News | Geschichte 1921: Erste Reichskonferenz des Syndikalistischen Frauenbundes

Anarchistinnen in Deutschland organisieren sich

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Vera Bianchi,

Cover «Die schaffende Frau» 6. Jahrgang, 63. Heft, 1925

Vor 100 Jahren, am 15. Oktober 1921, fand in Düsseldorf die «1. Reichskonferenz der syndikalistischen Frauenbünde» statt. Was bedeutet der Name und wer war diese Gruppe, die bis jetzt noch keinen Eingang in das kollektive Gedächtnis gefunden hat?

«Syndikalistisch» bedeutet «gewerkschaftlich» und deutet auf die Zugehörigkeit des Syndikalistischen Frauenbundes (bzw. der Frauenbünde – manchmal werden die einzelnen Ortsgruppen als einzelne Frauenbünde gezählt) zur anarchosyndikalistischen Bewegung hin. Die Gründerinnen fühlten sich der anarchosyndikalistischen Bewegung zugehörig, und viele waren gleichzeitig auch in der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAUD, der Freien Arbeiter-Union Deutschlands, Mitglied, die sich im Dezember 1919 auf der Grundlage von Antimilitarismus, Föderalismus, Antiparlamentarismus und der Verwendung der Methode der direkten Aktion gegründet hatte.

Vera Bianchi ist Historikerin und lebt in Hamburg. Sie ist aktiv im Gesprächskreis Geschichteder RLS.

Die Gründung des Syndikalistischen Frauenbundes

Anfang 1920 gründeten Frauen aus der FAUD die ersten Ortsgruppen des Syndikalistischen Frauenbunds; daran beteiligt waren unter anderem Milly Witkop-Rocker (1877–1955) und Hertha Barwich (Lebensdaten unbekannt), die beide in Berliner Ortsgruppen aktiv waren. Der Grund, warum der Syndikalistische Frauenbund heute so wenig bekannt ist, ist mehr in der Quantität als in der Qualität zu suchen: Es waren nur ungefähr 1000 Frauen gleichzeitig organisiert, und es gab auch nicht in allen Städten eine Ortsgruppe. So kamen zur 1. Reichskonferenz nach Düsseldorf vor allem Gruppen aus der näheren Umgebung (Düsseldorf, Mülheim/Ruhr, Friemersheim, Duisburg, Wiesdorf, Essen, Krefeld und Bochum), außerdem Frauen aus Berlin, Stettin, Erfurt und Schweinfurt. Mehrere Gruppen aus Süddeutschland sagten ihre Teilnahme wegen der zu hohen Reisekosten ab. Im April 1922 gab es 23 angeschlossene Ortsgruppen. Bis 1923 gründeten Frauen in weiteren Städten Syndikalistische Frauenbünde; die meisten wurden in den drei Regionen Deutschlands gegründet, in denen die FAUD am stärksten war: in Berlin, in Sachsen sowie im Rhein-Ruhr-Gebiet. Der Höchststand war 1923 mit 60 Ortsgruppen mit ungefähr 1000 Mitgliedern erreicht. Frauen, die bereits in der FAUD Mitglied waren, mussten keinen Mitgliedsbeitrag zahlen, da die FAUD-Ortsgruppen etwas an die jeweiligen Ortsgruppen des Syndikalistischen Frauenbundes zahlten; alle anderen zahlten einen kleinen Mitgliedsbeitrag.

Warum eine eigene Frauenorganisation?

Aktivistinnen aus der anarchosyndikalistischen Bewegung gründeten die Frauenbünde, um einerseits die spezifischen Interessen von weiblichen Gewerkschaftsmitgliedern besser vertreten zu können und andererseits auch Frauen, die im – eigenen oder auch fremden – Haushalt arbeiteten, integrieren zu können. Während männlichen Arbeitern die gewerkschaftliche Organisierung leichter fiel, da sie an ihrem Arbeitsplatz von Kollegen umgeben waren und sich leichter über die Arbeitsbedingungen austauschen konnten, waren viele Arbeiterinnen isoliert im Haushalt tätig – in der Heimarbeit ( d.h. die Arbeiterin fertigte das Produkt zuhause und wurde nach Stücklohn bezahlt), als Dienstmädchen und als Hausfrau.

