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Christian Schwochows neuer Film «Je suis Karl»

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Fritz Burschel,

Mit seinem neuen Film «Je suis Karl. Wir erklären euch den Krieg.» lässt Regisseur Christian Schwochow dieses mulmige Gefühl der Bedrohung von rechts in ein beunruhigend dystopisches Drama von hoher, geradezu beklemmender Aktualität münden. Ausgangspunkt der Handlung ist, was im rechten Diskurs die «Flüchtlingskrise» genannt wird, womit die Ankunft Zehntausender aus den Kriegs- und Krisengebieten Syrien, Afghanistan und Libyen in Europa und Deutschland im Jahr 2015 gemeint ist. Erst kürzlich hat der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet (und nicht nur er) diesen Diskurs erneut bedient, als ihm angesichts der afghanischen Katastrophe nichts Besseres einfiel als zu sagen, «2015» dürfe sich jetzt nicht wiederholen. Etliche der derzeit in Deutschland angeklagten rechten Terrorverdächtigen (in Stuttgart, Frankfurt, München, Dresden, Magdeburg, Schwerin etc.) betonen, wenn sie denn Einlassungen machen, die Triggerwirkung dieser «Krise» für ihre terroristischen Pläne.   

Der Film bezieht sich zunächst auf ein mittelaltes, binationales Paar aus dem links-grünen Milieu Berlins, das den libyschen Flüchtling Yussuf, mit dem es vorher über Social Media schon in Kontakt stand, aus Budapest nach Deutschland schmuggelt – gelebte «Willkommenskultur», wie man das seinerzeit nannte. Ein fröhlicher Einstieg in einen Film, der danach eine solche Wucht entwickelt, als genau dieses Paar zum Opfer eines Bombenanschlags mitten in der Hauptstadt wird. Die Mutter, zwei ihrer Kinder sowie weitere Hausbewohner*innen sterben bei der Gewalttat, der Vater (ein umwerfender Milan Peschel) und die ältere Tochter Maxi (Luna Wedler) überleben und bleiben im Fokus des Films. Was ein Anschlag dieser Art mit den Betroffenen macht, kann in der ersten halben Stunde des Films auf bedrückende Art nachgefühlt werden, zwischen Apathie und Wut, zwischen Verrücktwerden und Verkümmern bewegen sich die beiden durch das Trauma. Hier übrigens dem Akin-Film «Aus dem Nichts» nicht unähnlich. Maxi sucht auch den Tatort auf, will ihr zerstörtes Zuhause sehen, sich orientieren. Sofort wird sie von Medienleuten erkannt und verfolgt, ein – unverschämt gutaussehender – junger Mann (Jannis Niewöhner) kommt ihr zu Hilfe und schleust sie aus dem Blickfeld der Sensationspresse. 

In einer Rückblende erfahren wir, dass dieser Karl keineswegs ein mitfühlender, zufälliger Passant ist, sondern der Attentäter selbst, der den diabolischen Plan hat, das Opfer Maxi für seine faschistische Politik zu instrumentalisieren. Er zieht die am Boden zerstörte Maxi in seinen scheinbar empathischen Bann – manchmal am Rande ziemlich binärer Lovestory-Klischees – und gewinnt ihr Vertrauen. Das ist so peinvoll inszeniert, dass man bisweilen als Zuschauende*r versucht ist, der Hauptdarstellerin wie im Kasperletheater zuzurufen: «Vorsicht, hinter Dir kommt das Krokodil!». Eine unerträgliche Vorstellung, wie der skrupellose, fanatische Attentäter sich des Opfers bemächtigt. Geradezu bizarr ist bei der Rückblende zum Attentat die Ähnlichkeit des bärtigen Karl, der als Paketbote verkleidet die Bombe im Haus der Familie abgibt, mit dem Asylsuchenden, als der sich der Bundeswehroffizier Franco Albrecht verkleidet hatte, um dann als anerkannter syrischer Geflüchteter Anschläge zu verüben und so bürgerkriegsähnliche Zustände im Lande auszulösen. Hätte Schwochow mit der Arbeit an dem Film nicht viel früher begonnen, könnte man meinen, er habe sich hier die Franco-Albrecht-Story als Vorlage gewählt. Es ist umgekehrt, die Realität holt gegenwärtig noch die bizarrste Fiktion ein.

Ab hier steigt der Film in eine völlig andere Sphäre ein, Karl lockt die sich in ihrem Schmerz gegen den Vater und polizeiliche Ermittler*innen auflehnende Maxi zu einer «Sommerakademie» der «Re:Generation» nach Prag. Was sie und mit ihr die Zuschauenden dort erwartet, ist ein ideologisch aufgeladener Wohlfühlevent mit Musik, einer avancierten Ästhetik («Love 69 – hate 68») und geradezu hippiesk daherkommenden, sexpositiven, schönen jungen Menschen durchaus diversen «europäischen» Aussehens. Die knallharten White-Supremacy-Ideologiebausteine werden dabei subkutan durchgereicht bei diesem europäischen «Young Leadership»-Nazi-Festival und führen die Teilnehmenden in die schillernde und sexy Welt eines weißen, anti-muslimischen, gewalt-fixierten europäischen Nationalismus. Die Ähnlichkeit zur (unterdessen nach ihrer Ächtung in Österreich etwas in der Versenkung verschwundenen) «Identitären Bewegung» und ihren Protagonist*innen ist unverschleiert: die Social-Media-Formate der IB werden hier nachempfunden und die «Kriegserklärung» dieser neuen Generation junger «Europäer» findet sich fast identisch in einem Video des französischen «Bloc Identitaire» aus dem Jahr 2012.

