News | Golfstaaten Alte Konflikte, Neue Herausforderungen und ein schrecklicher Krieg

Eine Analyse der saudi-arabischen Regionalpolitik

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Saudi-Arabien auf der Suche nach einer Exit-Strategie im Jemenkrieg: Saudischer Soldat der ersten Luftlandebrigade 2016 mit einem Soldaten der VAE. Bild: Saudi88hawk, via Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Saudi-Arabiens internationale Angelegenheiten haben sich historisch entlang von religiösen, kulturellen und ökonomischen Grundprinzipien entwickelt. Seit es eines der weltweit wichtigsten Ölländer ist, beansprucht das Land eine Leitrolle in Westasien. Im März 1945 wurde es Mitglied der Arabischen Liga und war 1960 Gründungsmitglied der OPEC. Auch im 1985 gegründeten Golf-Kooperationsrat ist es führend vertreten sowie in anderen politischen und ökonomischen internationalen Kooperationsstrukturen von arabischen und muslimischen Staaten wie der Islamischen Weltliga, der Organisation für islamische Zusammenarbeit, der Islamischen Entwicklungsbank und auch in der Bewegung der Blockfreien Staaten.

Allerdings ist Saudi-Arabien ein prowestliches Land, insbesondere seit dem Aufstieg von einer Randmacht zu einer Regionalmacht in Westasien und in Nordostafrika in den 1970er Jahren.[1] Das Land sieht sich selbst zudem als stabilisierende und friedenswahrende Kraft in der Region, während es seine eigenen ökonomischen und strategischen Interessen vorantreibt. Dieser Eindruck entsteht zweifelsohne auch wegen der zentralen, langfristigen Allianz mit den USA, die in den 1950er Jahren gebildet und formalisiert wurde und sich an den Themen Öl und regionale Stabilität orientiert. Saudi-Arabien steht wie kein anderer Staat für die Verteidigung von US-Interessen in der Region. Abgesehen von Menschenrechtsverletzungen und unterschiedlichen Ansichten zum Staat Israel entzweite sich das Bündnis nie wirklich, nicht in der Ölkrise von 1973 und dem OPEC-Embargo gegen die USA und ihre Verbündeten, nicht in der Zeit nach dem 11. September und auch nicht Jahre später nach der Ermordung von Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul. Letztere hat jedoch für einen ernsthaften Bruch gesorgt.

Aliki Kosyfologou hat in Politikwissenschaft und Soziologie promoviert. Ihre interdisziplinären Forschungsinteressen umfassen Politikanalyse, Gesellschaftstheorie, Gendertheorie, Feminismus und Kultur. Sie hat in der MENA-Region (Naher Osten und Nordafrika) gelebt und dort Feldstudien durchgeführt. Aktuell arbeitet sie als freie Wissenschaftlerin und sozialpolitische Beraterin.

Sie hat zahlreiche Studien zu den sozialen und genderspezifischen Auswirkungen der Austeritätspolitik in Europa und insbesondere Griechenland verfasst, unter anderem die folgenden Studien der Rosa-Luxemburg-Stiftung:

«The gendered aspects of the austerity regime in Greece: 2010-2017» [Die geschlechtsspezifische Dimension des Austeritätsregimes in Griechenland: 2010-2017],

«Women’s status in a struggling Greek economy: The terrifying fall of a society’s progress» [Der Status der Frau in der um Aufschwung kämpfenden griechischen Wirtschaft: Der erschreckende Untergang des Fortschritts einer Gesellschaft]

 «Über die Fragilität der Gleichheit in Zeiten der Pandemie».

Die «Rivalität» mit dem Iran und die saudisch angeführte Intervention im Jemen

Iran bleibt der bedeutendste Gegenspieler in der Region. Politische, internationale und religiöse Zusammenhänge bilden den Hintergrund dieses langen Konflikts. Doch auch Saudi-Arabiens prowestliche, US-freundliche Position beeinflusste ihn maßgeblich.

Saudi-Arabien, das sich als führendes sunnitisches Land bezeichnet, und Iran, der bedeutendste schiitische Staat, stecken fest in einem langen Wettstreit um regionale Hegemonie. Das äußert sich auch in Stellvertreterkriegen im Nahen Osten. Exemplarisch stehen dafür der Erste Golfkrieg (1980–1988) und der Jemenkrieg. Im Jemen stützt eine Koalition arabischer – hauptsächlich sunnitischer – Staaten unter der Führung Saudi-Arabiens die Regierung im Krieg gegen die mit dem Iran verbündete Huthi-Bewegung. Die Bilanz des saudi-arabischen Eingriffs in den Bürgerkrieg im Jemen ist aus humanitärer Sicht verheerend. Laut UN wurden seit Kriegsbeginn über 230 000 Menschen getötet. Tausende sind krank und unterernährt. Die Gesundheitseinrichtungen des Landes sind angesichts der Covid-19-Krise kollabiert. Die Intervention war nicht der vom saudischen Regime erwartete Durchmarsch und verschärft gegenwärtig innenpolitische Probleme, etwa die aufkeimende Finanzkrise infolge der enormen Kriegsausgaben. Darüber hinaus konterkariert der Krieg im Jemen die Bestrebungen des saudischen Kronprinzen, dem Land international ein neues Image zu geben.