Abgesehen davon wurde es Arbeiterinnen erschwert, sich politisch zu engagieren, weil – entgegen der theoretischen Gleichberechtigung der Geschlechter – ihre anarcho-syndikalistisch organisierten Männer ihnen Haushalt und Kindererziehung überließen und sie daher abends nicht an den gemischtgeschlechtlichen Gewerkschaftstreffen teilnehmen konnten. Die syndikalistischen Frauenbünde fanden Möglichkeiten, sich zu Zeiten und an Orten zu treffen, die mit dieser Doppelbelastung vereinbar waren; so traf sich der Syndikalistische Frauenbund Mengede (heute ein Stadtteil von Dortmund) zu Spaziergängen am Sonntagnachmittag, wenn die Frauen nicht arbeiten mussten und die Männer sich um die Kinder kümmern konnten.

Ziele

Zum einen teilte der Syndikalistische Frauenbund die Ziele der FAUD, d.h. die Abschaffung des Kapitalismus und des Militarismus sowie die Einführung einer freien Gesellschaft, in der alle Menschen gleichberechtigt und ohne Herrschaft miteinander leben können. Zum anderen bezogen sich weitere Ziele der Gruppe speziell auf die Situation der Arbeiterinnen: diese sollten sich bilden können, um geistig und ökonomisch unabhängig zu werden und dadurch ein eigenes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Die mittelfristigen Ziele des Syndikalistischen Frauenbundes waren, Arbeiterinnen für die FAUD zu interessieren und in der FAUD für die Interessen von Frauen zu kämpfen.

Aktivitäten

Obwohl die Mitglieder der syndikalistischen Frauenbünde über wenig Zeit und wenig Geld verfügten, stellten sie einige Aktivitäten auf die Beine. Wichtig für die Vernetzung und Bildung war die Zeitschrift «Der Frauenbund», den die Gruppe als monatliche Beilage der anarchosyndikalistischen Zeitschrift «Der Syndikalist» von 1921 bis 1930 publizierte. Eine weitere für die Mitglieder wichtige Zeitschrift war «Die schaffende Frau», die Aimée Köster (1869-?) in Dresden bereits seit 1919 herausgab, d.h. vor der Gründung der Syndikalistischen Frauenbünde und der Zeitschrift «Frauenbund». In beiden Zeitschriften geht es neben dem Erfahrungsaustausch aus den einzelnen Ortsgruppen um historische Frauenvorbilder, Geburtenkontrolle, Fragen der Kindererziehung und Themen aus der internationalen Politik. Eine dritte Zeitschrift, in der Mitglieder Themen publizierten, war «Die Schöpfung», eine anarchosyndikalistische Wochenzeitung, die sogar ein Jahr lang als Tageszeitung erschien.

Ein wichtiges Thema des Syndikalistischen Frauenbundes war Bildung. Viele Arbeiterinnen gingen nur sechs Jahre zur Schule, um dann als Ungelernte in der Fabrik oder im Haushalt zu arbeiten, und konnten durch die Überlastung durch Arbeit, häufige Schwangerschaften und Kinderversorgung ihre geistigen Ressourcen nicht nutzen. Dem sollte durch gegenseitige Unterstützung und thematische Diskussionen entgegengewirkt werden.

