folgten der fortschrittlichen «Modernen Schule» des Pädagogen Francisco Ferrer i Guàrdia (1859–1909), der für ein Lernen aus Anregung und Interesse und nicht aus Zwang, Gewaltandrohung und Auswendiglernen plädierte.

Zu Beginn der Revolution organisierten Mujeres Libres «Liberatorios de Prostitución» (Häuser zur Befreiung von der Prostitution) und Angebote, um diejenigen Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollten, zu unterstützen. Dort konnten die Frauen übernachten, erhielten Beratung und ärztliche Untersuchungen und auch finanzielle Hilfe. Mujeres Libres verurteilten Prostituierte nicht moralisch, sondern wollten verhindern, dass Frauen es aus finanzieller Not taten.

Nach dem ersten revolutionären Sommer wurde der Kampf gegen die franquistischen Putschisten immer wichtiger. Mujeres Libres waren sowohl an der Front aktiv – sie kämpften mit der Waffe und arbeiteten als Krankenschwestern und Köchinnen –, als auch im Hinterland, wo sie unter anderem in der Produktion und Verteilung von Lebensmitteln aktiv waren, auch unter Anwendung von Technik und Kenntnissen aus der Landwirtschaftswissenschaft zur Erzielung höherer Erträge.

Nach dem Sieg der Franquisten gingen viele Mujeres Libres ins Exil und blieben dort während der 36 Jahre der Diktatur; manche erinnerten sich an ihre Zeit in der Revolution als die freieste Zeit in ihrem Leben. Auch 85 Jahre später haben viele ihrer Themen nicht an Aktualität verloren – die direkte Aktion als Mittel zur Befreiung, Gleichberechtigung der Frauen in allen Lebensbereichen inklusive Bildung, ökonomischer Unabhängigkeit und Akzeptanz ihrer Bedürfnisse, freie Kindererziehung und der Kampf für ein freies Leben für alle Menschen.

Zum Weiterlesen:

• Ackelsberg, Martha A.: Free Women of Spain. Anarchism and the Struggle for the Emancipation of Women. Bloomington 1991

• Bianchi, Vera: Feministinnen in der Revolution. Die Gruppe Mujeres Libres im Spanischen Bürgerkrieg. Münster 2010 (zweite, erw. Auflage)

• Bianchi, Vera (Hg.): Mujeres Libres. Libertäre Kämpferinnen. Bodenburg 2019

• Nash, Mary: Defying Male Civilization: Women in the Spanish Civil War. Denver 1995

• Zeitschrift Mujeres Libres digitalisiert: https://cgt.org.es/revista-mujeres-libres/