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Macron und Mbembe – FranceAfrique anders denken

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Armin Osmanovic,

Achille Mbembe
Achille Mbembe Foto: picture alliance / REUTERS | Sarah Meyssonnier

Am 5. Oktober 2021 präsentierte der Philosoph und Historiker Achille Mbembe im Elysée Palast seinen 140 Seiten umfassenden Bericht mit Empfehlungen zur Neuausrichtung der Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Afrika. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hatte den gebürtigen Kameruner Mbembe, der seit vielen Jahren an der südafrikanischen Universität Witwatersrand lehrt, beauftragt, Ideen für eine neue Form der Zusammenarbeit zusammenzutragen. Mbembe war darüber hinaus auch mit der Vorbereitung des Frankreich-Afrika Gipfels in Montpellier beauftragt, der am 8.10. begann und erstmals in seiner langen Geschichte ohne die afrikanischen Staats- und Regierungschefs, sondern nur mit zivilgesellschaftlichen Vertreter*innen stattfand. Von März bis Juli bereitete Mbembe das Zusammentreffen mit insgesamt 65 Diskussionsveranstaltungen in 12 afrikanischen Ländern vor. An den Vorbereitungstreffen nahmen vor allem junge Afrikaner*innen teil. Gegenstand der Diskussionen waren die französischen Militäreinsätze in Afrika, die Zukunft des Franc CFA, der aus der Kolonialzeit stammenden Währung vieler west- und zentralafrikanischer Staaten, die Abschottungspolitik Europas gegenüber afrikanischen Migrant*innen, die autoritären Regime Afrikas und die postkoloniale Erinnerungspolitik.

Macron beim Wort nehmen

Mbembe nimmt – so scheint es – Macron beim Wort, das überkommene System FranceAfrique zu überwinden. Nach der Unabhängigkeit der nord-, west- und zentralafrikanischen Staaten behielt Frankreich lange großen politischen und wirtschaftlichen Einfluss. Besondere Beziehungen pflegte man lange zu den afrikanischen Eliten, die wie die Staatspräsidenten von Senegal und der Côte d'Ivoire, Léopold Sédar Senghor und Félix Houphouët-Boigny, schon im französischen Empire als Politiker in Paris und in den Kolonien gedient hatten. Für die Franzosen galt die Dekolonialisierung West- und Zentralafrikas als eine gelungene «Unabhängigkeit in Freundschaft». Ganz anders als in Algerien, wo ein blutiger Kolonialkrieg getobt hatte. Die kolonialen Verbrechen Frankreichs in Afrika, die systematische Zwangsarbeit, Massakern wie in Thiaroye 1944 und niedergeschlagene Aufstände wie in Kamerun und auf Madagaskar wurden lange ausgeblendet.

Die über das Ende des Kolonialismus hinausreichenden besonderen Beziehungen Frankreichs zu Afrika, die der britische Historiker Tony Chafer (2002) als «Internationalen Klientelismus» bezeichnete, vergrößerte deren weltpolitischen Einfluss in der Nachkriegszeit. Eine sich selbst zugeschriebene «besondere Verantwortung für Afrika» nahm Frankreich bis heute immer wieder zum Anlass, den befreundeten afrikanischen Regimen militärisch zu Hilfe zu kommen. Das gilt exemplarisch für Mali, wo Rebellen und Dschihadisten 2012 drohten, den vom Regime ausgehölten Staat zu übernehmen. Seitdem hat sich Frankreich immer tiefer in einem «Krieg gegen den Terror» in der Sahelzone verstrickt. Dass hat auch mit den brutalen islamistischen Anschlägen in Frankreich seit 2015 zu tun, die immer wieder als Grund für das fortlaufende militärische Engagement im Sahel herangezogen werden. Den Krieg im Sahel droht Frankreich auch deshalb zu verlieren, weil die malische Militärjunta gewillt scheint, Frankreich gegen Russland auszutauschen, wie die Kontaktaufnahme Malis zur russischen Söldnergruppe Wagner annehmen lässt. Frankreich steht im Sahel vor einem ähnlichen Scherbenhaufen wie die USA und ihre Verbündeten in Afghanistan.