Am meisten Aufmerksamkeit erhielten die syndikalistischen Frauenbünde durch ihre Veranstaltungen zum Thema Geburtenkontrolle. In den 1920ern war bürgerlichen Frauen durchaus bekannt, auf welche Arten einer Schwangerschaft vorgebeugt werden konnte; sie hatten Kenntnisse, Verbindungen und Geld. Mitglieder des Syndikalistischen Frauenbundes informierten auf Veranstaltungen Frauen über diese Kenntnisse, um es auch mittellosen Arbeiterinnen zu ermöglichen, die Kinderzahl zu begrenzen. Sie taten dies, obwohl es in den 1920ern nach §184 StGB verboten war, über Möglichkeiten der Geburtenbeschränkung zu informieren; so wurde Traudchen Caspers 1925 nach einer Veranstaltung zu einer Geldstrafe verurteilt. Zu den Veranstaltungen kamen zum Teil mehr Menschen, als die Organisation überhaupt Mitglieder hatte; so kamen zu einer Veranstaltungsreihe des Berliner Frauenbundes im April 1921 zum Thema Gebärstreik über 2.200 Menschen. Der Unterschied zwischen Geburtenkontrolle, wie damals Verhütung genannt wurde, und Gebärstreik war die dezidierte politische Konnotation: Da im ersten Weltkrieg überproportional viele Arbeiter als Soldaten gekämpft hatten und gefallen waren, beschlossen Arbeiterinnen in der Weimarer Republik, weniger Kinder zu bekommen, um nicht als «Gebärmaschine» für Staat und Militär zu dienen.

Weitere wichtige Aspekte in der Arbeit des Syndikalistischen Frauenbundes waren gegenseitige Hilfe und direkte Aktionen. Die Frauen unterstützten sich gegenseitig in der Bewältigung des Haushaltes und in der Kinderbetreuung und führten direkte Aktionen durch, vor allem, wenn es um die Versorgung der Familie ging. Als erste Organisation propagierte der Syndikalistische Frauenbund den Konsumboykott – gerade in Zeiten der Inflation als gleichwertiges Kampfinstrument neben dem Streik, also dem Kampf in der Produktion.

Auch wenn die syndikalistischen Frauenbünde keine große Bewegung wurden, schafften sie es, für ihre Mitglieder vor Ort kleine Verbesserungen im Alltag zu erreichen. Ihre Themen und ihre Aktionsformen verdienen es, wieder mehr beachtet zu werden – auch nach 100 Jahren sind viele davon noch aktuell!

Zum Weiterlesen:

  • Bianchi, Vera: Der Syndikalistische Frauenbund zu Beginn der Weimarer Republik. In: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte. Heft 73/74, Kassel 2018, S. 72-79.

  • Bianchi, Vera: Feminismus in proletarischer Praxis. Der «Syndikalistische Frauenbund» (1920 bis 1933) und die «Mujeres Libres» (1936 bis 1939). In: Arbeit – Bewegung – Geschichte, Heft 2018/I, Berlin, S. 27-44.

  • Klan, Ulrich/ Nelles, Dieter: «Es lebt noch eine Flamme». Rheinische Anarcho-Syndikalisten/-innen in der Weimarer Republik und im Faschismus, 2. Auflage, Grafenau 1990

  • Oulios, Miltiadis: Die anarchistische Frauenbewegung in Deutschland vor 1933, unveröff. Magisterarbeit, Universität Köln 1999 (PDF).

  • Rübner, Hartmut: Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus, Berlin/Köln 1994.

  • Witkop, Milly u.a.: Der Syndikalistische FrauenbundHg.: Siegbert Wolf, Münster 2007 (Quellensammlung mit Einführung).

  • Josephine Fischer: Die Schaffende Frau. Radikal freiheitlicher Feminismus in den 1920er Jahren in Dresden, in: graswurzelrevolution Nr. 450.

  • Milly Witkop-Rocker: Was will der Syndikalistische Frauenbund? (Broschüre von 1922, die sich sowohl an Mitglieder der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAUD als auch an Nichtmitglieder richtete) (Digitalisat).

  • Dokument: «Der Frauen-Bund» Nr 8, 1922 (Beispielseite als PDF, siehe unten)