Darum überrascht es nicht, dass Saudi-Arabien nach einer Exit-Strategie sucht. Riad bot einen Waffenstillstand unter UN-Aufsicht an und drückte Bereitschaft aus, über eine politische Lösung zu verhandeln. Außerdem stellte das Land in Aussicht, die Blockade des Flughafens von Sanaa aufzuheben, um Lieferungen von Grundbedarfsgütern und Nahrungsmitteln zu erleichtern. Die Huthi, die eine beträchtliche militärische Stärke unter Beweis stellten, waren sich ihrer strategischen Position jedoch bewusst, lehnten den ersten Vorschlag ab und akzeptieren nur die Aufhebung der Blockade und den Erhalt von Gütern in Form von internationaler humanitärer Hilfe. Zudem ist der Richtungswechsel der USA nach den Wahlen im November für das Königreich ein deutlicher Nachteil. Die Biden-Regierung hat einen Großteil der Unterstützung durch Waffen, Geheimdienste und Logistik abgezogen, die Saudi-Arabien seit 2015 von den USA erhielt. Biden steht zwar zum Bündnis mit Riad, hat aber in bestimmten Punkten andere Ansichten.[2]

Katar

Der Konflikt mit dem Iran führte zu wichtigen Allianzen, zu historischen und religiösen Bündnissen mit Nachbarstaaten. Saudi-Arabien und Katar unterhalten etwa schon lange enge, kontinuierliche bilaterale Beziehungen. Doch der Machtwechsel im Nachbarstaat Mitte der 1990er Jahre und die Gründung von Al-Jazeera – einem der einflussreichsten Medienhäuser in der arabischen Welt, das Saudia-Arabien regelmäßig für seine Innen- und Außenpolitik kritisiert – sorgte für Zerwürfnisse. 2017 setzten Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Bahrain und Ägypten alle diplomatischen Beziehungen mit Katar aus und sperrten den Luftraum, die Hoheitsgewässer und die Landgrenzen. Anfangs lautete die Begründung, dass Katar verschiedene Gruppen unterstütze, die Frieden und Stabilität in der Region gefährdeten. Saudi-Arabien räumte aber auch ein, dass es eine Beteiligung Katars am Jemen-Krieg vermutete. Da die diplomatische Krise für beide Seiten abträglich war, einigten sie sich im Januar 2021 darauf, den Luftraum wieder freizugeben und den Güterverkehr über die Landgrenzen wieder zuzulassen.

Israel und Palästina

Trotz der Unterstützungserklärungen und der historischen, kulturellen und religiösen Bindungen zwischen Saudi-Arabien und Palästina, beeinflussen die neuen regionalen Dynamiken die Beziehungen zwischen den beiden Ländern offensichtlich stark. Saudi-Arabien hat die jüngsten israelischen Angriffe auf Gaza und die Gewalt gegen die palästinensische Zivilbevölkerung verurteilt. Der saudische Außenminister Prinz Faisal bezeichnete sie als «völkerrechtswidrig» und betonte, dass die Organisation für Islamische Zusammenarbeit «die Fortdauer der israelischen Besetzung der palästinensischen Gebiete, einschließlich Ostjerusalem, sowie die Einführung eines Apartheid-Regimes ablehnt und verurteilt». Dennoch zeigt sich, dass Saudi-Arabien nach Möglichkeiten für eine Normalisierung des Verhältnisses zu Israel sucht. Prinz Faisal erwähnte selbst in einem früheren Interview mit CNN, «dass jede mögliche Übereinkunft zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel für die gesamte Region enorm vorteilhaft würde». Dies zeugt auch vom Generationenunterschied innerhalb der Saud-Familie, denn der Kronprinz Mohammed bin Salman scheint der Ansicht zu sein, dass der Konflikt zwischen Israel und Palästina «saudischen Interessen untergeordnet» zu sein habe, während sein Vater, König Salman, in seiner Rolle als Hüter der beiden heiligsten Moscheen des Islams in Mekka und Medina, die Unterstützung der palästinensischen Sache als seine wichtigste Verantwortung ansieht. Demnach gehört eine mögliche Normalisierung des Verhältnisses zu Israel zu Mohammed Bin Salmans hybridem Plan der Annäherung an den Westen unter dem Einfluss der Abraham Accords (2020).[3] Das könnte auch als Ausgangspunkt für eine neue Annäherung an die Biden-Regierung gesehen werden. Nach den Angriffen im Mai und den anschließenden politischen Entwicklungen in der Region – zum Beispiel der Regierungsbildung unter Naftali Bennett in Israel – treten neue Aspekte zutage, die nicht mit einer simplen Formel gelöst werden können wie: «Der Feind unseres Feindes ist unser Freund.»

Übersetzung von André Hansen & Utku Mogultay für Gegensatz Translation Collective


[1] Creed, John/Menkhaus, Kenneth (1986): The Rise of Saudi Regional Power and the Foreign Policies of Northeast African States, in: Northeast African Studies 8/1986 Nr. 2/3, S. 1–22, hier S. 1.

[2] So möchte Biden Regionalexpert:innen zufolge den Gemeinsamen umfassenden Aktionsplan, das Abkommen zum iranischen Nuklearprogramm zwischen dem Iran und den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats, das am 14. Juli 2015 in Wien unterzeichnet wurde, wiederaufnehmen. Die Trump-Regierung hatte sich 2018 aus dem Abkommen zurückgezogen.

[3] Die Abraham Accords sind eine gemeinsame Erklärung von Israel, den VAE und den USA von August 2020. Sie umfassen gemeinsame Abkommen zur Förderung der Diplomatie und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Israel und den VAE sowie zwischen Israel und Bahrain.