News | Rosa Luxemburg - Deutsche / Europäische Geschichte «Lese viel, denke auch ziemlich viel»

Rosa Luxemburg als politische Gefangene

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Author

Holger Politt,

Rosa Luxemburg  Karl Dietz Verlag Berlin

I

Rosa Luxemburg kam im Spätsommer und Herbst 1904 erstmals ins Gefängnis, als sie im sächsischen Zwickau eine dreimonatige Gefängnisstrafe wegen «Majestätsbeleidigung» zu verbüßen hatte. Das Gerichtsurteil wurde gefällt nach Wahlkampfauftritten in Sachsen, auf denen Rosa Luxemburg eine Behauptung Kaiser Wilhelms II. polemisch aufs Korn nahm, der sich öffentlich damit gebrüstet hatte, da unter seinem Zepter deutsche Arbeiter eine gute und gesicherte Existenz hätten. In ihrer Verteidigungsrede vor Gericht hatte Rosa Luxemburg darauf verwiesen, dass kein Sozialdemokrat die Absicht habe, den Kaiser zu beleidigen, weil Sozialdemokraten Institutionen, nicht aber Personen bekämpften.

Erhalten geblieben sind einige Briefe, die Rosa Luxemburg aus dem Zwickauer Gefängnis getarnt an ihren damaligen Lebenspartner Leo Jogiches geschrieben hatte. Den Tagesablauf hinter Gittern beschreibt sie so: «Also: Ich stehe auf um 6, bekomme um 7 Kaffee, um 8–9 Spaziergang, um 12 Mittagessen, 1–2 Spaziergang, 3 Kaffee, um 6 Abendbrot, 7–9 Lampe, 9 schlafen. Ich bekomme das ‹Berliner Tageblatt›. Lese viel, denke auch ziemlich viel.» (Brief vom 9. September 1904) Und Leo Jogiches bat außerdem, ihm die Zelle zu beschreiben. In der Antwort kommt der feine selbstironische Zug Rosa Luxemburgs ganz zum Tragen: «Meine Zelle soll ich Dir auch noch beschreiben! Du beanspruchst viel, my darling. Wo nehm ich Pinsel und Farben, um diesen Reichtum zu schildern! Übrigens fand ich neulich an der Wand ein hektographiertes Inventar meiner Zelle, aus dem ich zu meinem Erstaunen ersah, daß in derselben etwelche zwanzig Gegenstände sich vorfinden. Und ich war sicher, daß die Zelle überhaupt ganz leer ist! Die Moral von der Geschichte: Sobald der Mensch sich im Leben einmal recht arm vorkommt, soll er sich nur hinsetzen und ein ‹Inventar› seiner irdischen Güter aufnehmen, alsdann wird er erst entdecken, wie reich er ist.» (Brief vom 23. September 1904)

Holger Politt ist Leiter des RLS-Regionalbüros Ostmitteleuropa in Warschau.

Eine typische Eigenschaft wird sichtbar, denn Rosa Luxemburg bleibt – wo immer sie eingesperrt wird – die aufmerksame und überaus sensible Beobachterin der Umgebung, wofür in der Post an Leo Jogiches ein schönes Beispiel zu finden ist: «Ob ich hier arbeiten kann? Gewiß, es herrscht vollkommene Ruhe ringsherum, ausgenommen etwas lustiges sächselndes Kindergeplapper irgendwo draußen (ich habe ja keine Ahnung, wo hinaus mein Fenster geht) und ein geschäftiges Entengeschnatter vom Teich der nahen Anlage, wie ich mir denke. Diese Enten müssen sämtlich weiblichen Geschlechts sein, denn sie können aber auch nicht eine Stunde ‹den Schnabel halten› und führen sogar mitten in der Nacht eifrige Unterhaltungen, wobei das Qua, qua! so pathetisch und mit so tiefer Überzeugung die Tonleiter herunter skandiert wird, daß ich mitten im Ärger immer lachen muß.» (Brief vom 4. Oktober 1904)

II

Das zweite Mal kam Rosa Luxemburg im Zarengefängnis hinter Gitter, als sie im März 1906 inmitten der Revolutionswirren in Warschau verraten und verhaftet wurde. Sie war Ende 1905 illegal nach Warschau gekommen, um hier gemeinsam mit Leo Jogiches an der Spitze ihrer polnischen Partei SDKPiL (Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauens) für den Sturz der Zarenherrschaft zu kämpfen, den sie für greifbar nahe hielt. Sie stand nicht auf den Barrikaden, war keine Streikführerin, hielt keine öffentlichen Reden – ihre einzigen, allerdings wirkungsvollen und scharfen Waffen waren die Schreibfeder und das gedruckte Wort. Doch im März 1906 wanderte sie nach der Festnahme ins Gefängnis, beruhigte aber schnell die aufgeregten Gemüter in Berlin, die sich natürlich große Sorgen machten, denn niemand unter den SPD-Genoss*innen konnte abschätzen, was Rosa Luxemburg in Warschau unter den Bedingungen einer insgesamt ums politische Überleben kämpfenden Zarenmacht nun erwartet: «Am Sonntag, dem 4., abends hat mich das Schicksal ereilt: Ich bin verhaftet worden. Ich hatte bereits meinen Paß zur Rückreise visiert und war auf dem Sprung zu fahren. Nun, es muß auch so gehen. Hoffentlich werdet Ihr Euch nicht zu sehr die Sache zu Herzen nehmen. Es lebe die Re[volution]! mit allem, was sie bringt. […] Meine Zelle, die ein Kleinod in dieser Garnitur ist (eine gewöhnliche Einzelzelle für eine Person in normalen Zeiten), enthält vierzehn Gäste, zum Glück lauter Politische. Tür an Tür mit uns noch zwei große Doppelzellen, in jeder ca. dreißig Personen, alle durcheinander. Dies sind schon, wie man mir erzählt, paradiesische Zustände; früher saßen sechzig zusammen in einer Zelle und schliefen schichtweise je paar Stunden in der Nacht, während die anderen ‹spazierten›. Jetzt schlafen wir alle wie die Könige auf Bretterlagern, querüber, nebeneinander wie Heringe, und es geht ganz gut […].» (Brief an Luise und Karl Kautsky vom 13. März 1906)

Wie in Zwickau versuchte sie zu arbeiten, soweit die Möglichkeiten es erlaubten. Anfang April schreibt sie an Luise und Karl Kautsky, nachdem sie in ein anderes Gefängnis gebracht worden war, in dem die Bedingungen deutlich bessere waren: «Ich schrieb Euch lange nicht mehr […], weil ich sehr fleißig war und gestern die dritte Broschüre fertiggemacht habe seit ich hier weile (zwei werden bereits gedruckt, die dritte wird in drei Tagen ‹geschwärzt›). Im früheren Quartier war es undenkbar zu arbeiten, also galt es, das Versäumte hier nachzuholen. Auch habe ich hier eigentlich zu meinem Privatgebrauch bloß einige Abendstunden, von 9 Uhr etwa bis nachts; denn bei Tag, seit 4 Uhr morgens, ist hier im ganzen Hause und auf dem Hof ein Höllenspektakel […]». (Brief vom 7. April 1906)