Neue Ideen

Macron ringt nun um neue Ideen, Frankreich in Afrika anders aufzustellen. Dazu wählte er einen interessanten Schachzug, gilt Mbembe als einer der einflussreichsten Kritiker der französischen Afrikapolitik. Zusammen mit dem senegalesischen Autor und Wirtschaftswissenschaftler Felwine Sarr begründete Mbembe die Ateliers de la Pensée in Dakar. Sarr hatte zusammen mit der Kulturwissenschaftlerin Benedict Savoy, auch ein Gast der Ateliers, einen Bericht zur Rückgabe von Raubkunst erarbeitet (Sarr/Savoy 2018). Auch dieser Bericht war von Emmanuel Macron in Auftrag gegeben worden. Die Ateliers in Dakar wurden zu einer der einflussreichsten Zusammenkünfte von meist frankophonen postkolonialen Denker*innen aus Afrika, Frankeich und der Karibik (Osmanovic 2016, 2017 und 2019). Kritik an Frankreich und seiner Afrikapolitik spielte in den Debatten eine zentrale Rolle. Dabei gingen manche der Diskutanten nicht zimperlich mit Frankreich um. So etwa Françoise Verges, die Europa als «kulturell tot» bezeichnete. Mbembe selbst warf Frankreich immer wieder vor, sich nicht mit seiner kolonialen Vergangenheit auseinandergesetzt zu haben.  Dafür prägte Mbembe (2005) den Begriff der «Dekolonisation ohne Auto-Dekolonialisation» (décoloniser sans s’autodécoloniser).

Macron, einst Assistent des Philosophen Paul Ricoeur, der zentrale Werke zu Geschichte und Erinnerung verfasst hat, teilt ganz offensichtlich die Analyse Mbembes. Macron will - getrieben von innen- und außenpolitischen Überlegungen - die kollektive Erinnerung der Franzosen ändern. Schon als Präsidentschaftskandidat hatte er sich zum Kolonialismus geäußert und diesen bei einem Besuch in Algerien als Verbrechen bezeichnet. In Ruanda hat er die Verantwortung Frankreichs für den Völkermord 1994 bekräftigt und wichtige Archive geöffnet. Dies galt auch für Algerien, wo er unter Leitung des anerkannten Historikers Benjamin Stora eine Kommission einsetzte, die vor einigen Monaten einen Bericht vorlegte. Im Namen der Republik entschuldigte sich Macron auch für den Tod des algerischen Aktivisten, Ali Boumendjel, der 1957 von französischen Militärs getötet wurde. Die geforderte Entschuldigung für den Kolonialismus Algeriens blieb Macron dagegen aber schuldig.

Schwarze Stimmen

Mit seiner forcierten Erinnerungsarbeit zielt Macron auf ein besseres Verhältnis zur Jugend in Afrika, die wenn überhaupt noch interessiert an Frankreich, diesem die unaufgearbeitete Kolonialherrschaft und das Festhalten am Franc CFA vorhält (Pigeau/Sylla 2018). Macron geht es aber auch um das Verhältnis der Franzosen zu den schwarzen Franzosen und Migrant*innen der afrikanischen Diaspora in Frankreich. Auch hier trifft sich Macron mit Mbembe und anderen afro-französischen Denkern wie Alain Mabanckou (2016), die die nationale Identität Frankreichs als eine durch die lange Geschichte gewachsene französisch-afrikanische Identität beschreiben. Die «schwarze Minderheit Frankreichs» (Pap Ndiaye 2008) verlangt selbstbewusst, gestärkt durch die Bewegung Black lives matter, Platz und Stimme in Frankreichs Gesellschaft. Die Stimmen der Afro-Franzosen können nächstes Jahr bei den Präsidentschaftswahlen und einer möglichen Neuauflage des Duells mit der Führerin, Marine Le Pen, des rechtsextremen Rassemblement national (einst Front National) wahlentscheidend sein.

Macrons innenpolitisches Kalkül wurde am Rande des «Afrika-Frankreich-Gipfels» deutlich, als er im Gespräch mit jungen Gipfelteilnehmer*innen auf die Rolle der afrikanischen Diaspora zu sprechen kam und sagte: «Über Jahrzehnte hat man Euch erklärt und Euch vorgehalten, dass ihr euch entschuldigen müsst, nicht ganz Franzosen zu sein. Ihr seid ganz und gar Franzosen. Frankreich nimmt sich euer an, durch seine Werte, seine Geschichte und seine Sprache». Wie schon so oft sprach Frankreich damit lieber über sich, anstatt zuzuhören und sich auf die Sicht der jungen Afrikaner*innen einzulassen. Mbembe dürfte sich erinnert gefühlt haben, an den letzten Abend der Ateliers de la Pensée im November 2019 in Dakar. Am Abschlussabend im Französischen Kulturinstitut saßen neben Achille Mbembe und Felwine Sarr der französische Journalist Edwin Plenel und die beiden afro-französischen Politikerinnen Christiane Taubira und Rama Yade. Auf die Frage nach der Zukunft Afrikas in der Welt antworteten alle eingeladenen französischen Gäste zum Missfallen vieler Menschen im Publikum mit Statements zur französischen Innenpolitik. Das Problem der Selbstbezogenheit teilt Macron mit ihnen. Daher war der Gipfel zumindest in diesem Sinne eine weitere verpasste Chance. 