Maxi ist fasziniert und fühlt sich zu Karl hingezogen, sie beginnt die krassen militant euro-nationalistischen Statements und Propaganda-Bits, die hart anti-muslimischen Rassismen und rassistischen Bedrohungsszenarien, die ihr zunächst aufstoßen, unter Karls geschmeidigem Zureden hinten anzustellen und zu vergessen, bis sie selbst als «Opfer der muslimischen Einwanderung» auf großer Bühne spricht bei einer hetzerischen Veranstaltung französischer Euro-Faschist*innen um eine an Marine LePen angelehnte rechte Ikone in Straßburg. Sie ahnt nicht, dass quasi hinter der Bühne eine narzisstische Wahnsinnstat vom inner circle um Karl geplant wird: Karl will sich, nachdem sein Anschlag in Berlin es nicht vermocht hatte, selbst als inszeniertes Anschlagsziel opfern, um den Funken zur Explosion des europäischen weißen Aufstands zu liefern. Im Grunde ein rechter Selbstmordattentäter, der sich unter «false flag» (falscher Flagge) von seinen Leuten hinrichten lässt, um das dann den «Einwandernden» und Geflüchteten in die Schuhe zu schieben. Eine Szene, in der Karl sein Spiegelbild küsst, ist dabei ein durchaus überdeutlicher Verweis auf das mythologische Narziss-Motiv. 

Am Ende erkennt Maxi, dass es doch besser ist, im ausbrechenden rassistischen Bürgerkrieg mit ihrem Vater und Yussuf, die sie zu holen gekommen waren, das Weite zu suchen. Schlussbild ist das Licht am Ende eines Tunnels der Straßburger Kanalisation, durch den die drei die Flucht führt.

Ein fulminanter Film, der viele Fragen stellt, aber auch viele offen lässt. Man mag sich fragen, ob die Überästhetisierung der «identitären» Subkultur nicht auch zu Missverständnissen führen kann bei genau denen, denen man die Gefährlichkeit dieser alerten jungen FaschistInnen zeigen will. Die Musik, die den Hinter- und Vordergrund zu diesem Teil des Films liefert, ist irgendwie mitreißend. Anders als der allfällige tumbe Rechts-Rock, über den seit Jahrzehnten als «Einstiegsdroge in die rechte Szene» Vorträge gehalten werden, wäre sie als ausgekoppelter Soundtrack doch etwas fragwürdig. Der Film ist nah an einer Realität dran, in der «false flag»-Aktionen laufen, die Bewaffnung von rechten Prepper-Gruppen zu beobachten ist und eine Monster generierende Internet-Community weltweit rassistische Anschläge verübt - von Oslo/Utøya über Christchurch bis Halle und Hanau. Viele dieser (überwiegend) Männergruppen sind schwer bewaffnet und warten nur auf den Tag X und das Signal loszuschlagen.

Auch die Darstellung der für die Geschichte wichtigen Frauenfiguren ist überaus realistisch und reicht – wie in echt – von geradezu spiritueller Mutterschaftsseligkeit bis hin zur knallharten «Kameradin» und «Kämpferin» in terroristischer Aktion. Dass einer der identitären Macker einen Säugling umgeschnallt hat als es um die Planung von Karls Selbstmord-Aktion geht, ist vielleicht doch leicht überzeichnet. Es bleibt bei der Hauptfigur Maxi, abgesehen davon, dass man sie permanent vor dem «Krokodil» Karl warnen will, ein schaler Nachgeschmack, dass sie dem Selbstverharmlosungen flötenden Nazi auf den Leim kriecht und unweigerlich irgendwann auf der Matratze des Mörders ihrer Familie landet. Immerhin kann man das ihrer Trauma-bedingten Orientierungslosigkeit zuschreiben, in der ihr eine wohlfeile Erklärung für den sinnlosen Tod eines Teils ihrer Familie und die «Freundschaft» von Karls eingeschworener Gemeinschaft angeboten werden. Sie nimmt Karls gespaltene Zunge nicht wahr, wenn er davon redet, man brauche neue und bessere Kategorien für die Zukunft als das Rechts-Links-Raster und man sei nicht für die Todesstrafe oder höchstens im Notfall, und sie läuft auch nicht davon als Karls Freundinnen Fake-Videos zu Vergewaltigungen «europäischer» Frauen durch Geflüchtete drehen.         

Natürlich ist die Geschichte, wie Schwochow sie erzählt, nur eine dystopische Möglichkeit, aber durchaus nicht die unwahrscheinlichste. Er denkt die Szenarien ziemlich realistisch zu Ende, die sich in den Gerichtssälen dieses Landes bei den Prozessen zu rechtem Terrorismus gerade andeuten. Dass vieles in der Fiktion gerafft und inszeniert werden muss und Unstimmigkeiten hinter clever erzählten Episoden verschwinden, ehe die kritische Nachfrage sich im Kopf formuliert hat, gehört zur Kunst des Erzählens mit bewegten Bildern.

Mit dem Film lässt sich im Übrigen hervorragend arbeiten und diskutieren und was wäre angesichts des drängenden und hochbrisanten Themas Besseres über so einen Streifen zu sagen?

«Je suis Karl. Wir erklären euch den Krieg.» von Christian Schwochow mit Luna Wedler, Jannis Niewöhner, Milan Peschel, Edin Hasanovic, Anna Fialová und Aziz Dyab; Deutschland 2020, Länge: 126 Minuten. Kinostart: 16.9.2021. Zum Trailer