Durchhaus Fragezeichen

Die Vorschläge Mbembes, der für seinen Bericht in den sozialen Medien von vielen afrikanischen Stimmen scharf kritisiert wurde, klingen interessant. Mbembe schlägt für Frankreich die Einrichtung eines afrikanischen Kulturhauses («maison des mondes africains et des diasporas») nach Vorbild des Instituts der arabischen Welt in Paris. Damit soll ein Ort der wissenschaftlichen und kulturellen Begegnung geschaffen werden. Darüber hinaus will er einen umherziehenden Campus («Campus nomad»), der den Namen des arabischen Intellektuellen Ibn Chaldūn tragen soll. Eine afrikanische-französische Historikerkommission soll an einer neuen französisch-afrikanischen Geschichte arbeiten und über Bücher, Filme und Fernsehserien zum Dialog beitragen. Wirtschaftliche Vorschläge wie die Förderung von Digitalisierung in Afrika und gemeinsame Ausbildungsprogramme in Unternehmen blieben hingegen etwas unklar und verfallen in eine Logik der Entwicklungszusammenarbeit. Auch bleibt abzuwarten, wie der von Mbembe vorgeschlagene Fonds für die Demokratie, der mit - auf den ersten Blick geringen - 15 Millionen ausgestattet werden soll, aussehen könnte. Aus dem Fonds sollen Aktivitäten der afrikanischen Zivilgesellschaft finanziert werden, nicht jedoch Parteien.

Zwei Punkte sind zusätzlich zu beachten. Erstens muss Frankreich die Vorschläge erst einmal beschließen, um sie umzusetzen. Und zweitens bleibt abzuwarten, wie die nach Montpellier nicht-eingeladenen Staats- und Regierungschefs auf die Vorschläge reagieren werden. Auch wenn sie nicht von Macron eingeladen waren, verfügen sie über engste Kontakte zum politischen und wirtschaftlichen Establishment in Paris. Daher sitzt Mbembe zwischen zwei Stühlen: Der Kritik, gerade von Seiten der afrikanischen und afro-französischen Jugend auf der einen Seite und der Macht der Seilschaften zwischen den französischen und afrikanischen Eliten des alten FranceAfrique. Daher muss der Bericht von Mbembe bisher als ein Versuch gewertet werden -  nicht mehr, nicht weniger.

Literatur

Tony Chafer: The end of Empire in French West Africa. France’s successful decolonization? Oxford 2002.

Alain Mabanckou: Lettres noire: des ténèbres à la lumière. Lecons inaugurals du Collège de France. Paris 2016.

Achille Mbembe: La France et l’Afrique : décoloniser sans s’autodecoloniser. 2005 https://travail.histoirecoloniale.net/la-France-et-l-Afrique-decoloniser.html

Pap Ndiaye: La condition noire. Eassai sur une minorité française. Paris 2008.

Armin Osmanovic: https://www.rosalux.de/news/id/41209/zum-dritten-mal-les-ateliers-de-la-pensee-in-dakar?cHash=45f7d6ff3321150342c6aabe53885804

Armin Osmanovic: https://www.rosalux.de/news/id/38063/die-zweiten-ateliers-de-la-pensee-in-dakar?cHash=d2082e8b78ea35ad51ab747e1a2a2a8f

Armin Osmanovic: https://www.rosalux.de/news/id/9240/afrika-neu-denken?cHash=75dbdacbb0d114d5306ca2ce4e6d23d7

Fanny Pigau/Ndongo Samba Sylla: L'arme invisible de la Françafrique - Une histoire du Franc CFA. Paris 2018

Felwine Sarr und Bénédicte Savoy: Restituer le patrimoine africain. Paris 2018.